Im Sog der virtuellen Bühnenräume
Menschenleer wie moderne Architekturfotos und ebenfalls dem puren Raum gewidmet erscheinen die Bilder von Ben Willikens. Die Malerei des Bühnenbildners ist nun erstmals in einer Ausstellung in der Kunsthalle Recklinghausen zu sehen: Großformatige Bilder von langen Flure oder in fernen Fluchtpunkten zusammentreffenden Wänden. Entwickelt hat sich diese Malerei aus Willikens' persönlicher Erfahrung in Klinikzimmern oder Anstaltsräumen.
Auf die enormen Räume der Moderne, auf einschüchternd hohe Fabrik- und Bahnhofshallen oder scheinbar endlose Einkaufspassagen reagierte die Fotografie, indem sie Menschen in den Bildern platzierte - als Anhaltspunkt und Maßstab, als Orientierung. Heute sind Architekturfotos menschenleer, gelten dem puren Raum. Und eben dies könnte man auch der Malerei von Ben Willikens unterstellen, seinen großformatigen Bildern langer Flure oder in fernen Fluchtpunkten zusammentreffender Wände und Kolonnaden. Die Säule dient in diesen erdachten Monumentalensembles nicht mehr als Ornament und schon gar nicht als statisch notwendige Stütze, sondern als ideeller Halt, als Platzhalter der menschlichen Figur, als Emblem jenes untergegangenen Humanismus, der bei Schiller noch eine zentrale Rolle spielte. Nicht nur im Hintergrund, etwa beim Bühnenbild des Architekten Schinkel für die "Jungfrau von Orleans". Aber wenn Willikens, der akademische Lehrer und Maler, für die Bühne arbeitet, bleibt es nicht bei der emblematischen Bedeutung, weiß Ferdinand Ullrich, Direktor der Kunsthalle Recklinghausen:
" Die Schauspieler agieren mit und in dem Bühnenbild, das sich selbst verändert und entwickelt: Die einzelnen Bestandteile des Bühnenbildes ändern ihre Funktion und der statische Pfeiler wird dann plötzlich eine bloße Theke oder die Treppe mutiert zu einem Lotterbett."
Dahin muss es erst kommen. Denn am Anfang, im Erdgeschoß des weißgekalkten "Kunstbunkers" hängen nüchterne Etüden, vielfache Abwandlungen einer Tür etwa, vor der nur die Gitterlinien der Bodenfliesen oder die Grautönungen der Wand variiert werden. Dramatik sieht man dieser eher abstrakten Malerei kaum an, aber Ullrich meint:
" Auch das sind Bühnen die er auf der flachen Leinwand malt, menschenleere Bühnen. Das Theater hat ja den Vorteil, dass diese leere Bühne mit Menschen, mit der Dramaturgie des Stückes gefüllt werden kann - und dann verschwinden sie auch wieder. Ben Willikens hat selber gesagt, er finde es ganz schön, wenn die Bilder leer sind - die Bühnenbilder - und sich dann mit Menschen kurzzeitig füllen, dann wieder leer gezogen werden, so dass nur noch ein Bild übrig bleibt."
Willikens selbst hat einmal gesagt, dass seine Bilder am tiefsten Punkt eines Strudels angesiedelt seien, im leeren Auge oder Zentrum eines Strömungsorkans. Sie werden also zum Bühnenbild, wenn das heftig bewegte, das strudelnde Schauspiel hinzutritt. Und dabei soll das Bild eben nicht Kulisse bleiben, sondern zum Gravitationszentrum und Fluchtpunkt in der Betrachtung des Zuschauers werden. Wie es dazu kommt, demonstriert die Ausstellung nicht chronologisch, sondern mit der logischen Konsequenz von Skizzenserien, den daraus folgenden Tafelbildern und großformatigen Raumsequenzen.
" Da sind die Skizzen, seine Gouachen, sehr wichtig, weil sie deutlich machen, dass er nicht ein bloßer Konstrukteur von Räumen ist, wo Zirkel und Lineal herrschen. Sondern dass er sehr intuitiv Flächen setzt, Linien, die in die Tiefe gehen, setzt und damit spielt, dann zwischen Linie und Fläche changiert, dass sie erdacht aber auch gefühlt sind. Also keine mathematische Kunst, sondern eine Malerei, die sich sogar auch aus dem Gestus entwickelt."
Und diesem Gestus, diesem Gefühl müssen sich nicht nur die Schauspieler stellen, auch der Museumsbesucher spürt, dass hier mehr herrscht als nur der vordergründige Sog der klassischen Zentralperspektive. Dies ist ein gekonnt verborgenes Markenzeichen Willikens:
" Dass er gerade über Malerei in der Lage ist, ein Gefühl der Verlorenheit zu schaffen, der Verlorenheit des einzelnen vor einem leeren Bild. Man muss sich vor diesen Bildern körperlich verhalten, denn das sind zum Teil Ausmaße von vier Meter Höhe und sechs Meter Breite, da ist man schon verloren als Körper in diesen Bildern, wenn man sich allein davor befindet."
