"Immer unterscheiden zwischen Islam und Islamismus"

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Gespräch mit Marietta Schwarz · 21.09.2010
"Einfache Antworten" helfen laut Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) in der Integrationsdebatte nicht weiter. Sie hält am im Grundgesetz vorgesehenen Prinzip der staatlichen Zurückhaltung für den Umgang mit den verschiedenen Religionen fest.
Marietta Schwarz: Islamismus auf der einen Seite, die Angst vor dem Islam auf der anderen. – Das sind wichtige, brisante Themen in unserer Gesellschaft geworden. Keine Debatte über Einwanderung oder Integration kommt ohne das Thema Religionszugehörigkeit aus, und die birgt – wie man auch in jüngster Zeit sehen kann – eine Menge Sprengstoff. Religionsfreiheit, Religionsausübung und die Gleichheit der Religionen sind deshalb zentrale Themen auf dem 68. Deutschen Juristentag, der heute in Berlin beginnt. Und darüber spreche ich mit Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, guten Morgen!

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Guten Morgen, Frau Schwarz!

Schwarz: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die religiöse Landschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten in Deutschland verändert. Liefert da unsere Verfassung wirklich alle Antworten auf die Probleme, die sich durch das Nebeneinander von verschiedenen Religionen ergeben?

Leutheusser-Schnarrenberger: Unsere Verfassung denke ich liefert eine sehr gute Grundlage und den richtigen Rahmen. Denn es obliegt ja der freien Entscheidung der Religionsgemeinschaften, wie sie sich in Deutschland im Rahmen unserer Verfassung betätigen. Ich denke, dass unsere Verfassung mit der Zurückhaltung des Staates in diesem Bereich wirklich auch heute aktuell und passend ist. Es geht mehr um die Frage, ob die einfach gesetzliche Gesetzgebung so auch den Entwicklungen Rechnung trägt.

Schwarz: Aber dennoch stoßen wir doch dauernd an unsere Toleranzgrenzen, zum Beispiel in der Diskussion um Verschleierung oder islamischen Religionsunterricht. Was ist denn die im Grundgesetz verankerte Neutralität in Religionsdingen wert, wenn sie gar nicht gelebt wird?

Leutheusser-Schnarrenberger: Entscheidend ist doch, dass einmal unsere freie Religionsausübung natürlich auch das zulässt, was im Rahmen der Werteordnung des Grundgesetzes zulässig ist. Natürlich gehört dazu auch, dass es islamischen Religionsunterricht gibt, vorwiegend natürlich in deutscher Sprache. Das ist ein wichtiges Ziel. Dass es natürlich auch Lehrstühle gibt, um gerade den Islam dort auch deutschen Professoren beizubringen, damit nicht nur die Lehrer aus anderen Staaten kommen.

Unser Grundgesetz deckt das ab und unser Grundgesetz gibt wirklich den richtigen Rahmen. Ich glaube, es ist wirklich letztendlich die Sache, wie wir es auch schaffen, natürlich mit den Vertretern der verschiedenen Religionsgemeinschaften. Und wir denken da jetzt ja gerade immer an den Islam – solche Strukturen zu schaffen, dass im Rahmen dieses Miteinanders dann auch diese Religion gelebt wird.

Schwarz: Wie müssten diese Strukturen aussehen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Der Islamgipfel versucht ja seit einigen Jahren, hier auch Strukturen zu finden, damit Träger für islamischen Religionsunterricht geschaffen werden können. Hier haben wir eine Pluralität der Organisationen und Institutionen, anders als das bei den christlichen Religionen der Fall ist. Und da wird ja versucht, durch Zusammenschlüsse auch gerade in den Ländern unter Berücksichtigung ihrer Gegebenheiten entsprechende Möglichkeiten zu schaffen und zu forcieren, und hier auch im Dialog mit den Religionsgemeinschaften dahinzukommen. Das ist ein Prozess, aber ich denke, er entwickelt sich doch eher positiver.

Schwarz: Wie müsste denn unsere Verfassung konsequent angewendet werden, um diesem Wachsen von Parallelgesellschaften – und dieses Problem haben wir ja hier in Deutschland – entgegenzuwirken?

Leutheusser-Schnarrenberger: Unsere Verfassung muss da nicht in irgendeiner Form geändert werden. Aber es ist natürlich richtig, sie muss gelebt werden. Und von daher ist das die Frage, wie kann Integration erfolgreich gelingen auf beiden Seiten – aufseiten derjenigen, die hierher kommen, der Migrantinnen und Migranten, und natürlich auch aufseiten der hier lebenden Menschen, der Aufnahmegesellschaft.

Und da helfen nicht einfache Antworten, das haben wir den Debatten der letzten Wochen ja entnehmen können. Hier muss gefördert werden, gerade was Sprachvermittlung, deutsche Sprachvermittlung angeht, intensivste Förderung im frühkindlichen Alter, damit nicht schon in der Schule wir merken, dass es sich auseinanderentwickelt. Aber wir müssen natürlich auch deutlich machen: Wer hier lebt, muss sich eben auch an unsere rechtlichen Bestimmungen und Gebote halten, und das, da liegt noch einiges vor uns, da gibt es natürlich anerkanntermaßen auch Defizite.

Schwarz: Und da sind wir dann bei dem großen Thema Integration. Bei allen Integrationsdebatten wird ja auch immer über Religionszugehörigkeit gesprochen, nämlich über die zum Islam. Wie viel hat Integration mit Religion zu tun?

Leutheusser-Schnarrenberger: Integration hat in Deutschland natürlich viel auch mit Religion zu tun, denn es gibt einen ja nicht unerheblichen Anteil von Menschen, die dem Islam angehören und diese Religion leben. Aber wir müssen immer unterscheiden zwischen Islam und Islamismus, mit der Religion, mit der islamischen Religion. Da gibt es sehr wohl den Weg, auch friedlich, des friedlichen Miteinanders.

Und es sind ja nicht alle, die dem Islam angehören, damit auch religiöse Fanatiker. Das sind einige, aber es erfordert schon gerade auch vonseiten des Staates hier mit Aufeinander-Zugehen, aber auch mit Einfordern des Sich-Einhaltens an unsere Regelungen, aktives Tun. Das passiert seit einigen Jahren, aber wir haben eben auch davor einige Jahre eindeutig nicht in dieser Richtung genutzt.

Schwarz: Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger war das. Ihnen herzlichen Dank für das Gespräch!

Leutheusser-Schnarrenberger: Danke schön!
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