Im Streit eröffnet

Wie die Kölner mit der Zentralmoschee leben

12:40 Minuten
DITIB-Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld
Vor dem Bau der repräsentativen Moschee beteten Muslime in Köln haupsächlich in sogenannten Hinterhof-Moscheen. © Geisler-Fotopress
Von Moritz Küpper und Vivien Leue · 27.09.2019
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Der türkische Staatspräsident Erdogan reiste zur Eröffnung an – die Kölner Kommunalpolitiker sagten ab. Dabei hatten sie sich für die Zentralmoschee eingesetzt. Wie sieht es heute aus – rund um das monumentale Kölner Gebetshaus?
Freitagnachmittag in Köln-Ehrenfeld. Schon von weitem glänzt die imposante Zentralmoschee in der Herbstsonne.
"Früher hat man in so einem kleinen Fabrikgelände gebetet und jetzt ist das eine große Moschee. Es ist neu, es ist schön und deswegen ist das was Schönes."

Dieser Familienvater ist mit seiner kleinen Tochter und seiner Frau gekommen. Das Mädchen trägt ein rosa Kleid und glitzernde Spangen im Haar. Sie spielt auf dem Arm des Vaters mit seinem Hemdkragen.
"Es ist nicht nur das Gebet, nicht nur die Mestid, wo wir hinkommen: Es ist die Moschee. Das ist ein Event für sich selber. Wir gehen danach Eis essen, wir gehen spazieren, und deshalb kommen wir jeden Freitag hierher.
So wie diese Familie machen sich regelmäßig hunderte Gläubige aus der gesamten Region auf den Weg, um am traditionellen Freitagsgebet teilzunehmen.

Stolz auf das architektonische Meisterwerk

Mit 1200 Plätzen ist die Kölner Zentralmoschee das größte islamische Gotteshaus in Deutschland und – außerhalb der Türkei – eine der größten Moscheen in Europa. Die mehr als 30 Meter hohe Kuppel besticht durch ihre kunstvoll geschwungenen Betonschalen und viel Glas. Zwei Minarette ragen 55 Meter in die Höhe. Über einer breiten Freitreppe hängt ein Transparent: "Herzlich Willkommen" steht auf Deutsch und Türkisch darauf.
Das Herzstück ist der Kuppelsaal. Goldfarbene Stuckplatten an den Wänden, ein gewaltiger Kronleuchter unter der Decke. Viele Besucher sind stolz auf diese Moschee:
"Das ist ein architektonisches Meisterwerk. Also, Muslime sind Teil der deutschen Gesellschaft, wie jede andere Gruppe auch. Und das kann man dann auch zeigen."
Erdogan-Anhänger schwenken türkische Staatsflaggen  in Köln-Ehrenfeld Ende August 2018.
Bei der Eröffnung der Moschee sprach der türkische Staatspräsident Erdogan. Fast alle deutschen Politiker fehlten.© imago/Future Image/C.Hardt
Vor einem Jahr wurde sie offiziell eröffnet. Allerdings unter Zwist. Weder der deutsche Bundespräsident noch ein ranghoher Politiker eröffneten die Moschee. Nein, der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan war es, der vor tausenden begeisterten Deutsch-Türken sprach.
"Mit dieser Moschee hat die türkische Gemeinde gezeigt, dass sie ein unzertrennlicher Teil dieser Gesellschaft und dieses Landes ist. Und wir erwarten, dass andere deutsche Städte ähnliche Projekte auf den Weg bringen."

Türkisch oder deutsch, wie sieht sich die Gemeinde?

"Damit hat die Ditib das Zeichen gesetzt: Ja, wir sind vor allem türkisch", erklärt noch heute, ein Jahr später, die nordrhein-westfälische Staatssekretärin für Integration, Serap Güler.
"Das wird vielleicht etwas sein, worüber man in 20, 30 Jahren noch spricht, was man der Ditib in 20, 30 Jahren noch vorwirft. Ich hätte mir gewünscht, dass man so ein symbolträchtiges Ereignis noch mal anders aufzieht und damit die Gelegenheit ergreift zu zeigen: Wir sind deutsche Muslime und nicht türkische."
Letztlich fehlten bei der Eröffnung fast alle deutschen Politiker, die den Bau jahrelang unterstützt und sich für ihn eingesetzt hatten: NRW-Ministerpräsident Armin Laschet oder Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker zum Beispiel.
Rückblickend sagt Reker:
"Ich glaube, da hat einfach eine Entfremdung stattgefunden. Kann sein, dass sie ihren Höhepunkt in dem Besuch des türkischen Staatspräsidenten hatte, aber die Entfremdung war vorher da."
Dabei war das Projekt "Zentralmoschee" vor fast 20 Jahren mit vielen Hoffnungen gestartet: Ein Symbol der gelungenen Integration sollte es sein, das Zeichen eines funktionierenden interkulturellen Dialogs.