Bühnenräume sind ja mehr als nur physische Gebilde, und wenn Willikens ein Bild für Frank Hoffmanns Festspiel-Inszenierung der "Minna von Barnhelm" schafft, geht es bei aller Abstraktion darum, die Zerbrechlichkeit der Vision eines bürgerlichen Glücks in jener feudalen Welt des ausgehenden 18. Jahrhunderts nicht zu illustrieren, sondern im Theaterspiel der Charaktere zu begleiten:
" Es bewegt sich, dieses Bild verändert sich vom absoluten Pathos in die absolute Banalität. Er zerstört sozusagen seinen eigenen Ansatz im Laufe des Stückes in der Zeiteinheit."
Suchte die antike Malerei im Theater den vorhandenen, begrenzten Bühnenraum durch eine perspektivische Scheinarchitektur illusionistisch zu erweitern, führt Willikens diesen Ansatz fort - und bricht ihn gleichzeitig im Sinne der Moderne:
" Es gibt die Fluchtlinienperspektive, also die Folie für den absoluten Naturalismus, aber farblich ist das ja ganz in Grau gehalten. Diese Grisaille-Malerei ist ja ein Abstraktum, ein Medium, das ganze Bild doch wieder an die Fläche zurück zu binden. Das sind zwei Prinzipien, die gegeneinander stehen. Das auszuloten, diese Spannung auszuloten ist eben die hohe Kunst von Ben Willikens."
Entwickelt hat sich diese Malerei aus Willikens' persönlicher Erfahrung in Klinikzimmern oder Anstaltsräumen. Da prallten Licht und Schatten mit brutaler Härte aufeinander, verschwammen an den Rändern hin und wieder aber auch in traumwandlerisch nebligem Grau. In den vergangenen zehn Jahren dann sind die Räume, oder vielmehr ihre Bilder, zunehmend heller, nach hinten offen geworden. Und in der zweiten Etage zeigt Ullrich neben einer Paraphrase auf das abstrakte Kabinett von El Lissitzky auch ein monumentales Panorama aus sieben, jeweils zwei Meter breiten Teilen:
" Es werden geradezu sakrale oder mystische Räume, selbst da, wo er tatsächliche Architekturen in seinen Bildern verarbeitet, sei es die Nazi-Architektur oder die Räume der Moderne - als einen Malanlass, als einen Anlass innerbildliche virtuelle Räume zu schaffen von hoher Suggestionskraft."
Da kommt einem Sergej Eisenstein in den Sinn, der 1940 in Moskau Richard Wagners "Walküre" inszenierte und betonte, dass Realismus eben nicht penible Milieuschilderung bedeute, sondern ein Realitäts-Gefühl vermitteln müsse, mit mathematischer Präzision über den "emotionalen Komplex" der auf der Bühne verhandelten Epoche aufklären müsse. Die Bildregie dazu hat Willikens geliefert, was auf der Bühne inszeniert wird, steht - so spannend und spannungsreich ist nun mal das Theater - auf einem anderen Blatt.
" Die Schauspieler agieren mit und in dem Bühnenbild, das sich selbst verändert und entwickelt: Die einzelnen Bestandteile des Bühnenbildes ändern ihre Funktion und der statische Pfeiler wird dann plötzlich eine bloße Theke oder die Treppe mutiert zu einem Lotterbett."
Dahin muss es erst kommen. Denn am Anfang, im Erdgeschoß des weißgekalkten "Kunstbunkers" hängen nüchterne Etüden, vielfache Abwandlungen einer Tür etwa, vor der nur die Gitterlinien der Bodenfliesen oder die Grautönungen der Wand variiert werden. Dramatik sieht man dieser eher abstrakten Malerei kaum an, aber Ullrich meint:
" Auch das sind Bühnen die er auf der flachen Leinwand malt, menschenleere Bühnen. Das Theater hat ja den Vorteil, dass diese leere Bühne mit Menschen, mit der Dramaturgie des Stückes gefüllt werden kann - und dann verschwinden sie auch wieder. Ben Willikens hat selber gesagt, er finde es ganz schön, wenn die Bilder leer sind - die Bühnenbilder - und sich dann mit Menschen kurzzeitig füllen, dann wieder leer gezogen werden, so dass nur noch ein Bild übrig bleibt."
