"Im Tiefen bin ich jemand, der sehr an die Liebe glaubt"
"Zweiohrküken", "Keinohrhasen": Millionen Deutsche sind begeistert von Til Schweigers Regiearbeiten. Auch international ist Schweiger gefragt. "Irgendwann hatte ich das Bedürfnis, selber Geschichten zu erzählen", sagt Schweiger - und hat für die Deutschen einen sehr amerikanischen Rat.
Holger Hettinger: Til Schweiger, 2009 war ja durchaus Ihr Jahr. Wenn ich so an meinen eigenen Kinokonsum denke – mein Jahr hat mit Ihnen angefangen, mit "1 1/2 Ritter", dann kamen die "Männerherzen", den Hugo Stiglitz in den "Inglorious Basterds", und, ja, jetzt der letzte Film waren die "Zweiohrküken". Was ist denn in Ihrer persönlichen Rückschau Ihr wichtigster Film des Jahres?
Til Schweiger: Oh, also, einen Film haben wir vergessen leider, das ist der "Phantomschmerz", der ist leicht zu vergessen, weil er nicht von so vielen Menschen besucht worden ist, aber den fand ich schon sehr schön, den Film. Am wichtigsten ist mir natürlich "Zweiohrküken" als Fortsetzung von "Keinohrhasen". Was aber auch schön war, war, ein Teil zu sein von "Inglorious Basterds".
Hettinger: Gibt es da so eine Art Wechselwirkung, denn Sie sind ja eigentlich ein Filmemacher, der sehr genau weiß, was er will, und dann mit einem Regieberserker wie Quentin Tarantino zusammenzuarbeiten? Färbt das noch mal auf Ihren eigenen Regiestil ab? Schaut man sich da was ab?
Schweiger: Ich glaube ganz sicher, dass ich mir was abschaue, aber jetzt nicht so, dass ich das dezidiert sagen kann, Schauspielerführung schaue ich mir von ihm ab, oder wie ich aus einem Schauspieler das und das rausbekomme, oder wie ich mit meinem Team umgehe oder so. Aber unterbewusst schaut man sich sicher was ab, und ich war schon immer, auch, als ich nur Schauspieler war, eher so eine Art Schwamm und habe mir nicht nur die Regisseure angeguckt, sondern auch Kollegen und Kameramänner und was weiß ich, um einfach zu lernen, weil mich das interessiert. Aber es war schon auf jeden Fall eine besondere Sache, dabei zu sein, und ich habe die ganze Zeit aufgepasst und geguckt. Das heißt jetzt nicht, dass ich danach nach Hause gegangen bin und gesagt habe, so, jetzt mache ich ab jetzt Regie wie Quentin Tarantino, weil das kann man nicht. Jeder ist eigen und ich habe auch einen ganz anderen Stil als er.
Hettinger: Also, so dieser innere Schalter, jetzt bin ich mal nur Schauspieler und lasse mich darauf ein, den haben Sie nicht?
Schweiger: Doch, den habe ich total, aber ich bin natürlich immer offen und gucke mir Sachen ab oder gucke zu, wie andere Menschen was machen. Aber ich gehe jetzt nicht in einen Film als Schauspieler und denke, weil ich selber schon mal einen Film gemacht habe, weiß ich das jetzt mindestens genauso gut wie der. Als Schauspieler ist man wirklich immer nur, sage ich mal, der – klingt jetzt ein bisschen doof, aber – Erfüllungsgehilfe vom Regisseur.
Hettinger: "Zweiohrküken" ist jetzt Ihr jüngster Erfolg, die Fortsetzung der "Keinohrhasen". Die ganze Situation ist jetzt ein paar Jahre weitergedreht, Beziehungsalltag ist eingekehrt im Miteinander von Ludo und von Anna. Die "Süddeutsche Zeitung" schreibt: Til Schweigers "Zweiohrküken" lässt doch tief ins Herz seines Machers blicken. Sehen Sie das genauso?
Schweiger: Ja, glaube ich auf jeden Fall. Ich glaube, dass man schon in einem Film irgendwas über den Macher herausbekommt, zumindest wenn er also auch noch als Autor fungiert. Da gibt man mehr in so einen Film oder man gibt mehr von sich preis, als wenn ich jetzt, sage ich mal, in einem Film von Quentin Tarantino spiele. Das ist ... entstammt seiner Fantasie und meine Performance entstammt auch seiner Inszenierung. Ich meine, ich habe zum Beispiel da bei "Inglorious Basterds" den Eli Roth kennengelernt – sehr lustiger, angenehmer Kollege, aber der ...
Hettinger: Das ist dieser Hüne, oder?
Schweiger: Ja, der ist ziemlich breit und kräftig und ist aber selber Regisseur und zeichnet für so wunderbare Werke wie "Cabin Fever" oder "Saw", also diese, ich nenne es immer Folterpornos, also, wo nichts passiert, außer, dass irgendwelche Menschen niedergemetzelt werden. Da habe ich mir dann auch überlegt: Eigentlich ist der Typ ja supersympathisch und nett und lustig, aber der macht solche Filme, so Filme würde ich nie machen. Und das sagt ja irgendwie auch ein bisschen was über ihn aus, habe ich mir so gedacht. Und ich sagte ihm: Mach mal eine romantische Komödie oder eine Komödie, und nicht nur Filme, wo Leute die Arme abgehackt bekommen. Also, in dem Punkt muss ich der "Süddeutschen" sehr recht geben, auch wenn Sie es nicht als Kompliment gemeint haben.
Hettinger: Ja, wobei, den Begriff Folterporno höre ich in diesem Jahr zum zweiten Mal, im Sommer hat mir das Lars von Trier gesagt.
Schweiger: Ja, aber er hat ja selber einen gemacht. Ich weiß nicht, was er gesagt hat, aber ich habe mir seinen letzten Film angeguckt, "Antichrist", und ich war entsetzt. Ich habe irgendwann ausgeschaltet, weil ich mir das nicht mehr antun konnte.
Hettinger: Der Film "Zweiohrküken" funktioniert ja eigentlich auf verschiedenen Ebenen: Da gibt es ja richtig schönes Feuerwerk, da ist richtig was los, das ist ganz blendend, zielsicher und mit vorzüglichem Timing inszeniert, wunderbare, brüllende Komik, aber auch ganz tiefe Momente, da steckt wahnsinnig viel dahinter und auch darunter, im Narrativ, in der Erzählung. Was ist es denn so, was Sie von sich quasi mit "Zweiohrküken" mitteilen wollen?
