Im Reich der Viertausender

Von Jörn Klare |
"Niemals hetzen!" Paulin Cathomas meint es ernst, besonders dann, wenn es wieder mal gefährlich wird. Der 45-jährige Schweizer Bergführer ist mit einer kleinen Gruppe unterwegs auf der Haute Route. Der Klassiker unter den Skitouren führt vom schweizerischen Zermatt über das italienische Courmayeur zum französischen Chamonix.
"Wir hetzen nie! Immer wo es gefährlich ist, gehen wir mit dem Tempo zurück und machen alles piano."

Sonntagmorgen, 10.30 Uhr im Schweizer Oberwallis. Am Fuße des oberhalb von Zermatt gelegenen Zmuttgletschers erklärt Bergführer Paulin Cathomas die Regeln.

"Das ist wie beim Autofahren, wenn es glatt ist, gehen wir nicht noch schneller, dann gehen wir mit dem Tempo zurück. Und nicht denken: Schnell durch, dass es vorbei ist!"

Vor dem 45-jährigen Cathomas - drei Frauen, drei Männer, zwischen 26 und 50 Jahre alt - aus Österreich, der Schweiz und Deutschland. Eine Ärztin, eine Computerprogrammiererin, eine Verwaltungsangestellte, ein Student, ein Architekt. Ihr Blick konzentriert auf den kleinen, kräftigen Bergführer mit dem dunklen Schnauzbart.

"Wir machen nachher den LVS-Test. Wie wir jetzt machen, machen wir einmal in der Woche. Also jetzt – nachher nicht mehr. Heute schauen wir, ob jedes Gerät suchen kann."

Alle halten ein kleines Kästchen – kaum größer als ein Mobiltelefon - in den Händen. Das LVS- oder Lawinenverschüttetensuch-Gerät gehört zur unbedingten Pflichtausrüstung einer Skihochtour. Im Notfall sendet das Kästchen ein Signal, das helfen kann, einen Verschütteten in einer Lawine aufzuspüren. Hilft aber nur, wenn es eingeschaltet ist.

"Was hast du? Kannst du einmal zeigen, wie man ein uns ausschaltet? Off – On! Jetzt nächster Schritt: soll jeder einschalten, dann machen wir Batterietest."

Cathomas schaut sich um. Alle nicken. Das Ziel der Gruppe: der Montblanc, 80 km Luftlinie entfernt. Eine knappe Woche auf der klassischen Haute Route, der spektakulärsten Skitour der Alpen. Lange Gletscher, hohe Pässe zwischen mächtigen 4000 Meter hohen Gipfeln. Die Ski ob bergauf oder bergab an den Füßen. Das Nötigste im Rucksack - maximal zehn, zwölf Kilo für technische Ausrüstung, Schlechtwetterkleidung, Proviant und Wechselwäsche.

"Ich habe jetzt gewechselt die Batterie: 99 – heißt das – Batterie noch gut. Und die da, was zeigt da die Batterie an? … Nächster Schritt: Ihr müsst das Gerät auf Suchen einschalten jetzt! Und jeder läuft bei mir vorbei! –Jawohl. Wieder ausschalten auf Senden."

Die Kunstfelle werden unter die Ski geklebt beziehungsweise gespannt. Sie verhindern beim Aufstieg ein Zurückrutschen. Jeder entriegelt zum Gehen die Bindung im Fersenbereich, lockert die Schnallen der Plastikschuhe. Im Hintergrund - erhaben und mächtig - die vereiste Nordwand des 4478 Meter hohen Matterhorns.

"Dann können wir uns parat machen. Und langsam, denn alles was wir schnell machen, braucht mehr Energie. Und wenn einer nicht in den Rhythmus reinkommt, oder zu langsam ist, dann muss er es sagen, oder wenn es zu schnell ist, dann muss er auch sagen . . . Wir gehen!"

Über den flachen Gletscher zur steinigen Seitenmoräne Richtung Schönbielhütte. Vorneweg legt Cathomas die moderat ansteigende Spur, dahinter einer Raupe gleich – die schwitzende Gruppe.

Die Landschaft eine Postkarte im XXL-Format – blauer Himmel, in der Sonne glitzernder Schnee, Gipfel und Gletscher scheinbar zum Greifen nah. Dazu passend am steilen Berghang - ein paar völlig unbeeindruckte Gämsen.