Willikens selbst hat einmal gesagt, dass seine Bilder am tiefsten Punkt eines Strudels angesiedelt seien, im leeren Auge oder Zentrum eines Strömungsorkans. Sie werden also zum Bühnenbild, wenn das heftig bewegte, das strudelnde Schauspiel hinzutritt. Und dabei soll das Bild eben nicht Kulisse bleiben, sondern zum Gravitationszentrum und Fluchtpunkt in der Betrachtung des Zuschauers werden. Wie es dazu kommt, demonstriert die Ausstellung nicht chronologisch, sondern mit der logischen Konsequenz von Skizzenserien, den daraus folgenden Tafelbildern und großformatigen Raumsequenzen.
" Da sind die Skizzen, seine Gouachen, sehr wichtig, weil sie deutlich machen, dass er nicht ein bloßer Konstrukteur von Räumen ist, wo Zirkel und Lineal herrschen. Sondern dass er sehr intuitiv Flächen setzt, Linien, die in die Tiefe gehen, setzt und damit spielt, dann zwischen Linie und Fläche changiert, dass sie erdacht aber auch gefühlt sind. Also keine mathematische Kunst, sondern eine Malerei, die sich sogar auch aus dem Gestus entwickelt."
Und diesem Gestus, diesem Gefühl müssen sich nicht nur die Schauspieler stellen, auch der Museumsbesucher spürt, dass hier mehr herrscht als nur der vordergründige Sog der klassischen Zentralperspektive. Dies ist ein gekonnt verborgenes Markenzeichen Willikens:
" Dass er gerade über Malerei in der Lage ist, ein Gefühl der Verlorenheit zu schaffen, der Verlorenheit des einzelnen vor einem leeren Bild. Man muss sich vor diesen Bildern körperlich verhalten, denn das sind zum Teil Ausmaße von vier Meter Höhe und sechs Meter Breite, da ist man schon verloren als Körper in diesen Bildern, wenn man sich allein davor befindet."
Bühnenräume sind ja mehr als nur physische Gebilde, und wenn Willikens ein Bild für Frank Hoffmanns Festspiel-Inszenierung der "Minna von Barnhelm" schafft, geht es bei aller Abstraktion darum, die Zerbrechlichkeit der Vision eines bürgerlichen Glücks in jener feudalen Welt des ausgehenden 18. Jahrhunderts nicht zu illustrieren, sondern im Theaterspiel der Charaktere zu begleiten:
" Es bewegt sich, dieses Bild verändert sich vom absoluten Pathos in die absolute Banalität. Er zerstört sozusagen seinen eigenen Ansatz im Laufe des Stückes in der Zeiteinheit."
Suchte die antike Malerei im Theater den vorhandenen, begrenzten Bühnenraum durch eine perspektivische Scheinarchitektur illusionistisch zu erweitern, führt Willikens diesen Ansatz fort - und bricht ihn gleichzeitig im Sinne der Moderne:
" Es gibt die Fluchtlinienperspektive, also die Folie für den absoluten Naturalismus, aber farblich ist das ja ganz in Grau gehalten. Diese Grisaille-Malerei ist ja ein Abstraktum, ein Medium, das ganze Bild doch wieder an die Fläche zurück zu binden. Das sind zwei Prinzipien, die gegeneinander stehen. Das auszuloten, diese Spannung auszuloten ist eben die hohe Kunst von Ben Willikens."
Entwickelt hat sich diese Malerei aus Willikens' persönlicher Erfahrung in Klinikzimmern oder Anstaltsräumen. Da prallten Licht und Schatten mit brutaler Härte aufeinander, verschwammen an den Rändern hin und wieder aber auch in traumwandlerisch nebligem Grau. In den vergangenen zehn Jahren dann sind die Räume, oder vielmehr ihre Bilder, zunehmend heller, nach hinten offen geworden. Und in der zweiten Etage zeigt Ullrich neben einer Paraphrase auf das abstrakte Kabinett von El Lissitzky auch ein monumentales Panorama aus sieben, jeweils zwei Meter breiten Teilen:
" Es werden geradezu sakrale oder mystische Räume, selbst da, wo er tatsächliche Architekturen in seinen Bildern verarbeitet, sei es die Nazi-Architektur oder die Räume der Moderne - als einen Malanlass, als einen Anlass innerbildliche virtuelle Räume zu schaffen von hoher Suggestionskraft."
Da kommt einem Sergej Eisenstein in den Sinn, der 1940 in Moskau Richard Wagners "Walküre" inszenierte und betonte, dass Realismus eben nicht penible Milieuschilderung bedeute, sondern ein Realitäts-Gefühl vermitteln müsse, mit mathematischer Präzision über den "emotionalen Komplex" der auf der Bühne verhandelten Epoche aufklären müsse. Die Bildregie dazu hat Willikens geliefert, was auf der Bühne inszeniert wird, steht - so spannend und spannungsreich ist nun mal das Theater - auf einem anderen Blatt.