Immunschwächekrankheit Aids

Wie Bilder Geschichte machen

Menschen haben mit Lichter die Aids-Solidaritätsschleife gebildet
Menschen haben mit Lichter die Aids-Solidaritätsschleife gebildet - die rote Schleife ist ein Symbol für die Solidarität mit AIDS-Kranken. © picture alliance/dpa/Narendra Shrestha
Von Lydia Heller · 01.06.2016
Welches Bild haben Sie im Kopf, wenn Sie die Abkürzung Aids hören? Die rote Schleife, die für Solidarität mit HIV-infizierten steht? Die Geschichte von Aids wurde maßgeblich von den Bildern geprägt - mit weitrechenden Folgen: Über den Einfluss von Kunst auf medizinische Forschung.
New York, 12. März 1987. Eine Gruppe von rund 300 Leuten – vor allem homosexuelle Männer – gründet "ACT-UP".
Aus Film "United in Anger":
"The Aids Coalition To Unleash Power. The only diverse, nonpartisan group of indivduals…"
Ein Netzwerk von Aktivisten, die sich dem Kampf gegen Aids widmen wollen.
"…united in anger and committed to direct action to end the Aids crisis."
Zu dem Zeitpunkt ist es sechs Jahre her, dass amerikanische Zentren für Seuchenkontrolle erstmals vor einer Krankheit gewarnt hatten, der sie später den Namen Aids gaben: erworbene Schwäche der Immunabwehr. Und über die nicht viel mehr bekannt war, als dass sie sich scheinbar vor allem unter schwulen Männern ausbreitet.
Uli Meurer: "Wir merkten, dass die ersten erkrankten und sehr schnell starben, ... teilweise fünf bis sechs Patienten pro Woche. ... Freunde, Liebhaber, Lebensgefährten."
Erinnert sich Uli Meurer, langjähriger Vorstand der Berliner Aids-Hilfe und einer der ersten, die sich Mitte der 1980er Jahre in Deutschland für Aids-Kranke einsetzen.
"Das war ein großer Nebel."

Bilder sollen den Nebel vertreiben

Es sind vor allem Bilder – die helfen sollen, den Nebel zu vertreiben. Zunächst Fotografien einzelner Symptome: Hautflecken, Pilzinfektionen. Üblich in der Medizingeschichte, sagt Historiker Lukas Engelmann von der University of Cambridge. Im Fall von Aids aber mit einer neuen Qualität:
"Fotografie in den 80er-Jahren war deshalb so wichtig, weil die Fotografie zeigt erstmal, dass die Krankheit existiert und dass sie in Verbindung mit einer Bevölkerungsgruppe steht: in den meisten Fällen, auf diesen Fotografien, explizit oder implizit junge homosexuelle Männer."
Die allerdings hatten wenige Jahre zuvor begonnen, sich gegen den medizinischen Blick auf sie zu wehren, ...
"... und dann das sehr perfide, dass diese Wahrnehmung als schwuler Epidemie auch dazu geführt hat, dass es eine Re-Pathologisierung gab. Eine Neu-Überlegung, inwiefern Krankheit und Schwulsein, schwuler Sex zusammenhängt."
Aus Film "United in Anger":
"Laut einer Umfrage der Los Angeles Times befürworten 50 Prozent der Amerikaner eine Quarantäne für Aids-Infizierte, 15 Prozent finden, sie sollten tätowiert werden."
Engelmann: "Und ich glaube, das hat maßgeblich zu diesen sehr erfolgreichen Bewegungen geführt, die diesen Kurzschluss, der damals gesellschaftlich zustande gekommen ist, zurückweisen und die Frage von sexuellen Praxen, ...von Sexualität, von sexueller Identität aber auch ethnischer Identität, ..der Öffentlichkeit antragen als etwas, was politisch diskutiert werden muss."

Aids-Aktivisten fordern mehr Forschung

Widerstand regt sich unter anderem gegen journalistische, künstlerische Fotos einsamer, ausgezehrter, sterbender Körper. Zum einen, so Lukas Engelmann, weil sie das Netzwerk der Selbsthilfegruppen und Aktivisten systematisch unsichtbar machten, das es zu der Zeit schon gab. Zum anderen, weil sie dazu beitrugen, dass Aids...
"... nicht als eine Krankheit betrachtet wurde, die alle betrifft! Ein Foto zu sehen von einer Person, die an Aids leidet, hieß für die meisten in den 80er-Jahren, ein Foto von jemand zu sehen, der‘s auch verdient hat. Diese Fotografie zeigt nicht Mitleid mit jemandem 'von uns'! Sondern das zeigt einen 'von denen'."
Aber "die" so dargestellten "Anderen" machen sich weiter stark: Aids-Aktivisten fordern mehr Forschung, billigere Medikamente, mehr Prävention, mehr Mitsprache. Und prägen damit maßgeblich das Bild der Krankheit, das Wissen darüber – den gesellschaftlichen und politischen Umgang mit ihr.
Anfang der 90er Jahre ist klar: Auch Heterosexuelle können sich anstecken, weltweit, auch ohne einer Risikogruppe anzugehören. Die Symptom-Fotos und Opfer-Porträts verschwinden. An ihre Stelle treten neue Bilder: Karten, die geografische Verbreitung, Ansteckungsraten und Opferzahlen von Aids visualisieren. Die die Angst vor einer globalen Epidemie bebildern. Und immer wieder auf deren Herkunft verweisen: Afrika.
Engelmann: "Damit gibt‘s ein gewisses Modell von Aids in Afrika, das ..in den Karten Anfang der 90er produziert wird, dass Aids in Afrika ist, schon immer dort war und damit was mehr oder weniger natürliches hat. Und erst unnatürlich wurde in dem Moment, wo es im Westen angekommen ist."

Afrika erscheint als Bedrohung

Ein Teil der Natur Afrikas erscheint als Bedrohung für den Westen – ein altes postkoloniales Klischee, so Lukas Engelmann. Erneut bleibt eine marginalisierte, aber von Aids wesentlich betroffene Gruppe unsichtbar – diesmal heterosexuelle afrikanische Frauen. Bis gegen Mitte der 1990er-Jahre wieder ein neues Motiv die Geschichte von Aids erzählt. Grafiken des Erregers, des inzwischen umfangreich erforschten HI-Virus: Eine Kugel mit stacheliger Außenhülle, meist im Querschnitt dargestellt, im Inneren die Spiralen mit dem Viren-Erbgut.
Engelmann: "Es zeigt uns Aids als etwas, das weder verstanden werden muss in seinem Zusammenhang zu Risikogruppen und wie die sich durch unser Land bewegen. Noch macht es uns aufmerksam auf die furchtbaren Erfahrungen, die mit der Krankheit einhergehen. Sondern es zeigt eine zutiefst neutrale Repräsentation der Krankheit selbst."
Und damit – sind es deren Auswirkungen, die Betroffenen, die Art der Übertragung und der Schutz davor und die politischen Lösungsansätze, die wieder – buchstäblich – aus dem Blick geraten.
Engelmann: "Und das suggeriert, dass die Mikrobiologie oder die Medizin oder die Biomedizin diejenige politische Kraft ist, die die Aufgabe hat, die Epidemie zu bewältigen. Und da geht all das verloren, was bis heute dazu geführt hat, diese Epidemie einigermaßen in den Griff zu kriegen und zu dem zu machen, was sie ist."
Sprechchöre, aus "United in Anger":
"…Act Up, Fight Back, Fight Aids - Act Up, Fight Back, Fight Aids…”