Erstbegehung der Haute Route: Januar 1903. Mittlerweile gibt es viele Hütte, viele Varianten. Die beste Zeit ist der Frühling, wenn die Schneebrücken über den zahllosen Gletscherspalten fester und somit sicherer sind.

"Den Weg von morgen sieht man gut."

Drei Stunden später auf der Terrasse der Schönbielhütte. Glückliche Gesichter und der Ausblick auf den nächsten Tag.

"Hinter dem Fels dort hinten sieht man gut, wo sie abgefahren sind. Die Tete Blanche ist dort ganz hinten am Horizont. Der ist etwa drei-sieben oder so. Dufourspitze ist auch schön dort. - Wie heißt der? – Dufour – der höchste Berg … das Wetter ist genial, oder?"

Cathomas zeigt an der Nordwand des Matterhorns vorbei zum mächtigen Monte-Rosa-Massiv mit der 4634 hohen Dufourspitze über der die schweizerisch-italienische Grenze verläuft. Hinter ihm die Hütte. Ein zweistöckiger, gut 50 Jahre alter Bau aus Naturstein auf einer kleinen Felsinsel an deren Fuß vier Gletscher aufeinandertreffen. Maximal 80 Schlafplätze, bewirtet von Mitte März bis Mitte Mai und von Ende Juni bis Mitte September. Die Plumpsklos 20 Meter neben der Hütte. Der steile Weg dorthin vereist und vor allem nachts eine Herausforderung.

Der Gastraum – vielleicht sechzig Quadratmeter groß, viel helles Holz, schwarz-weiße Bergphotos, rotweißkarierte Gardinen. In einer Ecke liegt ein großer Hund. Über dem gusseisernen Ofen hängen Skifelle, T-Shirts, Innenschuhe und Socken zum Trocknen. Dementsprechend der Geruch. An den langen Tischen und Bänken knapp 30 Skibergsteiger - und etwa drei Skibergsteigerinnen: Italiener, Franzosen, Schweizer, Österreicher, Deutsche – so gut wie alle Alpenländer sind vertreten. Die Gesichter braungebrannt, ein wenig erschöpft – vor allem aber glücklich.

"Die Haute Route ist eine klassische Tour, wo man als Tourenfahrer einmal sicher machen muss."

Cathomas im T-Shirt neben dem Ofen.

"Es ist sicher etwas Spezielles. Man ist wie ein Zigeuner. Man kommt, bleibt, man geht. Und das ist so wie im Leben. Und da geht es manchmal rauf, manchmal runter."

Er streckt die Beine, massiert seine Oberschenkel.

"Ich kann nicht vorstellen, ohne Berge zu leben! Einmal bin ich gewesen ... da, Meerurlaub. Aber das war für mich so langweilig."

Seine Heimat: ein kleines Dorf im Kanton Graubünden. Zweitjüngster von 13 Geschwistern. Kfz-Meister, eine eigene Werkstatt. Seit zehn Jahren aber Bergführer. 250 Tage im Jahr zeigt er Bergsteigern und Skifahrern die Routen der Alpen. Die Oberschenkel sind massiert - Kneten der Waden.

"Ich gehe jede freie Minute wo ich habe, geh ich in die Berge. Und die Berge sind so etwas, wie soll ich sagen ... Man kann das nicht mitnehmen. Das ist nicht etwas, wo man kaufen kann. Die Berge sind einfach da. Man geht hoch und wieder runter. Die sagen manchmal: Pass auf, geh nicht weiter! Das sagen die Berge. Die Berge reden mit uns, wenn man richtig ... Vor allem im Winter. Die reden mit uns: Geh nicht da! Ist zu gefährlich!"

Ausschütteln der Beine. In der Zeit, in der er nicht führt - also arbeitet, geht er allein oder mit Kollegen in die Berge.

"Ich denke, alle die wo zu Berg gehen, die haben Glück gehabt. Es sterben ja jedes Jahr ein paar Bergführer in der Schweiz."

Cathomas greift zur Teetasse, hält sie fest umschlungen.