Schweiger: Also, ich möchte jetzt in erster Linie nichts mitteilen, weil das für mich ... einen Film zu machen ist für mich keine Art von Psychodrama oder ich brauche auch Filme nicht, um mich selber auszudrücken, aber sicherlich habe ich das Bedürfnis, mich auszudrücken. Deswegen habe ich ja auch die Seiten gewechselt, weil ich irgendwann erkannt habe, dass man als Schauspieler, als Erfüllungsgehilfe, das Werkzeug vom Regisseur ist und dass das sein Film ist und er da was ausdrücken will. Und irgendwann hatte ich das Bedürfnis, selber Geschichten zu erzählen und wusste: Ich muss auf die andere Seite gehen. Aber ich will jetzt nicht unbedingt der Welt erzählen: So bin ich und das bin ich, aber es steckt sicherlich viel von mir drin und was von mir drinsteckt, ist sicher mein hoher Hang zur Romantik und zum Glauben an die Liebe und ... Das klingt jetzt alles sehr plakativ oder sehr nach so Schlagworten, aber ich glaube schon, dass ich als Mensch ein sehr ... manchmal kann ich auch rabiat sein, aber im Tiefen bin ich jemand, der sehr an die Liebe glaubt und an zwischenmenschliche Beziehungen. Und das ist ganz fest drin in "Zweiohrküken", das war auch schon in "Keinohrhasen", vielleicht sogar noch mehr als im zweiten Teil.
Hettinger: Til Schweiger, Sie arbeiten ja jetzt seit Jahren kontinuierlich mit der Drehbuchautorin Annika Deckert zusammen. Sie hat ja auch schon das Drehbuch von "Keinohrhasen" geschrieben, mit Ihnen zusammen, jetzt auch die "Zweiohrküken". Und ein schönes Thema, das Sie da ganz virtuos variieren, sind die Missverständnisse zwischen Männern und Frauen, geheime Wünsche, warum man doch nicht zusammenkommt und warum es am Schluss doch geht, gehen muss. Das sind ja schon sehr tiefe, teilweise auch philosophische Fragen. Und ich kann mir gut vorstellen: Wenn man solche Dialoge oder solche Themen gemeinsam entwickelt, dann geht es ja nicht nur um den Film, dann nimmt man auch ein bisschen was mit ins Private, ins Persönliche. Was haben Sie als Person aus dieser Zusammenarbeit schon gelernt?
Schweiger: Na ja, ich habe in unzähligen Gesprächen mit Annika schon während "Keinohrhasen" natürlich auch einen Blick auf die andere Seite, der mir vorher nicht völlig verschlossen war, bekommen, und Annika steht jetzt auch nicht für alle Frauen. Trotzdem glaube ich, dass die Qualität von den beiden Filmen schon, also im Buch, schon daraus resultiert, dass Mann und Frau sich zusammensetzen und Klartext reden, und zwar nicht, wie einige Leute meinen, irgendwie jetzt, dass Til Schweiger jetzt alte, reaktionäre Geschlechterbilder wieder nach vorne bringt, sondern dass wir wirklich den Zeitnerv irgendwie treffen. Und das war der Erfolg von "Keinohrhasen", das hat man immer wieder gehört in den letzten zwei Jahren vom Publikum, dass die sich wiedergefunden haben in dem Film, dass sie sagen, okay, das war ein Film, wir haben tierisch gelacht und auch mal die eine oder andere Träne verdrückt, aber eigentlich habe ich was gelernt in dem Film. Und wir machen es ja nicht, weil wir Didakten sind und Menschen jetzt ihre Beziehung erklären wollen. Wir wollen in erster Linie unterhalten. Und wenn man lachen kann – und das ist das Schönste und Gesündeste, was es im Leben gibt, das kann jeder Psychologe oder Wissenschaftler, der sich damit auskennt, bestätigen, dass Lachen wahnsinnig gesund ist – und wenn man dann noch was mitnimmt, dann ist das natürlich wunderschön.
Hettinger: Was ich so mitgenommen habe, das war aus dieser Personenkonstellation Anna und Ludo, dass die leicht latent zickige und doch durchaus ökobewusste Frau auch auf einen eher lebenslustigen Mann treffen kann, bei allen Unterschieden, bei allen Zankereien, bei allem Zoff, bei allen Missverständnissen: Es gibt da noch was auf der Welt, was stärker ist als dieses ganze Klein-klein im Miteinander. Habe ich den Film arg falsch verstanden?
Schweiger: Nein, die Liebe. Das ist ein Plädoyer für die Liebe, zumindest, dass es sich lohnt, für die Liebe zu kämpfen. Ich meine, das haben wir heutzutage wirklich, dass man viel zu schnell wegläuft aus einer Beziehung und viel zu schnell aufgibt und die meisten schaffen es ja noch nicht mal in die Phase rein des Liebens. Die sind verliebt und dann sind plötzlich die Schmetterlinge weg und dann ist alles langweilig und das, was man vorher so süß und entzückend fand, nervt einen plötzlich und zapp zerapp ist man auseinander, obwohl ... Also, aber noch mal: Ich gehe jetzt nicht hin und habe gesagt, ich will jetzt einen Film machen, um den Leuten einzuhämmern: Ihr müsst mehr um die Liebe kämpfen.
Hettinger: Die Männerrolle oder das Männerbild, das "Zweiohrküken" so transportiert, ist natürlich schon das des sehr erfolgreichen, charmanten Lebemanns, auch in "Männerherzen" spielen Sie einen Musikproduzenten, der, ja, doch deutliche Züge eines Womanizers hat. Ist dieses Image des Frauenhelden nicht auch so was wie ein Fluch? Werden Ihnen da normale, in Anführungszeichen, Männerrollen vorenthalten?
