Im Strudel einer unruhigen Zeit

04.06.2009
In Li Daweis Buch "Love, Revolution und wie Kater Haohao nach Hollywood kam" trifft Roman auf Comic. Zur Zeit der Pekinger Studentenunruhen schließen zwei Sonderlinge Freundschaft – ein Kunststudent und der Kater Haohao. Die Verknüpfung zwischen realer Welt und Comiczeichnungen ermöglicht eine schonungslose Beschreibung dieser tabuisierten, unruhigen Zeit.
Sprechende Tiere haben in der chinesischen Literatur eine lange Tradition. In dem großen Romanwerk des 16. Jahrhunderts "Die Reise nach Westen" spielt ein Affe neben einem Mönch die Hauptperson. Solche Phantasien fanden im sozialistischen Realismus keinen Platz mehr. Nun hat der junge Autor Li Dawei in seinem autobiographischen Roman "Love, Revolution und wie Kater Haohoa nach Hollywood kam" einem Kater die Hauptrolle gegeben.

Die Studentenunruhen in Peking auf dem Platz des Himmlischen Friedens gehen am 4. Juni 1989 von einem friedlichen Protest in ein blutiges Massaker über. Ein junger Kunststudent und Comiczeichner, ein unpolitischer Einzelgänger, dem jede Form von Kollektivismus zuwider ist, erlebt diesen Tag unmittelbar mit, weil er auf der Suche nach seiner neuen großen Liebe, der Studentenführerin "Kleine Kim" ist. So erlebt er die brutale Niederschlagung der Studentenunruhen ganz direkt, taumelt orientierungslos durch die Massen und kann sich nur mit Mühe retten. Statt seiner Freundin findet er einen ziemlich verstörten Kater, den er mit nach Hause nimmt. Eines Abends beginnt der Kater zu sprechen. Sein Name sei Haohao. Schnell entwickelt sich zwischen den beiden Sonderlingen eine intensive "Vater-Sohn-Beziehung". Während der Ich-Erzähler dem Strudel der unruhigen Zeit schließlich entkommt, indem er eine Stelle als Boulevardjournalist annimmt, träumt Haohao von einer Karriere als Schauspieler à la Garfield in Hollywood. Der Kater wandert tatsächlich aus, muss aber erfahren, dass das Emigrantendasein mühsam ist. Nachdem es Haohao doch noch gelingt, als Tony Cat Karriere zu machen, folgt ihm sein "Vater". Er hat erfahren, dass seine große Liebe auch nach Amerika ausgewandert ist. Doch im realen Leben sind die Happy Ends rar gesät und so flüchtet sich der Ich-Erzähler einmal mehr in seine Comicwelt.

Li Dawei begeht mit der detaillierten Beschreibung der Geschehnisse vom 4. Juni 1989 in Peking einen Tabubruch. Er nützt dafür die Verknüpfung von Erzählung und Comicwelt, indem Comic-Zeichnungen von Sheng Tao Teil des Romans werden. Diese nahtlosen Übergänge zwischen der Phantasiewelt und dem Alltag des Ich-Erzählers erlauben dem Autor eine klare und schonungslose Beschreibung der Situation im Peking der Studentenunruhen und der Zeit danach. Daneben karikiert Li Dawei die Träume der Pekinger Großstadtbohème Anfang der 90er-Jahre in einem ironisch-lakonischen Ton, ohne einen großen Spannungsbogen aufzubauen. Es sind die detaillierten persönlichen Einblicke, die den Reiz dieses Romans ausmachen.

Li Dawei wurde 1963 in Peking geboren und studierte dort Amerikanistik. Nach seinen Anfängen als Lyriker begann er 1989 Prosa zu schreiben. Im selben Jahr nahm er eine Katze bei sich auf. Seit 2001 lebt Li Dawei überwiegend in den USA. Er schreibt für chinesischsprachige Zeitungen, unter anderem auch für das in Deutschland herausgegebene Magazin "Ouline". Im Jahr 2000 erhielt er den Literaturpreis der chinesischen Zeitschrift "Shiyue" (Oktober). "Love, Revolution und wie Kater Haohao nach Hollywood kam" ist Li Daweis erster auf Englisch geschriebener Roman.

Besprochen von Birgit Koß

Li Dawei: Love: Revolution und wie Kater Haohao nach Hollywood kam
Roman
Aus dem Amerikanischen von Anne Rademacher
Knaus Verlag, München 2009
320 Seiten, 19,95 Euro