"Image ist mehr als nur Geschmack"

Günter Birnbaum im Gespräch mit Susanne Führer |
Der Bierkonsum in Deutschland nimmt kontinuierlich ab. Die Versuche der Brauereien, neue Zielgruppen zu erschließen, sind nur zum Teil erfolgreich, sagt der Konsumforscher Günter Birnbaum. Bier habe immer noch ein bestimmtes Image, das z.B. bei Frauen und Jugendlichen nicht angesagt sei.
Susanne Führer: Am liebsten trinkt der Deutsche Kaffee, 150 Liter im Jahr. Es gab auch mal Zeiten, zu denen er genauso viel Bier getrunken hat, das war so Mitte der 70er-Jahre. Inzwischen aber schaffen Deutschlands Biertrinker nur noch 111 Liter jährlich. Um die Zahlenreihen abzukürzen: Es geht kontinuierlich bergab mit dem Bierkonsum, ausgerechnet in dem Land, das das Reinheitsgebot erfunden hat. Alles schal oder was, warum schmeckt uns das Bier nicht mehr? Das ist nun mein Thema mit Günter Birnbaum, er ist verantwortlich für den Getränkesektor bei der GfK Verbraucherforschung in Nürnberg. Guten Morgen, Herr Birnbaum!

Günter Birnbaum: Schönen guten Morgen, Frau Führer!

Führer: Tja, Herr Birnbaum, wie ist das? Deutschland hat in Sachen Bier "Flasche leer", wie ja mal ein berühmter italienischer Fußballtrainer gesagt hat, der Bierkonsum geht seit Jahren zurück, warum?

Birnbaum: Ja, da gibt es sicherlich mehrere Gründe, aber lassen Sie mich vorwegschicken eine Aussage oder eine Erkenntnis, die nicht nur die Deutschen betrifft, das heißt, wir stellen fest, dass alle starken oder früher starken Biernationen im Moment mehr oder weniger stark leiden unter einem Rückgang – das ist ein Phänomen, was wir in vielen Ländern feststellen –, so wie umgekehrt ehemals starke Weinländer wie Italien, Frankreich eher zum Bier tendieren, oder Russland, was ja für seinen Wodka bekannt ist, verstärkt Bier konsumiert. Das heißt, wir stellen fest, dass diese starken Ausprägungen im Getränkekonsum sich zunehmend nivellieren.

Führer: Also es ist nicht so, dass insgesamt weniger Alkohol getrunken wird?

Birnbaum: Nein, nein, es ist ein Austausch, das heißt, die Konsumenten, denen vielleicht diese einseitige Orientierung zu langweilig geworden ist, die versuchen Alternativen zu finden, und in dem einen Land ist es der Wein, in dem anderen Land ist es das Bier. Und wie gesagt, in Deutschland ist es dasselbe Phänomen.

Und wie Sie schon richtig anmoderiert haben, es ist nicht mehr neu, dass Deutschland kontinuierlich im Biermarkt verliert. Und wenn wir auf die Gründe eingehen, so sind die vielfältig. Und es ist ja auch so, dass nicht alle Brauereien verlieren, es gibt ja durchaus einige, die hier erfolgreich weiter in diesem Markt operieren. Und ich würde mal als Hauptgrund benennen, es gelingt den deutschen Brauern nicht, genug neue Bierkonsumenten zu rekrutieren, wenn man das mal so sagen darf, das heißt also, neue Konsumenten anzusprechen, auf der anderen Seite dem demografischen Wandel folgend immer mehr Stammkäufer zu anderen Getränken tendieren oder schlichtweg aus dem Biermarkt ausscheiden.

Führer: Weil sie sterben? Um es jetzt mal klar auszudrücken.

Birnbaum: Weil sie sterben, ja.

Führer: Um es jetzt mal klar auszudrücken, im demografischen Wandel.

Birnbaum: Ja, genau.

Führer: Oder vielleicht auch im Alter ein bisschen weniger trinken?

Birnbaum: Natürlich. Es ist ja bekannt unter Medizinern, dass je älter man wird, eigentlich immer weniger Flüssigkeit aufnimmt, und das ...

Führer: Gilt auch fürs Bier.

Birnbaum: Das gilt auch natürlich fürs Bier, und auf der anderen Seite junge Konsumenten nachwachsen, die entweder gar kein Bier trinken oder sehr viel weniger als die Etablierten, und somit ergibt sich statistisch dieser rückläufige Pro-Kopf-Konsum.

Führer: Herr Birnbaum, es gibt ja eine große Problemgruppe fürs Bier, das sind die Frauen. Die nationale Verzehrsstudie II, sie hat für das Jahr 2008 nämlich einen Konsum von gut 92 Litern Bier bei Männern, aber nur von 14 Litern Bier bei Frauen im Jahr ermittelt. Liegt das am Geschmack des Bieres oder am Image des Bieres oder an den Frauen?

