Im Spinnennetz der Obrigkeit
"Im Spinnennetz", der abschließende Band von Klaus Kordons Trilogie über die großen politischen Umwälzungen im 19. Jahrhundert, spielt im Berlin der 1880er-Jahre. Im Fokus steht erneut die sozialdemokratische Familie Jacobi.
Wenn einer zu Recht sagen kann "Ich bin ein Berliner", dann der Kinder- und Jugendbuchautor Klaus Kordon. 1943 in Berlin geboren, aufgewachsen in der geteilten Stadt, mit seiner Familie inhaftiert wegen versuchter Republikflucht und vom Westen freigekauft ging er nach der Wende nach Berlin zurück.
Hier, wo immer wieder deutsche Geschichte geschrieben wurde, spielen auch fast alle seine ebenso ambitionierten wie erfolgreichen Jugendbücher: ob im 19. oder 20.Jahrhundert, während der 48er-Revolution oder der 89er-Wende, im Ersten oder Zweiten Weltkrieg. Klaus Kordons neuer Jugendroman "Im Spinnennetz" ist der dritte und letzte Teil einer Trilogie über die großen politischen Umwälzungen im 19. Jahrhundert. Sylvia Schwab hat ihn gelesen.
Schilderte Klaus Kordon im ersten Teil seiner Trilogie die Zeit der 1848er-Revolution in Berlin und im zweiten die siebziger Jahre mit dem Krieg gegen den "Erbfeind" Frankreich, so spielt der abschließende Band "Im Spinnennetz" Ende der 1880er-Jahre zur Zeit der Sozialistengesetze. Im Fokus steht wieder die sozialdemokratische Familie Jacobi, alle bekannten Personen sind wieder eine Generation älter geworden.
Frieder, der Großvater, sitzt wegen Staatshetze im Gefängnis in Plötzensee. Seine drei Kinder Rieke, August und Köbbe sind erwachsen und als Malerin, Arzt und Journalist erklärte Gegner der Monarchie. David, Riekes sechzehnjähriger Sohn, ist nun Protagonist und Identifikationsfigur. Er fliegt vom Gymnasium, weil er beim Kleben aufrührerischer Plakate erwischt wurde und wird Zimmermann wie Vater und Großvater. Er verliebt sich in Anna, die Proletariergöre mit dem frechen Mundwerk und wird in der täglichen Konfrontation mit Armut, Hunger, Streiks und den Repressionen durch die Obrigkeits-"Spinne" langsam erwachsen.
"Im Spinnennetz" ist Familienroman und Epochenpanorama, Bildungsroman und Liebesgeschichte in einem. Wie in den beiden Vorgängerbänden gelingt es Kordon mühelos, private Ereignisse und politische Entwicklungen so miteinander zu verknüpfen, dass der jugendliche Leser über 500 Seiten fast durchweg gefesselt ist. Eine bunte Menge von sehr unterschiedlichen Charakteren, Schicksalen und Milieus bevölkert den Roman; die Figuren, ob Arzt oder Alkoholiker, Zimmermann oder Lehrer sind kräftig, lebendig und individuell gezeichnet.
Nicht zu übersehen ist Klaus Kordons Wunsch, seinen jungen Lesern die politischen und sozialen Rahmenbedingungen zu zeigen, aus denen heraus sich langsam demokratische Reformen entwickelten. Behördenwillkür, Arbeiterelend, fehlende Rechte für Frauen, Sozialistengesetze - Davids Familie ist unmittelbar betroffen oder diskutiert das Unrecht heftig mit politischen Freunden. In diesen Diskussionen kommen viele verschiedene Sichtweisen zu Wort, sie fordern den jungen Leser auf, sich seine Meinung selbst zu bilden und seinen eigenen Weg mutig zu gehen.
Heimliche Heldin ist wieder Berlin: Liebevoll zeichnet Kordon Gassen und Märkte, das jüdische Scheunenviertel und die hässlichen Hinterhöfe, aber auch Bürgerpaläste und ein Rittergut. David lernt das harte Leben der ganz kleinen Leute kennen, aber auch großbürgerlichen Luxus. Anschaulicher kann man diese Zeit mit ihren gesellschaftlichen Widersprüchen, politischen Umbrüchen und ihrem rapiden technischen Fortschritt (Telefon, elektrisches Licht) kaum schildern.
Gelassen, weitschweifig, manchmal auch behäbig erzählt Kordon seine Trilogie zu Ende. Man spürt förmlich die Erzählfreude des überzeugten Realisten. Augenzwinkernd imitiert er den Berliner Dialekt, spickt gerade die zaghaft-naive Liebesgeschichte von David und Anna mit flotten Sprüchen und deftigen Lebensweisheiten. Fazit: Geschichte zum Anfassen, weitaus lebendiger und konkreter als in jeder Schulstunde.
