Im Wirbel der Worte
Jenny Holzers Medium ist die Schrift: als leuchtende Botschaft auf nächtliche Fassaden projiziert oder als LED-Lichtbänder im Innen- und Außenraum. Die Fondation Beyeler im schweizerischen Riehen bei Basel zeigt neue Werke der 59-jährigen Amerikanerin, die auf Sprache und innovativen Medientechniken basieren.
15 Meter lang ist jedes der zehn Textbänder, die mit ihren Leuchtdioden wie Lavaströme über das Parkett fließen und den Boden überschwemmen mit Worten, Sätzen, Botschaften und Parolen. Pausenlos scheinen die Lichtimpulse aus der Wand zu fluten, um dann plötzlich spurlos im Nichts zu versinken, manchmal so schnell, dass man als Betrachter mitgezogen wird und fast den Halt verliert. Die Schriftsignale rollen, zucken, blinken oder überkreuzen sich – ein Schauspiel von atemberaubender Präsenz und Präzision.
In anderen Räumen biegen sich die Lichtbänder in langen Reihen vom Boden zur Wand, spannen sich als Textbrücken im Saal oder stapeln sich als Säule bis unter die Decke. Buchstabe um Buchstabe rotieren die einprogrammierten Texte vorbei, ein einziger Wirbel von Worten, Schrift und Licht. Kurator Philippe Büttner findet es faszinierend, was Jenny Holzer mit den Texten macht:
"Texte, das sind sonst Dichter, Dichterinnen, Schriftsteller. Sie ist eine bildende Künstlerin, sie verwendet Texte, viele davon sind selbst geschrieben. Sie präsentiert diese aber unter Bedingungen der bildenden Kunst. Sie diktiert mit den Mitteln der LED-Arbeiten zum Beispiel die Art und Weise, wie wir diese Texte überhaupt wahrnehmen können. Der Text kommt uns zum Beispiel extrem schnell entgegen, wir können nur Bruchteile davon überhaupt aufnehmen oder das Ende kommt zuerst, der Anfang dann, also sie rhythmisiert unsere Wahrnehmung dieser Texte auf ganz ganz neue Art mit den Mitteln der Kunst."
Verstörende Sätze lesen wir da: "Machtmissbrauch kommt nicht von ungefähr" oder – Thilo Sarrazin lässt grüßen – "Dumme Leute sollten sich nicht fortpflanzen". Holzers Textbotschaften flackern zwischen Poesie und Dokument, Bekenntnis und Beweis, zwischen Diagnose und Demonstration, emphatischer Propaganda und Provokation.
Ihre Weisheiten und Aphorismen klebte sie schon in den 70er-Jahren auf Hausfassaden, Parkuhren und Straßenlaternen und druckte sie auf Golfbälle, T-Shirts oder Baseballkappen. Hauptsache raus aus dem Museum.
Dann entdeckte sie die blinkende LED-Technik, und ihre Sprüche lernten das Laufen. Meist geht es um die großen Menschheitsthemen: Tod, Gewalt, Liebe, Zärtlichkeit und Angst, in letzter Zeit immer mehr um Politik, um Terror, Krieg und Islamismus. Sie zitiert aus CIA-Akten und Verhörprotokollen, entlarvt Politiker und Militärs und deren Strategie der Täuschung.
"Ihre Beschäftigung jetzt mit dem Irak-Krieg, das ist für sie wirklich eine Art Trauma. Für sie war das eine der Katastrophen der Zeit, und sie versucht da sozusagen mit ihren Mitteln diese ganzen Lügengespinste bloßzulegen, Sie bleibt dabei Künstlerin, sie ist ja keine Journalistin zum Beispiel, sie bleibt Künstlerin, sie macht das mit ihren Mitteln. Aber sie geht da mit ihren Mitteln gegen diese Unwahrheiten vor."
Wie moderne Menetekel funktionieren Holzers Arbeiten, und nicht alle sind so textlastig wie die Schriftbänder. In der Schau hängen auch Serien großformatiger Ölgemälde. Sie wirken wie riesige Siebdrucke und zeigen militärische Lagepläne, Verhörmethoden, Autopsieberichte oder Handabdrücke, großenteils geschwärzt von den Zensurbehörden. Für Holzer heißt das: alles außer Kontrolle, alles Lüge, alles Fälschung.
Auf zwei alten Holztischen hat sie menschliche Knochen ausgebreitet und die exhumierten Gebeine säuberlich sortiert: von Rippenbögen über Rückenwirbel bis zu den Zähnen. Holzers Anklage gegen Mord und Vergewaltigung im Balkankrieg. "Lustmord" lautet der Titel.
Holzer begreift sich als politische Künstlerin, und dass sie als gesellschaftliches Gewissen mit ihrer Kunst auf einem ziemlich verlorenen Posten sitzt, ist ihr klar.
