Immer ohne Plan B

Von Elissa Hiersemann · 13.04.2008
Es war eine hochkarätige Besetzung, die der Art Directors Club Deutschland, kurz ADC, zu bieten hatte: Karl Lagerfeld, Michael Ballhaus, Jonathan Meese und Michael Michalsky erzählten von ihrem Weg zum großen Erfolg. Anlass des "Gipfels der Kreativität" war die jährliche Kür der besten Werbeideen des deutschsprachigen Raums.
Wäre die Kreativität eines Menschen an seiner Popularität zu messen, wäre Karl Lagerfeld der unumstrittene Gewinner des "Gipfels der Kreativität" gewesen. Der Auftritt der Modeikone am Freitagnachmittag löste schon im Vorfeld großes Gedränge beim ADC-Festival aus. Das Auditorium in den Premiumhallen am Gleisdreieck war rappelvoll mit den kreativsten Köpfen der Branche.

Sie alle wollten Lagerfeld sehen und natürlich kam es, wie es kommen musste: Der Meister verspätete sich. Nach zwei akademischen Vierteln stand das "Mensch gewordene Marketing" - wie ihn das Programmheft ankündigte - , dann auf der Bühne und gab sich gewohnt unbescheiden.

Lagerfeld redete über sein improvisiertes Leben ohne Abi, ohne Modeschule oder Studium und was dennoch aus ihm geworden ist. Nämlich ein "Autofaschist", der eigentlich nur seine eigene Meinung gelten lässt. Beim Publikum kam diese ironische Selbsteinschätzung Lagerfelds extrem gut an:

"Der hat 'nen Witz in den Sachen, die er sagt, die aber handfest seine Meinung widerspiegeln. Man nimmt ihm alles ab, was er sagt. Kommt sehr authentisch rüber."

"Ich fand das extrem erhellend und ich fand, dass Herr Lagerfeld ein paar wirkliche Weisheiten von sich gegeben hat, die man auf alle Berufsgruppen übertragen kann",

sagte ein anderer Teilnehmer. Die Rede ist von Lagerfelds Leitmotiv, dass er selbst als "no second option" bezeichnet. Was bedeutet, dass man niemals einen Plan B haben sollte. Denn Plan B zeige einfach nur, dass man sich über Plan A nicht wirklich Gedanken gemacht hat. Stattdessen sollte man mehr auf seine Intuition und etwas Glück vertrauen. Und sich immer bewusst sein, dass Kreativität nicht demokratisch sei. Eine Aussage, an der sich auf dem Gipfel der Kreativität die Geister schieden:

"Ich finde das sehr gut, weil ich finde er hat recht, weil es sonst verwässert."

"Das kann er sich natürlich leisten in seiner Position. Aber in der Wirklichkeit sieht das, glaube ich, etwas anders aus."

Ein anderer Weltstar, der im letzten Jahr seinen Wohnsitz von Hollywood zurück nach Deutschland verlegte, war auch auf dem ADC-Kongress eingeladen. Michael Ballhaus warb in eigener Sache für das Ballhaus-Projekt. Der ehemalige Leib- und Magenkameramann von Martin Scorsese ließ sich von Leonardo DiCaprios "Die elfte Stunde", einer Dokumentation zum Klimawandel, zu seinem Projekt inspirieren.

Zusammen mit den Werbeexperten von Springer & Jacobi will Ballhaus anstelle von moralinsauren Spots, die mit dem erhobenen Zeigefinger argumentieren lieber auf persönliche Erfahrung setzen. In den kurzen Werbefilmen soll eine einzige Frage optisch umgesetzt werden - nämlich: Was würde Ihnen fehlen, wenn der Klimawandel weiter ungehindert fortschreitet? Michael Ballhaus selbst drängte sich ein Bild aus seiner Jugend auf:

"Das ist die Idee von der Eisblume. Ich habe als kleiner Junge in einem Haus mit Ofenheizung gewohnt, und es gab diese wunderschönen Eisblumen. Auf der einen Seite ist es natürlich gut, dass es das nicht mehr gibt, weil die Fenster isoliert sind. Trotzdem ist es ein poetisches Bild von einer Eisblume, die schmilzt und dahinter sieht man ein unglaublich schönes Alpenpanorama. Es ist eine Parabel. Vielleicht erzählt es den Leuten was, dass sie dran denken, dass die Alpen auch nicht mehr so aussehen ín zehn Jahren."