Schweiger: Na ja, ich bin ja immer im Endeffekt, am Schluss, derjenige, der entscheiden kann, was für einen Film oder was für ein Angebot er annimmt oder nicht, und ich habe schon wahnsinnig viele Angebote gehabt, wo man mir Rollen angeboten hat und immer mit demselben Spruch, ja, aber da kannst du dich mal zeigen, ganz anders und so. Und dann habe ich gesagt: Ja, aber darum geht es mir nicht, weil mir gefällt einfach das Drehbuch nicht und die Rolle nicht. Und außerdem: Für diese Rolle gibt es zehn Leute, die das besser können. Dafür kann ich andere Sachen besser, aber im Film geht es doch nur um eins, dass man glaubhaft das spielt, was man da spielt. Ich finde nichts furchtbarer als einen Schauspieler, den ich dabei entdecke, wie er schauspielt. Im Idealfall gelingt es doch einem Film, dem Zuschauer zu suggerieren, dass er im wahren Leben ist, und nicht einen Schauspieler sieht, der einen Taxifahrer spielt, ganz theatralisch, so. Und da hat jeder so seine Stärken und Schwächen und es gibt dann auch ein paar Leute, die überhaupt keine Schwächen haben. Und da muss man eben immer sehen, was zu einem passt, und diese Rolle, die ich da öfters gebe, die passt halt zu mir und die spiele ich auch gerne und mir macht es auch wahnsinnigen Spaß, den Typ so ein bisschen zu diskriminieren, also, liebevoll. Der Ludo ist ja eigentlich irgendwo auch, so cool er ist, ist er auch irgendwo ein Depp. Und es gibt, glaube ich, selten, sage ich mal, einen Hauptdarsteller in einem Film, der so auf die Mütze kriegt, bei dem so viel schiefläuft, wie bei Ludo Decker.
Hettinger: Das tragen Sie aber mit großer Fassung.
Schweiger: Ja, ich trage das gerne, weil es macht Spaß, das macht mehr Spaß, als jetzt den strahlenden Frauenheld zu geben, dem alle ... Das will auch keiner mehr sehen. Die Helden haben sich ja sowieso ein bisschen verändert. Und international macht mir das sowieso nichts, weil: Ich kriege ganz andere Rollen angeboten, meistens natürlich immer die Bösen, und die Bösen interessieren mich aber nicht wirklich so. Ich spiele lieber die, die irgendwo noch einen guten Kern haben.
Hettinger: Echt? Weil es gibt ja viele Schauspieler, die sagen, jawoll, je böser, desto besser, dann kann ich mich einfach mal ausprobieren, dann kann ich mich vorwagen in Bereiche, die ich normalerweise gar nicht mal zu denken wage.
Schweiger: Ja, ja, aber das sind dann halt die ... Das sind dann oft also auch Leute, die brauchen das irgendwie, um irgendwas auszuleben, was ich persönlich für mich nicht ausleben muss. Und dann gibt es halt welche, die sagen einfach ganz egoistisch – und das ist absolut legitim, das ist überhaupt nicht als Kritik gemeint –, das Böse ist in der Regel oft die interessantere Rolle. Ist oft so, vielschichtiger.
Hettinger: Sie haben das internationale Filmgeschäft angesprochen, Til Schweiger. Hollywood ist interessiert daran, "Keinohrhasen" quasi als Remake wiederzubeleben. Spielen Sie dabei eine Rolle, haben Sie sich da in irgendeiner Weise ... Haben Sie da Aktien drin?
Schweiger: Na, Aktien nicht, weil die Firma nicht an der Börse ist, aber wir haben den Vertrag jetzt nach fast einem Jahr Verhandlung unterschrieben und es ist eine sehr gute, angesehene Firma, die das machen wollen und ich habe insofern Aktien drin, dass ich, wenn ich will, den Film inszenieren kann und dass ich auf jeden Fall gleichberechtigter Koproduzent bin. Also, ich habe meinen, sage ich mal, meine künstlerische Hand, wenn dieses Projekt je zustande kommt – das ist in Hollywood ist das immer abhängig vom Cast, also von der Besetzung ... Und die nehmen dann nur so und so viel Geld in die Hand, wenn sie einen Star haben. Das Drehbuch kann so toll sein, wie es will, ohne Star ist momentan ... In der jetzigen Situation – und es sieht nicht so aus, als würde es besser werden –kannst du einen Film nicht machen.
Hettinger: Jetzt haben Sie ja einige Erfahrungen mit dem Filmgeschäft in Hollywood gemacht. Ich kann es mir, ganz ehrlich gesagt, sehr schwer vorstellen, dass die Leichtigkeit, die Intensität, auch der Zeit- und Ortsbezug von "Keinohrhasen", dass der in irgendeiner Weise in ein amerikanisches Bewusstsein verpflanzt werden könnte.
Schweiger: Ja, das ist halt eine Verhandlungssache. Eigentlich war ich der Meinung oder bin der Meinung, dass "Keinohrhasen" als internationales Remake am besten in London angesetzt wäre vom Feeling, weil auch das Vorbild für "Keinohrhasen" waren eher britische Rom-Coms als amerikanische, also romantische Komödien, das ist der Fachausdruck, jetzt für den uninformierten Hörer.
Hettinger: Da haben wir wieder was gelernt.
Schweiger: Wieder was gelernt. Und wenn denn in Amerika, dann schon so, würde ich sehen, New York als Stadt und so Kindergarten irgendwo in New Jersey, irgendwo ein bisschen auf dem Land. Die Produzenten, die den Film machen wollen, die sehen den Film eher in Los Angeles und das ist schon ein größerer Stretch für mich, aber es geht auch da. Wichtig ist halt – und das sehen die Amerikaner genauso –, dass man nicht ... Weil, in der Regel werden ... Remakes von europäischen Filmen in Amerika gehen in der Regel schief, weil die Amerikaner dann sagen, wow, das finden wir toll als europäischen Film, das können wir aber unserer Gesellschaft nicht zumuten. Und "Keinohrhasen" ist definitiv in Amerika ein R-Film, allein wegen der nackten Haut. Du kannst als Rated R, also, ab 13 freigegeben, kannst du zwar in Zeitlupe Köpfe wegschießen und Blut spritzen sehen, das finden die völlig okay, in dem Moment, wo man eine nackte Frauenbrust sieht oder einen Nippel, dann ist es schon sofort ein Rated R. Und da sagen die aber, nee, nee, das ist ganz klar, das ist ein Rated-R-Film, also erst ab 17, und wenn ich dann noch meinen künstlerischen Input drüber habe, dann wird das auch in Los Angeles funktionieren, da bin ich mir ganz sicher.
Hettinger: Gut, in Deutschland ins Kino gehen zu können, weil gerade bei den "Zweiohrküken" dieser Monsterdödel – also, da hätte mir was gefehlt, wenn der nicht dabei gewesen wäre.
Schweiger: Ja, der war eigentlich ... Dieser Monsterdödel in "Zweiohrküken", der war sogar noch um ein einiges Stück länger und den habe ich dann noch mal überarbeiten lassen. Der war dann zu groß und dann haben wir bestimmt so sieben Zentimeter rausgenommen.
