Im Schatten der WM - schlechte Reformen

Von Friedrich Thelen |
Bei der Fußball-WM 2006 ist alles ganz anders als zum Beispiel 1974 oder 1982. 1974 fand das Ereignis wie 1990 im Lande statt – aber die Stimmung war bei uns trotz des hervorragenden Abschneidens eher gedämpft. 1982 musste der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt von seinem Amtschef dazu überredet werden, zum Endspiel nach Spanien zu fliegen.
Jetzt ist die deutsche Super-Euphorie natürlich auch der Bundesregierung nicht entgangen. Ganz im Gegenteil, geradezu generalstabsmäßig wird von Kanzleramtschef Thomas De Mazière geplant, dass bei jedem Spiel ein Bundesminister dabei ist, und er hat gleich jedem Ressortchef sein Stadion zugeteilt. Das hat weniger mit der sicherlich auch beabsichtigten Demonstration deutscher Gastfreundschaft zu tun als mit einem sehr nüchternen Kalkül.

Angela Merkel und ihre schwarz-rote Equipe wollen die Bomben-Stimmung während der Weltmeisterschaft nutzen, um dem Publikum einige Portionen von äußerst bitterer Medizin zu verabreichen. Nie seit ihrem Amtsantritt war die Gelegenheit für solches Tun so gut wie in diesen Fußballwochen. Da fühlte sich der Machiavelli, der in jeder politischen Führungskraft steckt, geradezu herausgefordert. Folglich wird der Fußball und seine politische Pflege zur Chefsache. Schließlich geht es um weit mehr als die Frage, wer am Ende die richtige Zahl von Bällen zur rechten Zeit im gegnerischen Tor untergebracht hat. Für Angela Merkel ist dieses Zeitfenster so günstig wie noch nie. Und die messerscharf analysierende Naturwissenschaftlerin nutzt dies nach Kräften.

Im Wesentlichen muss sie drei Groß-Komplexe über die Abstimmungshürden hieven. Erstens die Gesundheitsreform, zweitens die Unternehmenssteuersenkung und drittens die Föderalismusreform. Bei der Gesundheit hat Angela Merkel schon zuschlagen lassen. Zum Auftaktspiel präsentierte Gesundheitsministerin Ulla Schmid ihr Konzept. Vor allem gibt es einen tiefen Griff in die Kassen der Bürger. Entweder einen achtprozentigen Soli-Zuschlag auf die Einkommenssteuer oder drei zusätzliche Prozentpunkte auf die Einkommenssteuersätze unter Einbeziehung aller Einkünfte wie Mieten und Zinsen.

Wie immer das gestaltet wird, den Bürgern werden auf dem Steuerweg weitere 15 bis 16 Milliarden Euro aus der Tasche gezogen. Und das ist bei weitem noch nicht alles. Der SPD-Linken ist es eingefallen, einen lohnsummenbezogen Versicherungsbeitrag zu fordern ohne jede Beitragsbemessungsgrenze. Dann schnellen die Personalkosten blitzartig um 30 Prozent in die Höhe. das hält selbst der ansonsten meistens regierungsfromme BDI-Präsident Jürgen Thumann für Gift für Deutschland. Kein Wunder, dass die Kanzlerin den Weg der Vermeidung öffentlichen Ärgernisses sucht und den Fußball als Ablenkungsdroge einsetzen möchte. Von einem solchen Weg zur Einheitskrankenkasse war beim Wahlkampf nicht die Rede – nur vom Gegenteil. Jetzt sollen die privat Versicherten neben deren Beiträgen zu ihrer Kasse auch noch sieben Prozent in den allgemeinen Gesundheitsfonds einzahlen. Am liebsten würde die Regierung den gierigen Saugrüssel in die über 80 Milliarden Rücklagen der PKV stecken – aber davor schreckt man wegen der eisernen Rechtssprechung des Verfassungsgerichtes noch zurück. Und dann muss man sich schon fragen, was das interessierte Publikum dazu sagen würde, wenn es nicht mehr vom Fußball geradezu chloroformiert ist.

Als nächstes geht es um die Unternehmenssteuerreform. Finanzminister Peer Steinbrück hat seine Kanzlerin schon richtig verstanden und die Vorlage seines Gesetzesentwurfes immer wieder vertagt. Erst sollte sie im April, dann Ende Mai präsentiert werden. Jetzt sind die Eckpunkte am Montag nach dem Eröffnungsspiel vorgestellt worden.

Und der Ex-Premierminister von NRW wusste aber auch warum. Denn um die zwölf bis sechzehnprozentige Steuerentlastung für die großen Kapitalgesellschaften zu finanzieren, wird die allgemein für sinnlos gehaltene Gewerbesteuer noch einmal angehoben. Dagegen müssen die Personalgesellschaften, die vornehmlich die Rechtsform des Mittelstandes sind, die auf rund 50 Prozent angehobene Gesamtsteuerbelastung tragen. Des Weiteren wird die technische Durchführung der Anhebung so undurchschaubar, dass sie im WM -Trubel schlicht untergeht.

Bleibt noch die im Grunde gescheiterte Föderalismusreform. Von der einst gewollten Entflechtung der verwickelten Finanz-Beziehungen zwischen Bund und Ländern ist nicht mehr die Rede. Sie bleibt schlicht ausgeklammert. Als Reform soll gelten, dass die Länder Zustimmungsrechte bei der Bundesgesetzgebung aufgeben und dafür auf anderen Gebieten neue Zuständigkeiten erhalten. Beiden Parteien in der großen Koalition schmeckt das Projekt nicht sonderlich, so dass die Gefahr besteht, wie einst Bundeskanzler Schröder im Jahre 2004 mit dem Vorhaben zu scheitern.

So clever und listenreich die ganze Operation "Durchwinken im WM-Rausch" geplant ist, sie kann auch gigantisch scheitern! Was geschieht, wenn die seit Wochen geradezu sedierte Öffentlichkeit plötzlich aufwacht, weil die deutschen Jungens einfach nicht gewinnen. Dann entsteht massiver Frust. Und wehe den Regierenden, wenn die Deutschen ihre Wut über die Misserfolge ihrer Kicker plötzlich an der Politik festmachen und darauf bestehen, dass Köpfe rollen.

Friedrich Thelen geboren am 16. Oktober 1941 in Berlin
1961 Abitur, Grundwehrdienst als Leutnant der Reserve - heute: Oberst d. R.
1962 - 1964 Studium der Rechtswissenschaften, Geschichte und Philosophie in Marburg, Strassburg und Bonn, Staatsexamen
1964 - 1965 Studium an der London School of Economics und Barristerausbildung in London
1965 - 1968 Universität Bonn, Staatsexamen
1968 - 1974 Referendarausbildung und Bundestagsassistent
1974 Promotion
1974 Ressortleiter Außenpolitik bei Christ und Welt
1976 Geschäftsführer beim Deutschen Entwicklungsdienst
1977 Ressortleiter Rechtspolitik bei Die Welt
ab 1978 Bonner Korrespondent und Büroleiter der Wirtschaftswoche
1988 Fellow Harvard University, John F. Kennedy School for Government
ab 1999 Berliner Büroleiter der Wirtschaftswoche
Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), der Atlantik Brücke, Tönnissteiner Kreis, Mars und Merkur