Dieser Spot ist bereits abgedreht und soll zusammen mit anderen Kurzfilmen von Prominenten wie Volker Schlöndorff, Fatih Akin oder Marius Müller Westernhagen ab Juni in den Kinos laufen. Und nicht nur das, die Werbefilme sollen die Leute bewusst dazu anregen, privat wenigsten 20 Prozent Energie einzusparen. Dafür gibt es eine Mitmachdevise, die Eric Heitmann, der Kreativchef von Springer & Jacobi so beschreibt:

" Wir bitten die Leute, Freunde des Ballhausprojektes zu werden, sich quasi zu verpflichten - eine freiwillige Selbstverpflichtung - ihre Energiebilanz zu verbessern. Dabei geben wir Tipps und Hinweise, wie man das machen und berechnen kann. Wie man seinen CO2-Ausstoß berechnen kann und weiß, die Tomate die man nachher auf dem Abendbrottisch hat, wie viel CO2 dafür in die Luft geblasen wurde."

Bei so viel Prominenz und guten Absichten konnte man das eigentliche Anliegen dieses "Gipfels der Kreativität" leicht aus den Augen verlieren. Die über 8000 eingereichten Exponate - so viele wie nie zuvor. Bisher auch selten vorhanden, war die Tatsache, dass unter den eingereichten Arbeiten eine Kampagne sowohl dem Publikum als auch der Jury sehr gefiel. Egal, wen man fragte, diese Kampagne ist den meisten Menschen im letzten Jahr angenehm aufgefallen:

"Die Horst Schlämmer Kampagne. Die ist aufgrund ihrer Verbreitung, der Masse wie sie geschaltet wurde und den Spaß, den sie gemacht hat, ist sie mir spontan in Erinnerung geblieben."

Der Clou an dieser Kampagne ist, dass man Hape Kerkelin alias Horst Schlämmer im Internet, Fernsehen oder den Zeitungen durch seine Führerscheinprüfung begleitet und erst auf den zweiten Blick mitbekommt, dass es sich hierbei um Werbung für die Automarke Volkswagen handelt. Ein Geniestreich der Werbeagentur DDB, der zeigt, dass Werbung ruhig auch schnoddrig, volksnah und vor allem zum Lachen sein darf.

Bei der Performance des wahlweise als abgedrehten Scharlatan, Kunst-Samurai oder Nazi-Trash-Künstler bezeichneten Jonathan Meese blieb manchen Kreativen das Lachen im Halse stecken. Meese wurde auf den Gipfel der Kreativität eingeladen, um seine "Inthronisation der Diktatur der Kunst" vorzustellen und hielt der Branche oft den Spiegel vor. Er gab während seiner anderthalbstündigen Performance alles:

"Kreativität erzeugt keine Utopie. Kreativität bedeutet immer nur verharren im Status Quo. Es ist Systemillustration das ist widerliche Kreativität. Das illustrieren, was angeblich so ist. Es hat aber überhaupt nichts neues an sich."

Den Ausweg aus dieser Misere sieht Jonathan Meese einzig und allein im Stoffwechsel. Er trug seine Thesen mit reichlich Alkohol im Blut vor, was ausdrücklich gewollt war, weil er den Stoffwechsel anrege.

Meese: "1. Die Diktatur der Kunst ist die einzige Alternative - also Stoffwechsel. 2. Die Regierungsform der Zukunft wird Metabolismus heißen, also Stoffwechsel. Alles wird sich demnach dynamisch selbst organisieren. Nach den Gesetzen des Stoffwechsels - siehe Scarlett Johannson: Alles ist gespannt, üppig, vorrevolutionär. 3. Wer seinen Stoffwechsel unterdrückt ist Selbstverwirklicher."

Und Selbstverwirklicher sind Jonathan Meese ein Graus. Da geht er lieber mit seiner Mutter zum Japaner essen. Wo es fantastisch schmeckt, aber auch immer irgendwie gleich. Das ist ihm lieber als diese ständige Nabelschau der kreativen Gipfelstürmer.

Service: Bis zum 14. April um 18 Uhr können Sie sich in den Premium-Hallen in der Luckenwalder Straße 4-6 in Berlin-Kreuzberg noch die Ausstellung mit den Gewinnern und den übrigen Bewerbern um den Werbepreis ansehen. Die Karten kosten zehn Euro, ermäßigt acht Euro.