"Die letzten drei Jahre habe ich drei Kollegen verloren, Freunde verloren, wo ich kannte. Und muss alles auch sagen: Hätte ich genau das gleiche gemacht. Wenn ich so schau, wo die durchgefahren sind. So vor zwei Wochen einer von Zermatt. Ich hätte genau das Gleiche gemacht. Darum sag ich, ein Restrisiko haben wir."

Tiefer Schluck. Fester Blick.

"Ich sage immer: Angst habe ich nicht. Respekt! Angst habe ich keine. Wenn ich Angst habe, dann mache ich etwas falsch. Dann muss ich vielleicht aufhören oder die Route falsch. Also Angst - wenn ich nicht schlafen kann in der Nacht und Angst habe vor etwas, dann muss ich sagen: Wir dürfen das morgen nicht so machen. Ich habe Respekt, ganz klar. Aber Angst habe ich nicht."

Er steht noch mal auf, will vor die Tür. Ein Blick auf den Himmel, die Wolken, das Wetter von morgen.

"Das oberste Ziel ist, die Leute nach Hause gesund zu bringen und ich selber gesund. Dann bin ich glücklich."

Um 18:00 Uhr - Abendessen. Mit der Kelle in der Hand steht die junge Hüttenwirtin an den großen Töpfen hinter der Theke. Davor 30 hungrige Bergsteiger, 30 leere Teller. Es gibt Suppe, Reis mit Gulasch und wer beim ersten Gang nicht satt wird, bekommt auch noch einen Nachschlag.

"Wir fahren da runter, müssen wir Fell montieren und wieder hochsteigen. Das heißt, wir brauchen vier Stunden. Bis da brauchen wir eine Stunde. Viertel vor eins sind wir da. Da geht es hinunter. Zwischen drei und halb vier sind wir auf der Hütte."

Nach dem Schokoladenpudding - Blick auf die Landkarte im Maßstab 1:50.000. Die Route für den nächsten Tag. 1300 Höhenmeter Aufstieg insgesamt. Zwischendurch ein paar kurze Abfahrten. Ziel ist die Cabane de Bertol.

"Die Hütte ist auf 3300 Meter. Und da hat es eine schöne Leiter zum Hochsteigen, das geht gut."

Fast die gesamte Route führt über Gletscher.

"Da ist es sicher gefährlich – das hier und das hier. Wo es flach ist, ist es weniger gefährlich. Wo es morgen sicher viele Spalten hat, ist es hier. Da müssen wir dann schauen, wie es ist. Und ob wir dann am Seil laufen oder – das entscheide ich immer. Wenn man früh geht, und die Schneedecke gut hält, ist das kein Problem. Wenn wir spät dran sind."

Die Gesichter der Gruppe vom Aufstieg erschöpft und von den Aussichten des kommenden Tages gebannt.

"Also ihr müsst sicher, mehr als einen Liter mitnehmen – unbedingt mehr! Weil wenn jemand Mühe hat, gibt es nur eins: viel trinken! Das ist das Einzige. Und morgen kann es auch sein, dass es sehr warm ist. Wir laufen den Osthang hoch, da ist es sehr warm. Es wird sicher noch anstrengend."

22:00 Uhr - Hüttenruhe. Die meisten sind früher im Bett – das heißt - im sogenannten Lager im ersten Stock.

Der Raum misst knapp 20 Quadratmeter. Zwei Drittel davon Liegeflächen auf zwei Etagen – nach Alpenvereinshüttenlogik ist das Platz genug für zwölf Bergsteiger. Einer schnarcht immer.

"Willst du zuerst die schlechte Nachricht oder die gute hören? – Zuerst die schlechte."

Sieben Uhr morgens - Treffen im Frühstücksraum.

"Das Frühstück ist aus. – Das Teewasser. – Kein Tee, nix. – Aber draußen ist schönes Wetter. Ist alles hier das, wo du brauchst. …Heute kannst du nicht zunehmen. Schon gepackt? – Ja. – Ihr wollt uns stressen. – Erst habt ihr uns gestresst. Jetzt stressen wir euch."

Der Himmel wolkenlos, die Sonne noch hinter den Bergen.

"Kopfweh hat niemand. Ihr habt alles mitgenommen? Wir gehen!"

Nach einer kurzen Abfahrt im Sonnenaufgang - ein langer, langer Aufstieg zum nächsten Pass - dem Col de Herens.