Tolles Verhältnis endete in Sprachlosigkeit

Anfangs sah es auch so aus, als würden diese Hoffnungen erfüllt, erinnert sich der Kölner Unternehmer und Vorstand des Ehrenfelder Karnevals-Vereins, Jochem Falkenhorst. Er ist Mitglied des von der Ditib eingesetzten Moschee-Beirats, einer Gruppe von Vertretern aus Politik und Stadtgesellschaft, die als Scharnier zwischen der Ditib und den Anwohnern, ja der Kölner Stadtgesellschaft, fungieren sollten.
"Wir hatten ein supertolles Verhältnis früher zu der Ditib. Wir konnten offen reden, haben Fußball zusammen geguckt, wir haben Spaß zusammen gehabt, man hat sich gegenseitig eingeladen und dann wechselte – ich weiß gar nicht, der wievielte Vorstand jetzt im Amt ist – wurde die Kommunikation immer weniger."
Viele fühlten sich ausgeschlossen und verließen den Beirat aus Protest. Konflikte und Missverständnisse häuften sich. Auch der zuständige Architekt Paul Böhm bekam das zu spüren. 2011 stellte die Ditib Baumängel am Gebäude fest und trennte sich von ihm. Er wehrte sich gegen diese – in seinen Worten – Rufschädigung und begleitete die Fertigstellung seines Baus letztlich als Berater.
Heute sagt Paul Böhm: "Wir wollten eigentlich erreichen, dass die Menschen, die hier leben und einen bestimmten Glauben leben, ein würdiges und adäquates Haus bekommen."

Repräsentatives Gebetshaus statt Hinterhof-Moschee

Bis dato gab es in Köln wie in den meisten deutschen Städten vor allem sogenannte Hinterhof-Moscheen: Gebetsräume in verlassenen Gewerbeeinheiten oder anderen Baracken. Der Bau einer repräsentativen Moschee sei deshalb wichtig gewesen, betont der mehrfach preisgekrönte Architekt.
"Das hat einen Prozess eingeleitet, der noch lange nicht abgeschlossen ist. Und solche Prozesse, die haben Fortschritte und Rückschritte.
Versöhnliche Töne gab es dann kurz nach der Eröffnungsfeier. Am 3. Oktober 2018, dem traditionellen Tag der offenen Moschee, lud die Kölner Zentralmoschee Besucher ein – und präsentierte sich, ganz anders als bei ihrer offiziellen Eröffnung vier Tage zuvor, gesprächsbereit, offen, versöhnlich.
"Natürlich hat es Unzulänglichkeiten gegeben", räumte der damalige Ditib-Vorsitzende und Entsandte der türkischen Religionsbehörde Diyanet, Nevzat Yasar Asikoglu, ein.
"Wir nehmen diese Kritik an, aber man sollte sich nicht an dieser Kritik festbeißen. Man muss hier jetzt schauen, mit welchen Gemeinsamkeiten, mit welchen gemeinsamen Zielen wir in die Zukunft schauen können. Wir sollten der Stadt Köln und den Menschen hier vor Ort positive Signale für die Zukunft senden, für ein besseres Miteinander."

Köln hat den Dom, Köln hat die Moschee

Wofür also steht die Ehrenfelder Ditib-Moschee heute, ein Jahr nach der ihrer großen Eröffnung? Ist sie das erhoffte Symbol gelungener Integration? Oder doch der verlängerte Arm des türkischen Staates?
In Köln-Ehrenfeld sind sich die meisten Moschee-Besucher einig: Ihnen geht es um das Gebet, nicht um die Politik:
"Ist doch schön, dass wir den Dom in Köln und auch diese Moschee in Köln haben."
"Das war natürlich ein politisches Event, dass Herr Erdogan hier war. Er ist jemand Wichtiges, ob man ihn mag oder nicht. Es musste nicht unbedingt sein, aber okay."
"So eine schöne Moschee, das aus unterschiedlichen Kulturen die Menschen hierhin kommen, ist wirklich toll. Das macht auch glücklich."
Auch für die Anwohner, die nicht in die Moschee gehen, gehört der imposante Bau mittlerweile wie selbstverständlich zum Stadtviertel dazu.
"Sie ist sehr schön, das finde ich nach wie vor und belebt das Viertel, unbedingt."
"Das war ja am Anfang sehr stark in der Diskussion. Aber so habe ich jetzt auch nicht großartig eine Veränderung feststellen können, jetzt hier im Umfeld."
"Sie ist halt da. Gehört auch mittlerweile mit dazu."

Muslimbrüder zu Gast in der Zentralmoschee

Ganz so gelassen möchte die Politik mit dem Islamverband Ditib allerdings nicht umgehen. Erst im Januar dieses Jahres fand auf dem Gelände der Zentralmoschee ein Treffen europäischer Muslime statt, an dem auch Muslimbrüder teilnahmen. Erdogan sympathisiert mit der Gruppierung. Der Verfassungsschutz stuft sie als extremistisch ein.
"Natürlich haben wir die Vermutung, dass die Ditib gesteuert ist", erklärt Kölns Oberbürgermeisterin Reker. "Die Vorsitzenden haben sich auch immer weiter ins Konservative verändert, sage ich mal. Ins Türkisch-Konservative."