Besprochen von Sylvia Schwab
Klaus Kordon, Im Spinnennetz
Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2010
585 Seiten, 19,95 Euro
Ab 14 Jahren
Hier, wo immer wieder deutsche Geschichte geschrieben wurde, spielen auch fast alle seine ebenso ambitionierten wie erfolgreichen Jugendbücher: ob im 19. oder 20.Jahrhundert, während der 48er-Revolution oder der 89er-Wende, im Ersten oder Zweiten Weltkrieg. Klaus Kordons neuer Jugendroman "Im Spinnennetz" ist der dritte und letzte Teil einer Trilogie über die großen politischen Umwälzungen im 19. Jahrhundert. Sylvia Schwab hat ihn gelesen.
Schilderte Klaus Kordon im ersten Teil seiner Trilogie die Zeit der 1848er-Revolution in Berlin und im zweiten die siebziger Jahre mit dem Krieg gegen den "Erbfeind" Frankreich, so spielt der abschließende Band "Im Spinnennetz" Ende der 1880er-Jahre zur Zeit der Sozialistengesetze. Im Fokus steht wieder die sozialdemokratische Familie Jacobi, alle bekannten Personen sind wieder eine Generation älter geworden.
Frieder, der Großvater, sitzt wegen Staatshetze im Gefängnis in Plötzensee. Seine drei Kinder Rieke, August und Köbbe sind erwachsen und als Malerin, Arzt und Journalist erklärte Gegner der Monarchie. David, Riekes sechzehnjähriger Sohn, ist nun Protagonist und Identifikationsfigur. Er fliegt vom Gymnasium, weil er beim Kleben aufrührerischer Plakate erwischt wurde und wird Zimmermann wie Vater und Großvater. Er verliebt sich in Anna, die Proletariergöre mit dem frechen Mundwerk und wird in der täglichen Konfrontation mit Armut, Hunger, Streiks und den Repressionen durch die Obrigkeits-"Spinne" langsam erwachsen.
"Im Spinnennetz" ist Familienroman und Epochenpanorama, Bildungsroman und Liebesgeschichte in einem. Wie in den beiden Vorgängerbänden gelingt es Kordon mühelos, private Ereignisse und politische Entwicklungen so miteinander zu verknüpfen, dass der jugendliche Leser über 500 Seiten fast durchweg gefesselt ist. Eine bunte Menge von sehr unterschiedlichen Charakteren, Schicksalen und Milieus bevölkert den Roman; die Figuren, ob Arzt oder Alkoholiker, Zimmermann oder Lehrer sind kräftig, lebendig und individuell gezeichnet.
Nicht zu übersehen ist Klaus Kordons Wunsch, seinen jungen Lesern die politischen und sozialen Rahmenbedingungen zu zeigen, aus denen heraus sich langsam demokratische Reformen entwickelten. Behördenwillkür, Arbeiterelend, fehlende Rechte für Frauen, Sozialistengesetze - Davids Familie ist unmittelbar betroffen oder diskutiert das Unrecht heftig mit politischen Freunden. In diesen Diskussionen kommen viele verschiedene Sichtweisen zu Wort, sie fordern den jungen Leser auf, sich seine Meinung selbst zu bilden und seinen eigenen Weg mutig zu gehen.
Heimliche Heldin ist wieder Berlin: Liebevoll zeichnet Kordon Gassen und Märkte, das jüdische Scheunenviertel und die hässlichen Hinterhöfe, aber auch Bürgerpaläste und ein Rittergut. David lernt das harte Leben der ganz kleinen Leute kennen, aber auch großbürgerlichen Luxus. Anschaulicher kann man diese Zeit mit ihren gesellschaftlichen Widersprüchen, politischen Umbrüchen und ihrem rapiden technischen Fortschritt (Telefon, elektrisches Licht) kaum schildern.
Gelassen, weitschweifig, manchmal auch behäbig erzählt Kordon seine Trilogie zu Ende. Man spürt förmlich die Erzählfreude des überzeugten Realisten. Augenzwinkernd imitiert er den Berliner Dialekt, spickt gerade die zaghaft-naive Liebesgeschichte von David und Anna mit flotten Sprüchen und deftigen Lebensweisheiten. Fazit: Geschichte zum Anfassen, weitaus lebendiger und konkreter als in jeder Schulstunde.
Besprochen von Sylvia Schwab
Klaus Kordon, Im Spinnennetz
Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2010
585 Seiten, 19,95 Euro
Ab 14 Jahren