Mit der Sonne steigt die Hitze. Schnee und Gletscher reflektieren. Der Schweiß rinnt. Der Blick fixiert die Skienden des Vordermanns. Kein Wort zuviel.

"Rucksack weg und Pause. Aufpassen mit Ski wegnehmen da. Der ist viel zu schwer. Total schwerer Rucksack."

Alle 60 Minuten eine kurze Trinkpause. Cathomas mit dem schlecht gepackten, weil viel zu schweren Rucksack des Gruppenältesten.

"Wir sind auf dem Gletscher, wir müssen uns jetzt anseilen. Und ohne Ski nicht viel herum laufen."

Der sogenannte Tiefmattengletscher. Die Spalten unsichtbar unter der Schneedecke. Um das Risiko eines Einbruchs zu minimieren, halten alles voneinander Abstand. Jeder trägt einen Klettergurt. Cathomas seilt die Gruppe an.

"Sonnencreme drauf. Aber nicht über die Augen. Nicht da. Nur von da abwärts."

Viel trinken, ein Müsliriegel. Mit der Sonnencreme nur nicht die Stirn einreiben, weil sie dann mit dem Schweiß in die Augen fließt. Plötzlich auf der gegenüberliegenden Talseite und somit zum Glück weit genug entfernt – eine Lawine.

"Da hinter dem Abbruch. Nicht so weit oben. Da! So, dann tun wir uns langsam parat machen. Ungefähr noch 1000 Höhenmeter. Aber das geht gut."

Am Ende des Tages, endlich: die Cabane de Bertol aus dem Jahr 1898. Eine Hütte wie ein Raumschiff. Der Standort in die über 3300 Meter hohen Felsen hineingesprengt.

Die letzten Meter: eine Art Klettersteig im steilen Fels. Stahlleitern und -seile. Unter den Füßen der Abgrund.

Linoleumboden, lange Holztische und – Bänke, zehn Doppelfenster insgesamt. Der Blick geht in die weiße Weite. Vorm Horizont der mächtige Gipfel der 4357 Meter hohen Dent Blanche. Über den – so übersetzt – "Weißen Zacken" verläuft die deutsch-französische Sprachgrenze der Schweiz. Ausnahmsweise wird um Punkt 19:00 Uhr der kleine Fernseher für genau fünf Minuten eingeschaltet.

"Das Wetter ist gut, oder? – Nicht so. - Aber auch nicht so schlecht. – Wolken mit leichtem Schneefall und Sonne. Mehr habe ich nicht verstanden ... – Wir haben doch schön Wetter bestellt."

Per Hinweisschild bittet der Wirt, nicht in den Schnee am Rand der Hütte zu pinkeln, da dieser geschmolzen zum Kochen verwendet werden muss. Der Weg zu den Plumpsklos über einer 50 Meter hohen Felsklippe führt über ein Gitterrost, das ein gewisses Maß an Schwindelfreiheit erfordert. Wer den Weg in der Nacht beschreiten muss, holt sich zwar garantiert ein kaltes Gesäß, wird dafür aber – bei entsprechendem Mondschein - mit einer wahrhaft erhabenen Aussicht entschädigt - weite, weißschimmernde Gletscherflächen, markante Felszacken - eine Landschaft so schön wie lebensfeindlich.

"Und da würden wir die Felle montieren und dann gut tausend Höhenmeter. Da ist sicherlich keine Sonne morgen. Die Sonne kommt erst von da weg. Von Osten kommt die Sonne. Nehmen wir an Dreiviertelstunde, bis wir montiert haben."

Vorm Schlafengehen ein Glas Rotwein, die Landkarte und wieder die Pläne für den nächsten Tag.

"Also morgen um halb sieben Uhr Frühstück. – Das heißt, du weckst dann um sechs? – Wecken um sechs Uhr? – Dann tun wir vorher packen? – Sechs Uhr? – Dann packen wir vorher. – Das ist schon früh, oder?"

Einfache Scherze werden dankbar belacht. Das ist gut für die Nerven. Ernste Herausforderungen bietet die Haute Route genug.

"Da bei den Felsen ist es manchmal ein bisschen steil. Und wenn es zu viel Schnee drin hat oder keine Spur ist es nicht so einfach."

Cathomas rechter Zeigefinger auf der Landkarte.