Hettinger: Wir haben vor knapp einem Jahr hier an gleicher Stelle gesessen und haben über "1 1/2 Ritter" geredet und ich war eigentlich ziemlich baff, als ich gelesen habe, dass Sie sich wie eine Art Bus, wie eine Art Fahrzeug haben machen lassen, in dem Sie dann am Ende des Drehtages noch mal die Tür hinter sich zu machen und dann einen ersten Schnitt erstellen. Ich dachte. Um Himmels willen, kriegt dieser Mensch denn nie genug Arbeit? Behalten Sie so was bei?
Schweiger: Das schon, das habe ich sogar jetzt bei "Zweiohrküken" optimiert, da hatte ich einen Schneideraum zu Hause und einen am Set und ich habe mich nicht nur nach dem Drehtag da rein, da bin ich eher nach Hause zum Schneiden, sondern vor allen Dingen in den Pausen. Während andere in den Pausen müde werden und essen, sitze ich da, voller Energie, und schneide. Und da bleibe ich viel fitter, als wenn ich jetzt eine Stunde da im Schatten im Sommer rumliege und mich gräme, warum es nicht endlich weitergeht. Aber im Vergleich zu den letzten drei Jahren habe ich dieses Jahr wirklich nur "Zweiohrküken" gedreht, also auch die Postproduktion gemacht als Regisseur. Die letzten drei Jahre habe ich dann immer noch zusätzlich in anderen Filmen mitgespielt. Und das habe ich diesmal zum ersten Mal nicht gemacht.
Hettinger: Welch ein Pensum! Wir hatten kürzlich Leander Haußmann hier zu Gast im Gespräch, ...
Schweiger: Der Leander.
Hettinger: Der Leander, und da hat er sehr viel über Älterwerden gesprochen, über Midlife-Crisis, über schwindende Kräfte. Sie sind gerade 46 geworden, das Thema des Alterns, des Älterwerdens kommt auch motivisch vor in "Zweiohrküken". Wie geht es denn Til Schweiger im richtigen Leben? Können Sie dem Älterwerden was abgewinnen?
Schweiger: Ja, abgewinnen kann ich dem Älterwerden eigentlich nichts, außer, dass man mehr Lebenserfahrung bekommt.
Hettinger: Das ist ja schon mal was.
Schweiger: Und dass man versuchen sollte, das Beste daraus zu machen. Aber ich merke das jetzt auch, weil ich habe eigentlich mein Leben lang immer gedacht, ich habe so viel Energie und ich kann alles machen, was ich mir vornehme, und wenn 1000 Leute sagen, das geht nicht, dann kann ich das doch schaffen. Und jetzt komme ich langsam in so ein Alter, das merkt man auch körperlich – man hat den Geist eines 25-Jährigen, intellektuell, vielleicht eines 20-Jährigen, neuer Versuch, und spielt dann aber ... oder spielt Fußball so, als sei man noch 25 und merkt auf einmal, das geht gar nicht mehr so.
Hettinger: Sie kennen diese Momente auch, wo man das Gefühl hat, um Himmels willen, das war jetzt ein Wochenende – das reicht nicht!
Schweiger: Absolut, absolut. Oder was weiß ich, man lässt es richtig krachen und macht richtig Party und als 30-Jähriger macht man am nächsten Morgen, da hat man vielleicht einen Kater, aber macht voll weiter und heute leidet man viel mehr darunter, dass man sich das zwei Mal überlegt, ob man sich das antut. Also, das merke ich schon, absolut, und dem kann ich auch nichts abgewinnen, außer dass ich sage: Höre auf deinen Körper und ändere Sachen.
Hettinger: Ist Ihr Leben ruhiger geworden?
Schweiger: Jetzt arbeite ich dran, in den letzten Wochen nicht, weil das ist schon ... so einen Film zu machen und dann auch dafür zu sorgen, dass er eine nötige Aufmerksamkeit bekommt, das ist schon sehr anstrengend.
Hettinger: Wie feiern Sie Weihnachten?
Schweiger: Ich fliege nach Seattle, Washington States, und feiere da mit meiner Frau, Immer-noch-Frau und meinen Kindern bei ihren Eltern Weihnachten.
Hettinger: Sie haben vor einigen Jahren Ihren Lebensmittelpunkt nach Amerika verlegt. Die Gründe dafür, da gab es ja viele Spekulationen, einige Kollegen haben gesagt, na, es ist auch eine Art Flucht vor der Popularität, um einfach mal durchatmen zu können. Dann sind Sie wieder aus Amerika zurückgekommen nach Deutschland, und jetzt haben Sie quasi beide Betriebe in sich angesammelt. Ist Deutschland letztlich doch so etwas wie der künstlerische und persönliche Heimathafen von Ihnen?
Schweiger: Deutschland ist schon mein Heimathafen, a) weil es meine Heimat ist, weil ich hier geboren bin, weil ich hier meine Familie und meine Freunde habe, b) weil ich hier ganz andere Möglichkeiten habe als in Amerika, c) weil die deutsche Mentalität mir mit Abstrichen doch näher ist als die amerikanische, obwohl die Amerikaner einen wahnsinnigen Vorteil gegenüber den Deutschen haben, dass sie eben viel positiver ihre Probleme angehen. Wenn das die Deutschen mal hinkriegen würden, dann, glaube ich, wären wir nicht mehr zu stoppen.
Hettinger: Na gut, auf der anderen Seite ist immer die Frage: Inwieweit ist das tief und substanziell, mit dieser Clap-your-hands-Fröhlichkeit ...
Schweiger: Substanziell, also ... Substanziell gibt es schon durchaus ... Es gibt sehr ... Man kann auch nie pauschalisieren, ich kenne sehr substanzielle Amerikaner und ich kenne sehr viele oberflächliche Amerikaner. Es gibt allerdings auch sehr oberflächliche Deutsche. Trotzdem ist das, gerade in Kalifornien, das ist an der Ostküste ist es schon lange nicht so schlimm, aber in Kalifornien ist immer alles nur wonderful und trallala, aber trotzdem ist es schöner, wenn jemand positiv ist, als wenn jemand negativ ist. Es macht das Leben einfach einfacher, also, wenn ich am Supermarkt an der Kasse stehe und jemand ist total freundlich, macht mir mein Leben in dem Moment mehr Spaß, als wenn ich jemand ... wenn ich das Gefühl habe, ich gehe jemandem richtig auf die Nerven, weil ich gerade da einkaufe.