Trotzdem will sie Zeichen setzen, und zwar unübersehbare. In der ersten Novemberwoche lässt sie im Rahmen der Schau lichtstarke Laser- oder Xenon-Projektionen über öffentliche Fassaden klettern, des Nachts und in der Dämmerung, am Basler Rathaus, am Münster, am Bahnhof und anderswo. Riesige Lettern, Worte, Sätze.
Fürs Publikum ein ästhetisches Spektakel von nicht geringem Reiz, und für Jenny Holzer der buchstäbliche Beweis, dass ihre Kunst noch was zu sagen hat.
Service:
Die Ausstellung ist bis zum 24. Januar 2010 in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel zu sehen.
In anderen Räumen biegen sich die Lichtbänder in langen Reihen vom Boden zur Wand, spannen sich als Textbrücken im Saal oder stapeln sich als Säule bis unter die Decke. Buchstabe um Buchstabe rotieren die einprogrammierten Texte vorbei, ein einziger Wirbel von Worten, Schrift und Licht. Kurator Philippe Büttner findet es faszinierend, was Jenny Holzer mit den Texten macht:
"Texte, das sind sonst Dichter, Dichterinnen, Schriftsteller. Sie ist eine bildende Künstlerin, sie verwendet Texte, viele davon sind selbst geschrieben. Sie präsentiert diese aber unter Bedingungen der bildenden Kunst. Sie diktiert mit den Mitteln der LED-Arbeiten zum Beispiel die Art und Weise, wie wir diese Texte überhaupt wahrnehmen können. Der Text kommt uns zum Beispiel extrem schnell entgegen, wir können nur Bruchteile davon überhaupt aufnehmen oder das Ende kommt zuerst, der Anfang dann, also sie rhythmisiert unsere Wahrnehmung dieser Texte auf ganz ganz neue Art mit den Mitteln der Kunst."
Verstörende Sätze lesen wir da: "Machtmissbrauch kommt nicht von ungefähr" oder – Thilo Sarrazin lässt grüßen – "Dumme Leute sollten sich nicht fortpflanzen". Holzers Textbotschaften flackern zwischen Poesie und Dokument, Bekenntnis und Beweis, zwischen Diagnose und Demonstration, emphatischer Propaganda und Provokation.
Ihre Weisheiten und Aphorismen klebte sie schon in den 70er-Jahren auf Hausfassaden, Parkuhren und Straßenlaternen und druckte sie auf Golfbälle, T-Shirts oder Baseballkappen. Hauptsache raus aus dem Museum.
Dann entdeckte sie die blinkende LED-Technik, und ihre Sprüche lernten das Laufen. Meist geht es um die großen Menschheitsthemen: Tod, Gewalt, Liebe, Zärtlichkeit und Angst, in letzter Zeit immer mehr um Politik, um Terror, Krieg und Islamismus. Sie zitiert aus CIA-Akten und Verhörprotokollen, entlarvt Politiker und Militärs und deren Strategie der Täuschung.
"Ihre Beschäftigung jetzt mit dem Irak-Krieg, das ist für sie wirklich eine Art Trauma. Für sie war das eine der Katastrophen der Zeit, und sie versucht da sozusagen mit ihren Mitteln diese ganzen Lügengespinste bloßzulegen, Sie bleibt dabei Künstlerin, sie ist ja keine Journalistin zum Beispiel, sie bleibt Künstlerin, sie macht das mit ihren Mitteln. Aber sie geht da mit ihren Mitteln gegen diese Unwahrheiten vor."
Wie moderne Menetekel funktionieren Holzers Arbeiten, und nicht alle sind so textlastig wie die Schriftbänder. In der Schau hängen auch Serien großformatiger Ölgemälde. Sie wirken wie riesige Siebdrucke und zeigen militärische Lagepläne, Verhörmethoden, Autopsieberichte oder Handabdrücke, großenteils geschwärzt von den Zensurbehörden. Für Holzer heißt das: alles außer Kontrolle, alles Lüge, alles Fälschung.
Auf zwei alten Holztischen hat sie menschliche Knochen ausgebreitet und die exhumierten Gebeine säuberlich sortiert: von Rippenbögen über Rückenwirbel bis zu den Zähnen. Holzers Anklage gegen Mord und Vergewaltigung im Balkankrieg. "Lustmord" lautet der Titel.
Holzer begreift sich als politische Künstlerin, und dass sie als gesellschaftliches Gewissen mit ihrer Kunst auf einem ziemlich verlorenen Posten sitzt, ist ihr klar.
Trotzdem will sie Zeichen setzen, und zwar unübersehbare. In der ersten Novemberwoche lässt sie im Rahmen der Schau lichtstarke Laser- oder Xenon-Projektionen über öffentliche Fassaden klettern, des Nachts und in der Dämmerung, am Basler Rathaus, am Münster, am Bahnhof und anderswo. Riesige Lettern, Worte, Sätze.
Fürs Publikum ein ästhetisches Spektakel von nicht geringem Reiz, und für Jenny Holzer der buchstäbliche Beweis, dass ihre Kunst noch was zu sagen hat.
Service:
Die Ausstellung ist bis zum 24. Januar 2010 in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel zu sehen.