"Wir seilen an wegen den Spalten, wenn sie gefährlich sind und wenn es Nebel hat. Also wenn ich nicht mehr weiß, fahre ich genau. Wenn ich da runter fahre, sehr am Fels das ist wahnsinnig steil. Also das ist sehr steil. Die meisten, wenn die das sehen, wenn es schön Wetter ist, dann sagen die: `Nein, da fahre ich nicht runter!` Und im Nebel ohne GPS ohne Kompass, das kannst du vergessen. Die, wo sagen: ’Ich kann laufen ohne GPS ohne Kompass …‚ das stimmt nicht. Wenn du da unten bist auf dem Gletscher – siehst nichts, einmal umdrehen, du weißt nicht, welche Richtung du gehst. Da hast du keine Chance."

Dann - noch eine Frage: Was tun, wenn der Bergführer selbst irgendwo auf dem Gletscher in einer Spalte verschwindet?

"Also wenn ihr das ansprecht: Wenn ich jetzt reinfalle, dann müsst ihr probieren zum Rausziehen und wenn das nicht geht, was macht man? – Hilfe holen. – Hilfe holen! Das Problem wird das sein: Telefonempfang habt ihr keins ... Dann gibt es nur Eins: Zuerst müsst ihr oben befestigen, irgendwie befestigen. Meistens die Spalten gehen irgendwo zusammen. Ruhig bleiben! Studieren! Ihr müsst nicht pressieren, denn wenn es passiert ist, ist es schon zu spät."

"Wir sind oben! … Geht nicht mehr weiter! … 3790 … Da nicht zu weit rechts!"

Am übernächsten Tag nach einer Nacht in der Cabane de Vignettes und knapp drei Stunden Aufstieg um elf Uhr morgens auf den Gipfel der 3790 Meter hohen Pigne d’ Arolla. Von hier aus ein schöner Blick zurück aufs Matterhorn - aber nur theoretisch. Die Gruppe steht mitten im Nebel, mitten im Schneetreiben, mitten im allumfassenden Weiß.

"Wenn jetzt die Sonne käme, wäre es perfekt."

Keine Orientierungspunkte, keine Konturen, kein sichtbarer Unterschied, wo es bergauf oder bergab geht. Cathomas zückt Karte, Kompass und GPS – das globale Positionsbestimmungssystem, das mit Hilfe von gut 30 Satelliten weltweit exakte Standortangaben ermöglicht.

"Wir gehen bis runter bis auf drei – drei – zwei ungefähr. Dann steigen wir wieder auf, auf drei – drei – siebzig. Und dann gehen wir wieder hinunter auf drei – drei – zehn dann steigen wir wieder hoch auf drei – drei – siebenundachtzig und von dort geht es immer abwärts."

Die Gruppe nickt, vertraut dem Bergführer, denkt aber wohl auch an die vielen Felskanten und Gletscherspalten.

"Nachher werden wir sowieso nur drei am Seil fahren. Drei Leute! Und wir machen die Spur die drei vorher. Und die anderen nehmen genau unsere Spur. Mit so viel Leuten am Seil fahren, ist fast unmöglich. Und die drei teilen wir so auf, dass wir viel Abstand haben, dass sehr viel Abstand ist, weil Skifahren mit vier Meter Abstand – wenn einer geht, gehen alle."

Warten auf besseres Wetter? Zeitverschwendung.

"Also, wir fahren."

Cathomas fährt vorne weg am Seil - eine Art Blindflug mit GPS-Gerät und Kompass in der Hand. Dann aber doch noch: die Sonne! Und - die nächste Herausforderung.

"Wer hat schon mal selber abgeseilt? – Nein. – Ich. – Ja beim Klettern halt. – Ja, das ist das Gleiche."

Oberhalb einer senkrechten, 20 Meter hohen Felskante. Abseilen!

"Das geht genau bis unten. Perfekt."

Das Seil zum Glück lang genug. Als Sicherung dienen Cathomas im Schnee vergrabene Ski.

"Du stehst immer auf den Ski jetzt für die nächsten. Genauso stehen! – Okay. Du kannst selber abseilen. –Viel Spaß Gabi! – Arrivederci. – Danke. – Eiheihei!"

Jeder einzeln über die Kante. Die Ski am Rucksack festgezurrt.