Hettinger: Dann müsste Berlin ihre Lieblingsstadt sein, hier kriegt man so richtig eingeschenkt, wenn man es drauf anlegt.
Schweiger: Hier kriegt man es nur von den Radfahrern. Das aggressivste Volk auf der ganzen Welt, glaube ich, sind die Berliner Radfahrer und ich fahre selber wahnsinnig gerne Rad.
Til Schweiger: Oh, also, einen Film haben wir vergessen leider, das ist der "Phantomschmerz", der ist leicht zu vergessen, weil er nicht von so vielen Menschen besucht worden ist, aber den fand ich schon sehr schön, den Film. Am wichtigsten ist mir natürlich "Zweiohrküken" als Fortsetzung von "Keinohrhasen". Was aber auch schön war, war, ein Teil zu sein von "Inglorious Basterds".
Hettinger: Gibt es da so eine Art Wechselwirkung, denn Sie sind ja eigentlich ein Filmemacher, der sehr genau weiß, was er will, und dann mit einem Regieberserker wie Quentin Tarantino zusammenzuarbeiten? Färbt das noch mal auf Ihren eigenen Regiestil ab? Schaut man sich da was ab?
Schweiger: Ich glaube ganz sicher, dass ich mir was abschaue, aber jetzt nicht so, dass ich das dezidiert sagen kann, Schauspielerführung schaue ich mir von ihm ab, oder wie ich aus einem Schauspieler das und das rausbekomme, oder wie ich mit meinem Team umgehe oder so. Aber unterbewusst schaut man sich sicher was ab, und ich war schon immer, auch, als ich nur Schauspieler war, eher so eine Art Schwamm und habe mir nicht nur die Regisseure angeguckt, sondern auch Kollegen und Kameramänner und was weiß ich, um einfach zu lernen, weil mich das interessiert. Aber es war schon auf jeden Fall eine besondere Sache, dabei zu sein, und ich habe die ganze Zeit aufgepasst und geguckt. Das heißt jetzt nicht, dass ich danach nach Hause gegangen bin und gesagt habe, so, jetzt mache ich ab jetzt Regie wie Quentin Tarantino, weil das kann man nicht. Jeder ist eigen und ich habe auch einen ganz anderen Stil als er.
Hettinger: Also, so dieser innere Schalter, jetzt bin ich mal nur Schauspieler und lasse mich darauf ein, den haben Sie nicht?
Schweiger: Doch, den habe ich total, aber ich bin natürlich immer offen und gucke mir Sachen ab oder gucke zu, wie andere Menschen was machen. Aber ich gehe jetzt nicht in einen Film als Schauspieler und denke, weil ich selber schon mal einen Film gemacht habe, weiß ich das jetzt mindestens genauso gut wie der. Als Schauspieler ist man wirklich immer nur, sage ich mal, der – klingt jetzt ein bisschen doof, aber – Erfüllungsgehilfe vom Regisseur.
Hettinger: "Zweiohrküken" ist jetzt Ihr jüngster Erfolg, die Fortsetzung der "Keinohrhasen". Die ganze Situation ist jetzt ein paar Jahre weitergedreht, Beziehungsalltag ist eingekehrt im Miteinander von Ludo und von Anna. Die "Süddeutsche Zeitung" schreibt: Til Schweigers "Zweiohrküken" lässt doch tief ins Herz seines Machers blicken. Sehen Sie das genauso?
Schweiger: Ja, glaube ich auf jeden Fall. Ich glaube, dass man schon in einem Film irgendwas über den Macher herausbekommt, zumindest wenn er also auch noch als Autor fungiert. Da gibt man mehr in so einen Film oder man gibt mehr von sich preis, als wenn ich jetzt, sage ich mal, in einem Film von Quentin Tarantino spiele. Das ist ... entstammt seiner Fantasie und meine Performance entstammt auch seiner Inszenierung. Ich meine, ich habe zum Beispiel da bei "Inglorious Basterds" den Eli Roth kennengelernt – sehr lustiger, angenehmer Kollege, aber der ...
Hettinger: Das ist dieser Hüne, oder?
Schweiger: Ja, der ist ziemlich breit und kräftig und ist aber selber Regisseur und zeichnet für so wunderbare Werke wie "Cabin Fever" oder "Saw", also diese, ich nenne es immer Folterpornos, also, wo nichts passiert, außer, dass irgendwelche Menschen niedergemetzelt werden. Da habe ich mir dann auch überlegt: Eigentlich ist der Typ ja supersympathisch und nett und lustig, aber der macht solche Filme, so Filme würde ich nie machen. Und das sagt ja irgendwie auch ein bisschen was über ihn aus, habe ich mir so gedacht. Und ich sagte ihm: Mach mal eine romantische Komödie oder eine Komödie, und nicht nur Filme, wo Leute die Arme abgehackt bekommen. Also, in dem Punkt muss ich der "Süddeutschen" sehr recht geben, auch wenn Sie es nicht als Kompliment gemeint haben.
Hettinger: Ja, wobei, den Begriff Folterporno höre ich in diesem Jahr zum zweiten Mal, im Sommer hat mir das Lars von Trier gesagt.
Schweiger: Ja, aber er hat ja selber einen gemacht. Ich weiß nicht, was er gesagt hat, aber ich habe mir seinen letzten Film angeguckt, "Antichrist", und ich war entsetzt. Ich habe irgendwann ausgeschaltet, weil ich mir das nicht mehr antun konnte.
Hettinger: Der Film "Zweiohrküken" funktioniert ja eigentlich auf verschiedenen Ebenen: Da gibt es ja richtig schönes Feuerwerk, da ist richtig was los, das ist ganz blendend, zielsicher und mit vorzüglichem Timing inszeniert, wunderbare, brüllende Komik, aber auch ganz tiefe Momente, da steckt wahnsinnig viel dahinter und auch darunter, im Narrativ, in der Erzählung. Was ist es denn so, was Sie von sich quasi mit "Zweiohrküken" mitteilen wollen?
