Im Syrienkonflikt fehlt es an Entschlossenheit

Von Reinhard Mutz |
Obwohl der syrische Bürgerkrieg nicht auf der Tagesordnung steht, werden die Staats- und Regierungschefs der EU wohl darüber sprechen. Der Europäische Rat sollte, so empfiehlt der Hamburger Friedensforscher Reinhard Mutz, auf die russisch-amerikanische Initiative setzen, die bereits einen Dialog der Konfliktparteien vorbereitet.
Worte oder Waffen: Vor dieser Wahl stehen Konfliktparteien seit Menschengedenken. Auch im Konflikt um Syrien sind das die Stoßrichtungen zweier politischer Initiativen: Waffen oder Worte. Die Entscheidung wird innerhalb weniger Wochen fallen müssen.

Bisher unterliegt das Bürgerkriegsland einem Waffenembargo der Europäischen Union. Ende Mai läuft es aus. Ob dann der syrische Aufstand auch aus Europa militärische Hilfe erhalten soll, wird strittig diskutiert. Großbritannien und Frankreich sind dafür, Deutschland und die meisten anderen EU-Staaten dagegen.

Mit einer rechtzeitigen Einigung rechnet in Brüssel niemand. Käme kein neuer Embargo-Beschluss zustande, wäre jede Regierung frei, nach eigenem Ermessen zu handeln. Aus der verdeckten würde die offene Protektion einer der beiden Kriegsparteien.

Jedoch fehlt es im syrischen Schreckensszenario nicht an Waffen: Es fehlt an Entschlossenheit, das Elend zu beenden, das die Waffen anrichten. Und hier kommt die zweite Initiative ins Spiel.

Bei ihrer Zusammenkunft Anfang Mai in Moskau überraschte der amerikanische Außenminister John Kerry seinen Amtskollegen Sergej Lawrow mit dem Vorschlag, eine internationale Syrien-Konferenz einzuberufen. Sie soll in wenigen Wochen beginnen und Vertreter von Regierung und Opposition an den Verhandlungstisch bringen. Statt einer militärischen steht eine politische Konfliktlösung zur Debatte.

Was bedeuten die beiden Vorstöße? Dürfte vom förmlichen Widerruf des europäischen Waffenembargos eine eher eskalierende Wirkung auf den syrischen Bürgerkrieg ausgehen, so bezweckt der Kerry-Vorschlag ausdrücklich das Gegenteil, nämlich das Ende des Blutvergießens.

Kerry knüpft an eine gut gemeinte, aber erfolglose Episode der internationalen Krisendiplomatie vom Juni 2012 an. Kofi Annan, damals Syrien-Sondergesandter der Vereinten Nationen, hatte die Außenminister der fünf Vetomächte des Sicherheitsrats nach Genf geladen.

Er ließ sie ein Programmdokument unterschreiben, das die Leitprinzipien seines eigenen Friedensplans bekräftigt: einen umfassenden Waffenstillstand und die Bildung einer Übergangsregierung. Als den Worten keine Taten folgten, trat Annan zurück.

Und ausgerechnet dieses verunglückte Genfer Kommuniqué soll heute als Wegweiser zum Frieden für Syrien taugen? Wer so fragt, übersieht in welchem Ausmaß sich die Lage im Krisengebiet inzwischen verschlimmert hat.

Anfang vergangenen Jahres vermuteten westliche Nachrichtendienste, der bewaffnete Widerstand gegen den Staat Assads könnte von Dschihad-Kämpfern durchsetzt sein. Heute diktiert der Al-Kaida-Ableger Al-Nusra das Geschehen an der Bürgerkriegsfront. Seine Sprengstoffattentate erreichen Zerstörungswirkungen, die denen der Terroranschläge von Madrid oder London nahekommen.

Angesichts der humanitären Katastrophe gehört die bisher praktizierte Politik auf den Prüfstand. Eine Konfliktlösung, die statt auf Waffenmacht auf Dialog und Diplomatie setzt, verlangt eine außergewöhnliche Anstrengung.

Sie kann nur gelingen, wenn alle Beteiligten Abstriche an ihren Maximalzielen vornehmen – die Herrschenden in Damaskus an der Absicht, allein zu entscheiden, welche Reformen das Land braucht, die Aufständischen an der Weigerung, mit Regierungsvertretern auch nur zu sprechen, und die westlichen Hauptstädte am Beharren auf einem von außen oktroyierten Regimewechsel.

Haben sich militärische Kontrahenten in einer heillosen Gewaltspirale verfangen, unfähig den Ausstieg zu finden, muss ihnen die viel beschworene internationale Gemeinschaft auf die Sprünge helfen. Die Chance mag klein erscheinen. Aber es könnte die letzte sein. Wer sie verspielt, übernimmt Mitverantwortung. Für die Folgen, für das Leiden, für die Opfer.

Reinhard Mutz, Friedensforscher, geboren 1938, studierte nach dem Militärdienst Politikwissenschaft, Soziologie und Neuere Geschichte, er promovierte über Probleme der Analyse, Kritik und Kontrolle militärischer Macht und habilitierte sich über Konventionelle Rüstungskontrolle in Europa. 1966 bis 1984 arbeitete er am Institut für internationale Politik und Regionalstudien der Freien Universität Berlin, zuletzt als Assistenzprofessor. Von 1984 bis 2006 am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, zuletzt als Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor. Von 1992 bis 2008 war er Mitherausgeber des Jahresgutachtens der friedenswissenschaftlichen Forschungsinstitute in der Bundesrepublik. Seine Arbeitsgebiete sind Friedensforschung, Rüstungskontrolle, internationale Sicherheitspolitik.
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