"Aufpassen! Finger nicht rein tun. Geht da nicht so gut mit dem! Wir haben kein Abseilgerät mitgenommen. Unten ist das Seil irgendwann fertig! Da musst du halten! – Ja. – Test! Halten! … Komm raus. – Uah! – Und ich stehe hier richtig, ja? - Ja. – Soll ich die Stöcke am besten hinten rein stecken. Danke! Super!"

Das Seil läuft als Bremse in einer Schlinge durch den Karabinerhaken, der in den Klettergurt eingehängt ist. Jeder hat seine Abstiegsgeschwindigkeit aber auch sein Leben selbst in der Hand.

"Wichtig ist, das Seil nie loslassen. Sonst gehst du. Weißt du, was du unten machst nachher? Die zweite Sicherung! Du hältst das Seil. Wenn sie etwas falsch macht, ziehst du am Seil und dann blockierst es. Verstanden? Schön ein Podest machen. Jetzt kannst du schon wegnehmen. Und wenn jemand zu schnell geht, musst du am Seil ziehen. Ja, wegnehmen!"

Vor allem der Anfang: pure Überwindung. Mit dem schweren Rucksack oben an der Kante stehen, dem Seil vertrauen, immer weiter nach hinten legen, bis in die Waagerechte. Dann die steile Felswand sozusagen rückwärts "hinunterlaufen".

"Gut, der Nächste! … Ja, musst Seil ein bisschen geben. So, jetzt! Seil geben. Das geht nicht gut mit dem. Und der Sitz ist fest? – Ja, der Sitz ist fest. – Okay? Mit dem geht es beschissen! – Heh? – Mit dem geht es beschissen. – Nein, nein geht sehr gut! – Wirklich? – Festhalten! Ab die Post! – Das geht nicht! – Das geht schon, du muss Seil geben. Wenn sie zu schnell kommt, dann rupfst du am Seil! Du muss Seil geben, das geht schwer. – Ja, voll. – Du muss Seil geben und die Finger weg dort, da. Die Finger nicht so nah. Ja."

Irgendwann sind alle unten und am Ende des Tages auch in der Hütte - der Cabane de Chanrion – angekommen.

"Du nettes Ungeheuer! - Uno und fertig! – Wieso, wieso? Nein! – Wohl, ich hab’s gehabt! - Nein, nein!"

Ein einsames Natursteinhaus, wieder vollgepackt mit Bergsteigern aus aller Welt. Cathomas der draußen auf Gipfeln und Gletschern das absolute Vertrauen seiner Gruppe genießt, überrascht diese nun beim Kartenspielen mit immer wieder neuen Regeln, die ausschließlich seinem Vorteil dienen …

"Sicher darfst du das setzen … sonst wirst du ja nie fertig."

"Das da hinten ist Monte Rosa Gebiet, wo der große Gletscher ist. Da ist Monte Rosa."

Zwei Tage später auf dem 3466 Meter hohen Ponte Hellbronner im Massiv des Montblanc, der mit 4808 Metern höchste Gipfel der Alpen. Der Himmel so blau, wie man es sich nur wünschen kann. Der Blick zurück. Weit hinten am Horizont der Berg, an dem alles anfing.

"Das wo man sieht hinten die Pyramide ist das Matterhorn. Und das was man da dazwischen sieht – das ist der Grand Combin. – Wo ist das Matterhorn? – Da ganz hinten, sieht von da nicht so spektakulär aus. Die Pyramide geradeaus. So wir machen uns."

Es geht ins Val Blanche – das "weiße Tal" oberhalb des französischen Chamonix - die – wie es heißt – schönste und längste Skiabfahrt der Alpen. Wilde Gletscherbrüche mit blankem, blauem Eis zwischen bis zu 1000 Meter hohen Felswänden. Grandios, herrlich, atemberaubend. Ein absolut würdiger, krönender Abschluss der Haute Route.

"Also wo ich fahre fünfzehn Meter links, fünfzehn Meter rechts, darf man fahren. Und sonst sage ich, wenn man noch mehr Platz brauchen darf. Und wenn ich sage Spur fahren, fahren wir Spur. Das heißt jeder fährt in meiner Spur, nicht jeder selber eine Spur. Und dann geht’s los!"