Schweiger: Also, ich möchte jetzt in erster Linie nichts mitteilen, weil das für mich ... einen Film zu machen ist für mich keine Art von Psychodrama oder ich brauche auch Filme nicht, um mich selber auszudrücken, aber sicherlich habe ich das Bedürfnis, mich auszudrücken. Deswegen habe ich ja auch die Seiten gewechselt, weil ich irgendwann erkannt habe, dass man als Schauspieler, als Erfüllungsgehilfe, das Werkzeug vom Regisseur ist und dass das sein Film ist und er da was ausdrücken will. Und irgendwann hatte ich das Bedürfnis, selber Geschichten zu erzählen und wusste: Ich muss auf die andere Seite gehen. Aber ich will jetzt nicht unbedingt der Welt erzählen: So bin ich und das bin ich, aber es steckt sicherlich viel von mir drin und was von mir drinsteckt, ist sicher mein hoher Hang zur Romantik und zum Glauben an die Liebe und ... Das klingt jetzt alles sehr plakativ oder sehr nach so Schlagworten, aber ich glaube schon, dass ich als Mensch ein sehr ... manchmal kann ich auch rabiat sein, aber im Tiefen bin ich jemand, der sehr an die Liebe glaubt und an zwischenmenschliche Beziehungen. Und das ist ganz fest drin in "Zweiohrküken", das war auch schon in "Keinohrhasen", vielleicht sogar noch mehr als im zweiten Teil.
Hettinger: Til Schweiger, Sie arbeiten ja jetzt seit Jahren kontinuierlich mit der Drehbuchautorin Annika Deckert zusammen. Sie hat ja auch schon das Drehbuch von "Keinohrhasen" geschrieben, mit Ihnen zusammen, jetzt auch die "Zweiohrküken". Und ein schönes Thema, das Sie da ganz virtuos variieren, sind die Missverständnisse zwischen Männern und Frauen, geheime Wünsche, warum man doch nicht zusammenkommt und warum es am Schluss doch geht, gehen muss. Das sind ja schon sehr tiefe, teilweise auch philosophische Fragen. Und ich kann mir gut vorstellen: Wenn man solche Dialoge oder solche Themen gemeinsam entwickelt, dann geht es ja nicht nur um den Film, dann nimmt man auch ein bisschen was mit ins Private, ins Persönliche. Was haben Sie als Person aus dieser Zusammenarbeit schon gelernt?
Schweiger: Na ja, ich habe in unzähligen Gesprächen mit Annika schon während "Keinohrhasen" natürlich auch einen Blick auf die andere Seite, der mir vorher nicht völlig verschlossen war, bekommen, und Annika steht jetzt auch nicht für alle Frauen. Trotzdem glaube ich, dass die Qualität von den beiden Filmen schon, also im Buch, schon daraus resultiert, dass Mann und Frau sich zusammensetzen und Klartext reden, und zwar nicht, wie einige Leute meinen, irgendwie jetzt, dass Til Schweiger jetzt alte, reaktionäre Geschlechterbilder wieder nach vorne bringt, sondern dass wir wirklich den Zeitnerv irgendwie treffen. Und das war der Erfolg von "Keinohrhasen", das hat man immer wieder gehört in den letzten zwei Jahren vom Publikum, dass die sich wiedergefunden haben in dem Film, dass sie sagen, okay, das war ein Film, wir haben tierisch gelacht und auch mal die eine oder andere Träne verdrückt, aber eigentlich habe ich was gelernt in dem Film. Und wir machen es ja nicht, weil wir Didakten sind und Menschen jetzt ihre Beziehung erklären wollen. Wir wollen in erster Linie unterhalten. Und wenn man lachen kann – und das ist das Schönste und Gesündeste, was es im Leben gibt, das kann jeder Psychologe oder Wissenschaftler, der sich damit auskennt, bestätigen, dass Lachen wahnsinnig gesund ist – und wenn man dann noch was mitnimmt, dann ist das natürlich wunderschön.
Hettinger: Was ich so mitgenommen habe, das war aus dieser Personenkonstellation Anna und Ludo, dass die leicht latent zickige und doch durchaus ökobewusste Frau auch auf einen eher lebenslustigen Mann treffen kann, bei allen Unterschieden, bei allen Zankereien, bei allem Zoff, bei allen Missverständnissen: Es gibt da noch was auf der Welt, was stärker ist als dieses ganze Klein-klein im Miteinander. Habe ich den Film arg falsch verstanden?
Schweiger: Nein, die Liebe. Das ist ein Plädoyer für die Liebe, zumindest, dass es sich lohnt, für die Liebe zu kämpfen. Ich meine, das haben wir heutzutage wirklich, dass man viel zu schnell wegläuft aus einer Beziehung und viel zu schnell aufgibt und die meisten schaffen es ja noch nicht mal in die Phase rein des Liebens. Die sind verliebt und dann sind plötzlich die Schmetterlinge weg und dann ist alles langweilig und das, was man vorher so süß und entzückend fand, nervt einen plötzlich und zapp zerapp ist man auseinander, obwohl ... Also, aber noch mal: Ich gehe jetzt nicht hin und habe gesagt, ich will jetzt einen Film machen, um den Leuten einzuhämmern: Ihr müsst mehr um die Liebe kämpfen.
Hettinger: Die Männerrolle oder das Männerbild, das "Zweiohrküken" so transportiert, ist natürlich schon das des sehr erfolgreichen, charmanten Lebemanns, auch in "Männerherzen" spielen Sie einen Musikproduzenten, der, ja, doch deutliche Züge eines Womanizers hat. Ist dieses Image des Frauenhelden nicht auch so was wie ein Fluch? Werden Ihnen da normale, in Anführungszeichen, Männerrollen vorenthalten?
Schweiger: Na ja, ich bin ja immer im Endeffekt, am Schluss, derjenige, der entscheiden kann, was für einen Film oder was für ein Angebot er annimmt oder nicht, und ich habe schon wahnsinnig viele Angebote gehabt, wo man mir Rollen angeboten hat und immer mit demselben Spruch, ja, aber da kannst du dich mal zeigen, ganz anders und so. Und dann habe ich gesagt: Ja, aber darum geht es mir nicht, weil mir gefällt einfach das Drehbuch nicht und die Rolle nicht. Und außerdem: Für diese Rolle gibt es zehn Leute, die das besser können. Dafür kann ich andere Sachen besser, aber im Film geht es doch nur um eins, dass man glaubhaft das spielt, was man da spielt. Ich finde nichts furchtbarer als einen Schauspieler, den ich dabei entdecke, wie er schauspielt. Im Idealfall gelingt es doch einem Film, dem Zuschauer zu suggerieren, dass er im wahren Leben ist, und nicht einen Schauspieler sieht, der einen Taxifahrer spielt, ganz theatralisch, so. Und da hat jeder so seine Stärken und Schwächen und es gibt dann auch ein paar Leute, die überhaupt keine Schwächen haben. Und da muss man eben immer sehen, was zu einem passt, und diese Rolle, die ich da öfters gebe, die passt halt zu mir und die spiele ich auch gerne und mir macht es auch wahnsinnigen Spaß, den Typ so ein bisschen zu diskriminieren, also, liebevoll. Der Ludo ist ja eigentlich irgendwo auch, so cool er ist, ist er auch irgendwo ein Depp. Und es gibt, glaube ich, selten, sage ich mal, einen Hauptdarsteller in einem Film, der so auf die Mütze kriegt, bei dem so viel schiefläuft, wie bei Ludo Decker.
