Immer noch aktueller Klassiker

Die große Kluft zwischen den Lebensphilosophien zweier Generationen ist das beherrschende Thema in Turgenjews Roman "Väter und Söhne" - ein Thema, das auch fast 150 Jahre nach Erstveröffentlichung aktuell ist. Man denke zum Beispiel an die jüngsten Diskussionen um die Ideale der sogenannten "68er" und die dazu ganz gegensätzliche Pragmatik ihrer Kinder und Enkel.
Doch auch aus anderen Gründen lohnt die Lektüre des neu herausgegebenen Romans - eines großen Klassikers der russischen Literaturgeschichte, der jetzt aus Anlass des 125.Todestags Turgenjews erschienen ist. Der Schriftsteller ist einer der bedeutenden Vertreter des russischen Realismus und hat neben sechs Zeitromanen vor allem die Gattung der Novelle mit wunderbaren Erzählungen bereichert. Sie sind u.a. im Erzählband "Unheimliche Geschichten" zusammengefasst, ebenfalls in diesem Jahr zum Jubiläum erschienen.

"Väter und Söhne" spielt zwei Jahre vor Aufhebung der Leibeigenschaft in Russland, und die anschauliche Beschreibung des russischen Feudalsystems verrät - fast nebenbei - viel über den Ursprung der heutigen russischen Gesellschaftsordnung; erklärt zum Beispiel auch, warum eine zivile Bürgergesellschaft in Russland immer noch so schwer zu verwirklichen scheint.

Zentraler Streitpunkt im Konflikt zwischen den "Vätern und Söhnen" ist der Nihilismus, ein Begriff, der im Roman folgendermaßen definiert wird:

"Ein Nihilist ist ein Mensch, der sich vor keiner Autorität beugt, der kein einziges Prinzip auf guten Glauben hin annimmt!"

Die leibhaftige Verkörperung dieser Haltung ist der Naturwissenschaftler und Positivist Bazarov, ein charismatischer Medizinstudent, der Literatur und Künste als hohle Romantik abtut und stattdessen lieber Frösche seziert und Käfer betrachtet. In der Familie seines adligen Freundes Arkadij Kirsanov prallt Basarov auf eine humanistisch-idealistische Vätergeneration, vertreten vor allen durch den dandyhaften Onkel Arkadijs, der großen Wert auf Etikette legt und sich von den wilden Ideen Basarovs provoziert fühlt.

Es kommt wegen einer Nichtigkeit zu einem Duell zwischen den beiden, das glimpflich abläuft. Basarov flieht ins Elternhaus, infiziert sich bei einem Bauern mit Typhus und stirbt. Auch eine unglückliche Liebesgeschichte ist in die Handlung eingewoben - sie scheitert nicht zuletzt an den Standesunterschieden zwischen dem einfachen Arztsohn Basarov und einer vom Luxus verwöhnten Adligen.

Während Turgenjews Kritik am russischen Feudalsystem überdeutlich wird, ist seine Position gegenüber den Nihilisten eher unentschieden. Der Literat hegt große Sympathien für die Vätergeneration, für Schöngeist und Maß, gleichzeitig sieht er die dringende Notwendigkeit der Jungen, Veränderungen und Reformen vorzunehmen, Neues zu wagen.

Turgenjew verbrachte die meiste Zeit seines Lebens im Westen, was ihm von vielen Zeitgenossen den Vorwurf einbrachte, er kenne die russischen Verhältnisse nicht wirklich. Dieser bewegende, vielschichtige Roman zeigt das Gegenteil.

Rezensiert von Olga Hochweis

Ivan S. Turgenjew: Väter und Söhne
aus dem Russischen von Manfred von der Ropp
dtv, München 2008
250 Seiten, 8,90 Euro

Außerdem:
Ivan S. Turgenjew: Unheimliche Geschichten
aus dem Russischen von den Übersetzern der Mitauer Ausgabe und von Ena von Baer
dtv, München 2008
235 Seiten, 8,90 Euro