Birnbaum: Ja, ich denke mal, da kann man keinem die Schuld zuweisen. Und wenn Sie von Problemgruppe Frauen gesprochen haben, die Brauer sehen das umgekehrt, sie sehen das als große Chance, die Damen, das weibliche Geschlecht an den Biermarkt heranzuführen, um damit, sag ich mal, ein Potenzial zu generieren. Aber das ist völlig richtig, es ist ein Phänomen, dass eben Frauen deutlich weniger Bier trinken, und ja, es ist eine Frage des Image, in der Tat. Wenn Sie heute mal sich anschauen den Konsum von Frauen, Getränkekonsum, da ist der Prosecco in, da ist Prosecco Aperol in, da ist auch das Gläschen Wein in, aber Bier hat da so ein etwas, sagen wir, schweres, ja nicht frauentypisches Image, und generell gesehen ist da eben, sagen wir, eher Abneigung als Zuneigung.

Führer: Nun versuchen die Brauereien, da ja gegenzusteuern, also das Bier wird so schicker gemacht und vor allen Dingen weniger bitter, um die Frauen zu gewinnen, das sind dann solche Biere, die im Zusatz "Gold" daherkommen oder auch "Sun". Ich habe gehört, Insider nennen das abfällig "Pussy-Bier". Ist das ein Ausweg, Herr Birnbaum?

Birnbaum: Es ist kein Ausweg, nein, nein, das ist einfach der Versuch einiger Brauer, nicht aller, ganz weniger, hier in der Tat mit einem neuen Produkt, was eben deutlich milder ist als die etablierten Biere, diese Hemmschwelle, diese Eintrittsschwelle, diese geschmackliche Eintrittsschwelle zu minimieren, um Frauen zum Bierkonsum zu animieren. Aber man sieht eben nach einer gewissen, ja, Anfangseuphorie, dass das doch sehr schnell wieder abgeebbt ist und dass der Geschmack alleine beim Bier nicht das Entscheidende ist, um Zielgruppen an den Biermarkt heranzuführen. Image ist mehr als nur Geschmack, es ist das ganze, ich sag mal, Drumherum, die Welt, die Bier heute verkörpert, die eben doch eine deutlich andere ist, als wenn wir, wie gesagt, über einen Prosecco sprechen oder ein Gläschen Wein sprechen. Es ist ein Imageproblem, was in der Tat Bier in einigen Zielgruppen hat.

Führer: Günter Birnbaum von der Gesellschaft für Konsumforschung im Deutschlandradio Kultur über den sinkenden Bierkonsum in Deutschland und das Problem mit dem Image des Biers. Sie haben vorhin gesagt, die Jugend greift nicht so richtig zum Bier. Da hat man ja nun diese ganzen Biermixgetränke versucht und bewirbt die auch entsprechend jugendlich, aber ist das nicht auch ein bisschen ein Problem, denn ich meine, man hat nun jahrzehntelang, um nicht zu sagen jahrhundertelang gesagt, das deutsche Bier folgt dem deutschen Reinheitsgebot, also mit der Tradition geworben, und nun entsteht da plötzlich so ein Widerspruch?

Birnbaum: Das ist ein scheinbarer Widerspruch. Es ist ja nicht so, dass jetzt typische deutsche Pilsmarken, die im Fernsehen beworben werden, plötzlich eine Kehrtwendung vollziehen. Die werben ja weiter in ihren Welten, mit ihren Argumenten. Es ist vielmehr so, dass zusätzlich in den Markt hinein – diese sogenannten Biermischgetränke begannen mal vor 15 Jahren mit Cola-Bier, setzten sich dann mit Tequila-Bier und, und, und fort – versuchte man eben zusätzlich, zu seinen etablierten Bieren neue Produkte in den Markt zu bringen, um, wie gesagt, dieser demografischen Entwicklung zu begegnen und junge Konsumenten, die eben für das klassische Bier nicht ansprechbar sind oder nur wenig ansprechbar sind, zu begeistern.

Aber auch da hat sich gezeigt, dass eben gerade die Jugend doch sehr trendorientiert ist, und heute nach einer relativ langen Zeit stellen wir fest, dass insgesamt dieser Markt auch schon stagniert und nur ganz wenige Brauer, nur ganz wenige Brauer hier in der Tat sehr erfolgreich diese Zielgruppen ansprechen, um für sich Zusatzvolumen zu generieren. Aber das heißt nicht Kehrtwendung, sondern heißt einfach, die Jungkonsumenten mit anderen Argumenten – und das ist aus der Sicht des Marketings durchaus nachvollziehbar – mit anderen Argumenten anzusprechen, weil man erkannt hat, mit Tradition und Reinheitsgebot alleine kann man diese Gruppe nicht begeistern.

Führer: Es ist ja auch ziemlich schwierig geworden inzwischen, für Bier Werbung zu machen. Ich habe gelesen, dass in den 60er-Jahren noch 70 Prozent des Biers in den Gaststätten getrunken wurde. Das heißt, da mussten sich die Brauereien eigentlich nur mit den Wirten auseinandersetzen. Heute wird nur noch zehn Prozent des Bieres in den Gaststätten getrunken und der Rest eben zu Hause. Das heißt, man hat mit Millionen Einzelkonsumenten zu tun. Das ist dann ja auch eine schwierigere Lage als früher, vielleicht sind die Brauereien da noch nicht so gut drauf eingestellt?