Hettinger: Das tragen Sie aber mit großer Fassung.
Schweiger: Ja, ich trage das gerne, weil es macht Spaß, das macht mehr Spaß, als jetzt den strahlenden Frauenheld zu geben, dem alle ... Das will auch keiner mehr sehen. Die Helden haben sich ja sowieso ein bisschen verändert. Und international macht mir das sowieso nichts, weil: Ich kriege ganz andere Rollen angeboten, meistens natürlich immer die Bösen, und die Bösen interessieren mich aber nicht wirklich so. Ich spiele lieber die, die irgendwo noch einen guten Kern haben.
Hettinger: Echt? Weil es gibt ja viele Schauspieler, die sagen, jawoll, je böser, desto besser, dann kann ich mich einfach mal ausprobieren, dann kann ich mich vorwagen in Bereiche, die ich normalerweise gar nicht mal zu denken wage.
Schweiger: Ja, ja, aber das sind dann halt die ... Das sind dann oft also auch Leute, die brauchen das irgendwie, um irgendwas auszuleben, was ich persönlich für mich nicht ausleben muss. Und dann gibt es halt welche, die sagen einfach ganz egoistisch – und das ist absolut legitim, das ist überhaupt nicht als Kritik gemeint –, das Böse ist in der Regel oft die interessantere Rolle. Ist oft so, vielschichtiger.
Hettinger: Sie haben das internationale Filmgeschäft angesprochen, Til Schweiger. Hollywood ist interessiert daran, "Keinohrhasen" quasi als Remake wiederzubeleben. Spielen Sie dabei eine Rolle, haben Sie sich da in irgendeiner Weise ... Haben Sie da Aktien drin?
Schweiger: Na, Aktien nicht, weil die Firma nicht an der Börse ist, aber wir haben den Vertrag jetzt nach fast einem Jahr Verhandlung unterschrieben und es ist eine sehr gute, angesehene Firma, die das machen wollen und ich habe insofern Aktien drin, dass ich, wenn ich will, den Film inszenieren kann und dass ich auf jeden Fall gleichberechtigter Koproduzent bin. Also, ich habe meinen, sage ich mal, meine künstlerische Hand, wenn dieses Projekt je zustande kommt – das ist in Hollywood ist das immer abhängig vom Cast, also von der Besetzung ... Und die nehmen dann nur so und so viel Geld in die Hand, wenn sie einen Star haben. Das Drehbuch kann so toll sein, wie es will, ohne Star ist momentan ... In der jetzigen Situation – und es sieht nicht so aus, als würde es besser werden –kannst du einen Film nicht machen.
Hettinger: Jetzt haben Sie ja einige Erfahrungen mit dem Filmgeschäft in Hollywood gemacht. Ich kann es mir, ganz ehrlich gesagt, sehr schwer vorstellen, dass die Leichtigkeit, die Intensität, auch der Zeit- und Ortsbezug von "Keinohrhasen", dass der in irgendeiner Weise in ein amerikanisches Bewusstsein verpflanzt werden könnte.
Schweiger: Ja, das ist halt eine Verhandlungssache. Eigentlich war ich der Meinung oder bin der Meinung, dass "Keinohrhasen" als internationales Remake am besten in London angesetzt wäre vom Feeling, weil auch das Vorbild für "Keinohrhasen" waren eher britische Rom-Coms als amerikanische, also romantische Komödien, das ist der Fachausdruck, jetzt für den uninformierten Hörer.
Hettinger: Da haben wir wieder was gelernt.
Schweiger: Wieder was gelernt. Und wenn denn in Amerika, dann schon so, würde ich sehen, New York als Stadt und so Kindergarten irgendwo in New Jersey, irgendwo ein bisschen auf dem Land. Die Produzenten, die den Film machen wollen, die sehen den Film eher in Los Angeles und das ist schon ein größerer Stretch für mich, aber es geht auch da. Wichtig ist halt – und das sehen die Amerikaner genauso –, dass man nicht ... Weil, in der Regel werden ... Remakes von europäischen Filmen in Amerika gehen in der Regel schief, weil die Amerikaner dann sagen, wow, das finden wir toll als europäischen Film, das können wir aber unserer Gesellschaft nicht zumuten. Und "Keinohrhasen" ist definitiv in Amerika ein R-Film, allein wegen der nackten Haut. Du kannst als Rated R, also, ab 13 freigegeben, kannst du zwar in Zeitlupe Köpfe wegschießen und Blut spritzen sehen, das finden die völlig okay, in dem Moment, wo man eine nackte Frauenbrust sieht oder einen Nippel, dann ist es schon sofort ein Rated R. Und da sagen die aber, nee, nee, das ist ganz klar, das ist ein Rated-R-Film, also erst ab 17, und wenn ich dann noch meinen künstlerischen Input drüber habe, dann wird das auch in Los Angeles funktionieren, da bin ich mir ganz sicher.
Hettinger: Gut, in Deutschland ins Kino gehen zu können, weil gerade bei den "Zweiohrküken" dieser Monsterdödel – also, da hätte mir was gefehlt, wenn der nicht dabei gewesen wäre.
Schweiger: Ja, der war eigentlich ... Dieser Monsterdödel in "Zweiohrküken", der war sogar noch um ein einiges Stück länger und den habe ich dann noch mal überarbeiten lassen. Der war dann zu groß und dann haben wir bestimmt so sieben Zentimeter rausgenommen.
Hettinger: Wir haben vor knapp einem Jahr hier an gleicher Stelle gesessen und haben über "1 1/2 Ritter" geredet und ich war eigentlich ziemlich baff, als ich gelesen habe, dass Sie sich wie eine Art Bus, wie eine Art Fahrzeug haben machen lassen, in dem Sie dann am Ende des Drehtages noch mal die Tür hinter sich zu machen und dann einen ersten Schnitt erstellen. Ich dachte. Um Himmels willen, kriegt dieser Mensch denn nie genug Arbeit? Behalten Sie so was bei?