"Es ist in der Tat ein Dilemma", meint auch NRW-Integrations-Staatssekretärin Serap Güler. Sie weiß, wie wichtig die Moschee für die gläubigen Muslime der Region ist. Letztlich aber könne die nordrhein-westfälische Landespolitik sie eben nicht abgekoppelt von ihrem Hausherren, der Ditib, sehen.
"Ich wünsche mir von der Ditib ein klares Zeichen, bestimmte Dinge anders anzugehen. Das ist ganz klar die enge Anbindung an Ankara."
Güler wünscht sich eine engere Anbindung an Deutschland, zeigt sich aber auch selbstkritisch: Jahrzehntelang habe Deutschland bei dem islamischen Dachverband gar nicht so genau hingeschaut:
"Es war für uns bequem, die Ditib so zu nehmen, wie sie ist. Erstens mussten wir uns nicht um die Belange der Muslime kümmern, das hat die Ditib weitgehend als größter Verband übernommen. Zweitens wussten wir mit einem türkischen Islam, wissen wir, was wir haben."
So ist der türkische Islam nicht für Extremismus bekannt, "das kam uns gelegen", sagt Güler.
Zumindest bis sich der politische Wind in Ankara drehte, der Staat konservativer wurde und mit ihm das Religionsverständnis. In vielen Ditib-Landesgruppen haben mittlerweile Funktionäre der türkischen Religionsbehörde Diyanet großen Einfluss.
Besucher stehen am Tag der offenen Moschee in der Ditib-Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld
"Wichtig ist mir, dass sich die Ditib in die Stadtgesellschaft öffnet", sagt Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker.© picture alliance/ dpa/ Henning Kaiser

Ditib lädt jetzt regelmäßig zu Pressekonferenzen ein

Möglicherweise gibt es jetzt aber doch erste Anzeichen für einen Veränderungsprozess. Zumindest hat die Ditib offenbar verstanden, dass die deutsche Öffentlichkeit ganz genau hinschaut, was der Verband entscheidet. Sie lädt jetzt regelmäßig zu Pressekonferenzen ein, zuletzt im Juli.
"Seit unserem letzten Treffen hat sich bei Ditib einiges verändert", sagt der Vorstandsvorsitzende Kazim Türkmen.
"Wir sind als Ditib hier beheimatet und leisten hier unsere Beiträge. Es gibt natürlich immer wieder neue Herausforderungen und daher immer wieder Bedarf zu neuen Ansätzen."

Zum Beispiel bei der Ausbildung von Imamen. Sie wurden bisher von der türkischen Religionsbehörde Diyanet nach Deutschland entsandt und auch von ihr bezahlt. Das will Ditib nun ändern und ihre Imame künftig in einem eigenen Zentrum in der Eifel ausbilden, erklärt Türkmen. Alle rund 1000 Ditib-Imame sollen nun nach und nach durch Prediger ersetzt werden, die in Deutschland aufgewachsen sind.
Ditib-Generalsekretär Abdurrahman Atasoy ergänzt:
"Es ist auch wichtig, dass man hier erwähnt, dass wir hier als Ditib schon seit 1984 versuchen, alles mit aufzubauen und zu gestalten, teilzuhaben. Es ist auch wichtig, dass wir als Religionsgemeinden die Gemeinsamkeiten hervorrufen möchten und dafür agieren, dass die Sprache der Versöhnung dazu beitragen wird, dass in Deutschland die Gemeinsamkeiten gestärkt werden."
Ein Porträt von Serap Güler, CDU, Staatssekretärin in der nordrhein-westfälischen Landesregierung
Serap Güler (CDU), Staatssekretärin in der nordrhein-westfälischen Landesregierung: "Es war für uns bequem, die Ditib so zu nehmen, wie sie ist."© dpa / Rolf Vennenbernd

Veranstaltungen im Moschee-Forum

An der Zentralmoschee soll jetzt ein sogenanntes Moschee-Forum entstehen. Dort will man sich künftig um Besucheranfragen kümmern und Lesungen, Vorträge, Ausstellungen oder musikalische Aufführungen organisieren.
Die Zentralmoschee als Hort des interkulturellen Dialogs – für viele Kölner klingen diese Vorschläge nicht fremd. Denn das hat die Ditib schon häufiger versprochen – die Hoffnungen darauf dann aber doch wieder enttäuscht.
"Wichtig ist mir, dass sich die Ditib in die Stadtgesellschaft öffnet, und damit meine ich nicht einzelne Veranstaltungen oder Straßenfeste oder Tage der offenen Moschee, sondern damit meine ich wirklich, dass unsere Werte von Freiheit, Vielfalt und Toleranz Unterstützung erfahren."
Sie stehe immer für den Dialog bereit, heute wie früher, sagt die Kölner Oberbürgermeisterin. Auf der persönlichen Ebene, mit einzelnen Gläubigen, gebe es immerhin offene Gespräche.
"Viele der Menschen sind unglaublich gut integriert, die sprechen mit mir Kölsch. Ich glaube, dass die Ditib da einfach als Institution Nachholbedarf hat. Die ist da von ihren Menschen schon längst überholt worden."
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