Birnbaum: Ja, aber ich will zunächst korrigieren, das sind keine zehn Prozent, das wäre etwas sehr krass. Also wir gehen davon aus, dass etwa 30 bis 35 Prozent, also etwa ein Drittel des Bieres heute außer Haus konsumiert wird und der Rest in der Tat zu Hause. Aber es ist völlig richtig, was Sie beschreiben, das Phänomen, dass es eine deutliche Verlagerung gerade in den letzten zwei Jahren gibt, vom Außer-Haus-Konsum in den Haushaltkonsum hinein. Wir sprechen von diesem sogenannten Homing-Effekt.

Und wenn Sie die Zahlen sich, schon die ersten Zahlen der Gastronomen anschauen für das vergangene Jahr, da sind hier doch erhebliche Rückgänge zu verzeichnen, und damit, völlig richtig, die Ansprache der Konsumenten schwieriger wird, weil wer in der Kneipe sitzt, wer im Restaurant sitzt, dort fast zwangsläufig mit Marken in Berührung kommt, weil hier sehr viel investiert wurde, und jetzt zu Hause den Konsumenten zu erreichen über Fernsehen, über neue Medien sehr viel schwieriger ist.

Und das ist die Herausforderung in der Tat, dem zu begegnen. Wobei der Rückgang der Werbung insgesamt natürlich auch damit zu tun hat, dass heute sehr viel weniger Akteure am Markt aktiv sind, das heißt in der Branche parallel zum rückläufigen Bierkonsum natürlich eine enorme Konsolidierung in den vergangenen Jahren stattfand. Wir haben größere Braugruppen gegenüber früher, wo wir viele Einzelbrauereien haben, die aber in diesen Braugruppen entweder aufgegangen sind oder ganz vom Markt verschwunden sind.

Führer: Es gibt ja erstaunlicherweise auch Biermarken, die es ganz ohne Werbung schaffen, zum einen Oettinger, also das ist ein Billigbier, ja, aber die umsatzstärkste deutsche Brauerei ...

Birnbaum: Richtig.

Führer: Sieben Millionen Hektoliter, habe ich gelesen, schaffen die im Jahr zu verkaufen. Und ein anderes Beispiel, also sozusagen am anderen Ende ist Rothaus, das ist dieses berühmte Tannenzäpfle-Bier aus dem Hochschwarzwald, was in den Berliner Szenekneipen getrunken wird, die haben auch nie Werbung für sich gemacht. Wie funktioniert das bei diesen beiden?

Birnbaum: Ja, Sie sprechen zwei Marken an, die völlig unterschiedliche Felder belegt haben, wie Sie schon richtig sagen. Oettinger belegt den Preiseinstieg. Man legt natürlich immer Wert darauf, ein Bier nach deutschem Reinheitsgebot muss nicht teuer sein. Oettinger verzichtet auf Werbung, verzichtet auf andere Dinge, um es preisgünstig anzubieten, das heißt, man hat hier ein Segment im Biermarkt nachhaltig und konsequent belegt, was eben heißt Preiseinstieg.

Während das von Ihnen zitierte Rothaus ja kein Billigbier, sondern eher ein teures Bier, das eben in den Studentenkneipen Freiburgs großgeworden ist und sich dort als Trendbier etabliert hat und eben eine bestimmte Welt – wenn ich es mal etwas abstrakt formulieren darf – eine bestimmte Welt verkörpert, die von dieser Zielgruppe – Studenten, junge Konsumenten, Szenekneipe Berlin – angenommen wird. Und das ist genau das Thema eigentlich im Biermarkt, jede Marke versucht eine bestimmte Welt zu belegen, zu verkörpern. Sie kennen das grüne Segelschiff, Sie kennen den See, der im Sauerland still vor sich ruht, ja, ...

Führer: Vor dem Tatort!

Birnbaum: Vor dem Tatort oder vor irgendwelchen Sportevents, ja. Das heißt, dass jede Marke versucht, hier bestimmte Welten zu belegen, und ich vergleiche es immer wie ein Heißluftballon, der in dieser Drift des Windes, der Winddrift mitgerissen wird, das heißt also, der Trend trägt diese Marken, aber – und auch das Phänomen ist bekannt – nach einer, sag ich mal, längeren Zeit die Bedürfnisse bei den Konsumenten sich verändern oder der Drang, etwas Neues zu probieren, in der Tat dafür sorgt, dass jede dieser Biermarke, die in der Vergangenheit nach oben gehoben wurde, irgendwann kippt und wieder nach unten, sag ich mal, sich entwickelt, weil eben der Trend gewechselt hat.

Führer: Günter Birnbaum war das, verantwortlich für den Getränkesektor bei der GfK Verbraucherforschung in Nürnberg. Ich danke Ihnen herzlich fürs Gespräch, Herr Birnbaum!

Birnbaum: Herzlichen Dank, Frau Führer!

Führer: Tschüss!

Birnbaum: Tschüss!