Schweiger: Das schon, das habe ich sogar jetzt bei "Zweiohrküken" optimiert, da hatte ich einen Schneideraum zu Hause und einen am Set und ich habe mich nicht nur nach dem Drehtag da rein, da bin ich eher nach Hause zum Schneiden, sondern vor allen Dingen in den Pausen. Während andere in den Pausen müde werden und essen, sitze ich da, voller Energie, und schneide. Und da bleibe ich viel fitter, als wenn ich jetzt eine Stunde da im Schatten im Sommer rumliege und mich gräme, warum es nicht endlich weitergeht. Aber im Vergleich zu den letzten drei Jahren habe ich dieses Jahr wirklich nur "Zweiohrküken" gedreht, also auch die Postproduktion gemacht als Regisseur. Die letzten drei Jahre habe ich dann immer noch zusätzlich in anderen Filmen mitgespielt. Und das habe ich diesmal zum ersten Mal nicht gemacht.
Hettinger: Welch ein Pensum! Wir hatten kürzlich Leander Haußmann hier zu Gast im Gespräch, ...
Schweiger: Der Leander.
Hettinger: Der Leander, und da hat er sehr viel über Älterwerden gesprochen, über Midlife-Crisis, über schwindende Kräfte. Sie sind gerade 46 geworden, das Thema des Alterns, des Älterwerdens kommt auch motivisch vor in "Zweiohrküken". Wie geht es denn Til Schweiger im richtigen Leben? Können Sie dem Älterwerden was abgewinnen?
Schweiger: Ja, abgewinnen kann ich dem Älterwerden eigentlich nichts, außer, dass man mehr Lebenserfahrung bekommt.
Hettinger: Das ist ja schon mal was.
Schweiger: Und dass man versuchen sollte, das Beste daraus zu machen. Aber ich merke das jetzt auch, weil ich habe eigentlich mein Leben lang immer gedacht, ich habe so viel Energie und ich kann alles machen, was ich mir vornehme, und wenn 1000 Leute sagen, das geht nicht, dann kann ich das doch schaffen. Und jetzt komme ich langsam in so ein Alter, das merkt man auch körperlich – man hat den Geist eines 25-Jährigen, intellektuell, vielleicht eines 20-Jährigen, neuer Versuch, und spielt dann aber ... oder spielt Fußball so, als sei man noch 25 und merkt auf einmal, das geht gar nicht mehr so.
Hettinger: Sie kennen diese Momente auch, wo man das Gefühl hat, um Himmels willen, das war jetzt ein Wochenende – das reicht nicht!
Schweiger: Absolut, absolut. Oder was weiß ich, man lässt es richtig krachen und macht richtig Party und als 30-Jähriger macht man am nächsten Morgen, da hat man vielleicht einen Kater, aber macht voll weiter und heute leidet man viel mehr darunter, dass man sich das zwei Mal überlegt, ob man sich das antut. Also, das merke ich schon, absolut, und dem kann ich auch nichts abgewinnen, außer dass ich sage: Höre auf deinen Körper und ändere Sachen.
Hettinger: Ist Ihr Leben ruhiger geworden?
Schweiger: Jetzt arbeite ich dran, in den letzten Wochen nicht, weil das ist schon ... so einen Film zu machen und dann auch dafür zu sorgen, dass er eine nötige Aufmerksamkeit bekommt, das ist schon sehr anstrengend.
Hettinger: Wie feiern Sie Weihnachten?
Schweiger: Ich fliege nach Seattle, Washington States, und feiere da mit meiner Frau, Immer-noch-Frau und meinen Kindern bei ihren Eltern Weihnachten.
Hettinger: Sie haben vor einigen Jahren Ihren Lebensmittelpunkt nach Amerika verlegt. Die Gründe dafür, da gab es ja viele Spekulationen, einige Kollegen haben gesagt, na, es ist auch eine Art Flucht vor der Popularität, um einfach mal durchatmen zu können. Dann sind Sie wieder aus Amerika zurückgekommen nach Deutschland, und jetzt haben Sie quasi beide Betriebe in sich angesammelt. Ist Deutschland letztlich doch so etwas wie der künstlerische und persönliche Heimathafen von Ihnen?
Schweiger: Deutschland ist schon mein Heimathafen, a) weil es meine Heimat ist, weil ich hier geboren bin, weil ich hier meine Familie und meine Freunde habe, b) weil ich hier ganz andere Möglichkeiten habe als in Amerika, c) weil die deutsche Mentalität mir mit Abstrichen doch näher ist als die amerikanische, obwohl die Amerikaner einen wahnsinnigen Vorteil gegenüber den Deutschen haben, dass sie eben viel positiver ihre Probleme angehen. Wenn das die Deutschen mal hinkriegen würden, dann, glaube ich, wären wir nicht mehr zu stoppen.
Hettinger: Na gut, auf der anderen Seite ist immer die Frage: Inwieweit ist das tief und substanziell, mit dieser Clap-your-hands-Fröhlichkeit ...
Schweiger: Substanziell, also ... Substanziell gibt es schon durchaus ... Es gibt sehr ... Man kann auch nie pauschalisieren, ich kenne sehr substanzielle Amerikaner und ich kenne sehr viele oberflächliche Amerikaner. Es gibt allerdings auch sehr oberflächliche Deutsche. Trotzdem ist das, gerade in Kalifornien, das ist an der Ostküste ist es schon lange nicht so schlimm, aber in Kalifornien ist immer alles nur wonderful und trallala, aber trotzdem ist es schöner, wenn jemand positiv ist, als wenn jemand negativ ist. Es macht das Leben einfach einfacher, also, wenn ich am Supermarkt an der Kasse stehe und jemand ist total freundlich, macht mir mein Leben in dem Moment mehr Spaß, als wenn ich jemand ... wenn ich das Gefühl habe, ich gehe jemandem richtig auf die Nerven, weil ich gerade da einkaufe.
Hettinger: Dann müsste Berlin ihre Lieblingsstadt sein, hier kriegt man so richtig eingeschenkt, wenn man es drauf anlegt.
Schweiger: Hier kriegt man es nur von den Radfahrern. Das aggressivste Volk auf der ganzen Welt, glaube ich, sind die Berliner Radfahrer und ich fahre selber wahnsinnig gerne Rad.