Immobilienboom

Kitas in Berlin werden verdrängt

Vorlesen im Kindergarten
Vorlesen im Kindergarten © picture alliance / dpa / Waltraud Grubitzsch
Von Wibke Bergemann · 04.05.2015
Immer mehr Berliner Kitas erleben Mieterhöhungen, die sie nicht zahlen können - oder ihnen wird gleich gekündigt. Der Dachverband der Kinder- und Schülerläden Daks beobachtet die Entwicklung der vergangenen eineinhalb Jahre mit Sorge.
Morgenkreis in der Kita Girotondo, einem kleinen deutsch-italienischen Kindergarten in Berlin-Kreuzberg. Zweisprachigkeit ist hier Programm. Vor zwölf Jahren haben die vier Erzieherinnen gemeinsam mit den Eltern die Kita gegründet, erzählt die Leiterin Lotte Althoff-Cercola:
"Wir haben das gemacht, um hier ein zweisprachiges Angebot für italienische Kinder zu machen, die natürlich auch Deutsch lernen sollen, keine Frage. Aber unser Anliegen ist auch, die Muttersprache mit zu unterstützen und zu fördern."
Die Kita ist fest eingebunden in den Kiez am Kreuzberger Südstern. Es gibt zwei schöne Spielplätze gleich um die Ecke, und fast alle Kinder und Erzieherinnen wohnen in der Umgebung. Doch das Haus, in dem die Kita Girotondo die Erdgeschossräume gemietet hat, wurde von einem britischen Immobilienfonds gekauft. Der neue Eigentümer will den Gewerbemietvertrag der Kita nicht verlängern. Wahrscheinlich um die Wohnungen im Haus besser verkaufen zu können, meint Althoff-Cercola.
"Die Hausverwaltung hat gesagt, wir haben gar keine Chance. Also es gibt gar keine Chance auf Verlängerung. Selbst wenn wir die Miete erhöhen, werden sie den Vertrag nicht verlängern."
Der Dachverband der Berliner Kinder- und Schülerläden Daks beobachtet mit Sorge die Entwicklung: Immer mehr Kitas erleben Mieterhöhungen, die sie nicht mehr bezahlen können. Oder ihnen wird gleich gekündigt. In den letzten anderthalb Jahren waren 13 der rund 550 Verbandsmitglieder von Verdrängung betroffen, berichtet Barbara Sperle:
"In den ersten Jahren, die ich hier war, hatten wir das überhaupt nicht. Nie. Da gab es Streit, da gab es Probleme. Aber dass Kinderläden gekündigt wurden, war die absolute Ausnahme. Deswegen fällt es jetzt schon auf, dass es plopp, plopp, plopp macht und mehrere Kinderläden gleichzeitig anrufen und sagen, wir sind gekündigt."
Die Nachfrage an Kitaplätzen steigt
Dabei wächst die Nachfrage an Kitaplätze in der Stadt ständig an. Nach Angaben der Bildungsverwaltung werden jedes Jahr rund 5000 zusätzliche Plätze benötigt. Neben den großen städtischen Kindergärten sind die kleinen Kitas ein fester Bestandteil des Angebots geworden. Immerhin neun Prozent der Kinder unter sechs Jahren werden hier betreut. Die meisten dieser kleinen Kitas wurden in den 70er- und 80er-Jahren als Alternative zu den städtischen Einrichtungen gegründet. Die antiautoritäre Erziehung von damals ist inzwischen überholt. Geblieben ist die enge Zusammenarbeit von Erzieherinnen und Eltern. Die Eltern übernehmen die Verwaltungsarbeit, renovieren und helfen aus. Ohne diese Selbsthilfe könnten Kitas wie Girotondo nicht bestehen.
"Es ist eine sehr familiäre Atmosphäre. Es ist eine kleine Kita mit 24 Kindern und nicht zweihundert. Ich denke, für kleine Kinder ab zwei Jahre ist es das Beste, was man machen kann. Und dazu ist es natürlich auch schön, dass die Eltern sich engagieren und sich in Gruppen zusammentun und was für die Kita machen."
Stefania Maffeis hat ihren Sohn in der Kita und gehört zu den Eltern, die jetzt systematisch die Umgebung der Kita nach leerstehenden Räumen durchkämmen, und auch in anderen Bezirken suchen. Bislang ohne Erfolg. Viele Vermieter wollten keine Kitas, berichtet Maffeis. Oder sie verlangten unbezahlbare Mieten.
Doch wie können soziale Einrichtungen wie Kitas vor Verdrängung geschützt werden? Mietzuschüsse vom Land Berlin würden nach Ansicht von Sperle lediglich die Preise weiter in die Höhe treiben. Ein Kündigungsschutz für soziale Träger hätte zur Folge, dass kaum ein Eigentümer noch an eine Kita vermieten würde.
"Ich glaube, was man wirklich stärker in den Blick nehmen muss, ist die Frage, wie geht man mit den noch vorhandenen öffentlichen Immobilien um, mit dem Bestand. Und da gibt es eine große Unsicherheit, dass die Senatsverwaltung und die Bezirke sich das gegenseitig zuschieben und niemand so richtig weiß, was haben wir eigentlich noch an Immobilien, was soll mit denen passieren, haben wir da irgendwie Zugriff. Das ist eine politische Entscheidung."
Geld für die leeren Kassen
Denn die städtischen Immobilien werden vom Liegenschaftsfonds verwaltet, der vor allem durch Verkauf Geld in die leeren Kassen der Stadt bringen soll. Geeignete öffentliche Räume zu finden, sei schwierig, sagt auch Sigrid Klebba, Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Bildung.
"Wir haben natürlich in der Stadt viele, viele Bedarfe, die auf öffentliche Immobilien zurückgreifen wollen."
Ohnehin sieht das Land Berlin bislang kaum Handlungsbedarf. Staatssekretärin Klebba sind lediglich acht Fälle bekannt, in denen eine Kita aus ihren Räumen musste. In allen Fällen konnten die Eltern neue Räume finden, und die Kita konnte ihre Arbeit fortsetzen.
"Wenn dieses in Größenordnungen, die uns vor die Situation stellen, dass uns Plätze verloren gehen, die wir dringend brauchen, dann muss natürlich auch das Land Berlin diese Situation bewerten und Maßnahmen und Lösungen finden, wie wir dort in anderer Weise Unterbringung schaffen."
Mit den kleinen Kitas würden aber nicht nur Betreuungsplätze verloren gehen, sondern auch ein Stück Kultur. Denn mit ihrem Engagement schaffen die Eltern einen Ort, an dem die Kinder sehr direkt gefördert werden können. So hilft die zweisprachige Erziehung bei Girotondo den Kindern auch später, wenn sie eine deutsch-italienischen Europaschule besuchen. Immerhin können die Erzieherinnen und Eltern von Girotondo auf eine finanzielle Umzugshilfe vom Senat hoffen. Die Kreuzberger Kita dürfte eine Unterstützung von 1000 Euro pro Kind für die Ausbau-Arbeiten erhalten, die dann nötig werden, wenn endlich neue Räume gefunden sind.
Doch das Grundproblem bleibt bestehen: Girotondo und andere kleine Einrichtungen müssen weiter mit steigenden Mieten rechnen. Die Kitas mit ihrem knappen Budget werden an anderer Stelle sparen müssen: beim Personal. Und damit auch an der Qualität der Betreuung.
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