Im Zauberland des Patriarchats

Rezensiert von Carola Wiemers |
Seit dem Buch "Partygirl" beschäftigt sich die österreichische Autorin mit der Zurichtung des Weiblichen im "Zauberland des Patriarchats". Zur Enthüllung von Machthierarchien propagiert sie eine "neue Sprache". In "Entfernung" beschreibt sie damit die Ängste einer von ihrem Partner getrennten, arbeitslosen Kulturmanagerin, die mit Ende 40 wieder zu ihren Eltern ziehen muss.
Das Glück hat Marlene Streeruwitz längst aus ihren Texten verbannt, wenn es je in ihnen war. Interessiert an den Katastrophen, die vor allem ihre Heldinnen erfahren, fokussiert sie das in der hektischen Geschäftigkeit des Alltags gern übersehene oder bewusst ausgeblendete Geschehen. Ein Geschehen, das die Innenräume der Figuren ausleuchtet, in denen es mehr als nur trist und einsam zugeht.

Ihre Protagonisten, die sich gern weltgewandt und proper geben, schleichen in jenen unbeobachteten Momenten wie einsame Wölfe umher. Verankert in einer globalisierten Medienwelt, finden sie in ihrem ständigen Unterwegssein keine Ruhe. Genau dann, wenn sie völlig erschöpft in sich zusammen sinken, beginnt Streeruwitz sie in ihren Texten aufzufangen.

Denn ihr Thema, das sie seit "Partygirl immer" intensiver bearbeitet, ist die Zurichtung des Weiblichen im "Zauberland des Patriarchats". Wie es in diesem Zauberland zugeht, führte die Autorin 2001 bei einem Kongress an der TU Wien aus. Dabei verwies sie, wie einst Ingeborg Bachmann, darauf, dass nur eine neue Sprache helfen kann, sich der "patriarchalen Erbschaften" zu entledigen. Deshalb plädiert Streeruwitz dafür, das Schreiben nicht aufzugeben.

Und so legt die 1950 in Baden bei Wien geborene Autorin nun einen Roman vor, der dieses Plädoyer verständlicher macht. Im Mittelpunkt steht die 49-jährige Selma, die aufgrund ihrer Arbeitslosigkeit von einer panischen existentiellen Angst erfasst ist. Tief verletzt, drückt sich ihre Verwundung in einem körperlichen Ekel vor sich selbst aus.

Denn Selmas Jobverlust als Kulturmanagerin fällt zeitlich mit der Trennung von ihrem Lebenspartner zusammen. Die gemeinsam proklamierte Lebensphilosophie scheint damit verabschiedet.

"Man hatte nicht geheiratet. Weil das Zusammenleben eine immer neue Entscheidung bleiben hatte sollen. Man hatte keine Kinder gehabt. Weil die Gestaltung der Welt nicht nur über diese Elternmythologie funktionieren sollte. Über diesen Besitz an kleinen Menschen."

Nun muss Selma aus finanziellen Gründen in die elterliche Wohnung zurückkehren, wo sie mit Scham nochmals jene Eltern-Kind-Hierarchie erlebt, die aus ihrer Erinnerung längst verschwunden war. Die Zeit der "täglichen Beleidigung" ist angebrochen.

Ihre verzweifelte Jobsuche führt sie auch nach London, wo sie bei einem Freund neue Aufträge erhofft. Während einer U-Bahnfahrt wird sie in das Terrorattentat vom 7. Juli 2005 verwickelt. Nun gerät die Welt wirklich aus den Fugen und Selma erfährt, was konkrete Todesangst bedeutet.

Marlene Streeruwitz erzählt wieder einmal in syntaktischen Konstruktionen, deren minimalste Form der Ein-Wort-Satz ist. Pointiert und mit scharfen Schnittstellen werden die Sätze wie durch geschlossene Lippen gepresst. In diesem atemlosen Textgewebe erscheint Selmas Flucht vor sich selbst als aussichtsloser Weg durch ein postmodernes Labyrinth.

Marlene Streeruwitz: Entfernung. Roman
S. Fischer Verlag 2006.
475 Seiten. 19, 90 Euro.