Im Prozess

Von Jochen Stöckmann |
Zum 20. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer präsentieren die Galerie Neue Meister und die Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden Hauptwerke von Georg Baselitz, die auf einmalige Weise den Ort der Ausstellung mit dem Schaffensprozess des Künstlers verknüpfen.
Vor einer Art Fliegengitter – vielleicht aber auch dahinter – tauchen auf 20 großformatigen Sperrholzplatten aus dunklem, von Lichterglut durchzucktem Grund Frauengesichter auf. Durch ein, zwei Pinselhiebe hat der Maler das rosafarbene Fleisch mit grob angedeuteten Haarsträhnen umrahmt, die Münder haben etwas von einem Feuerschlund. Der Titel ist lakonisch, das Thema heikel: „45“ hat Georg Baselitz die 1989 entstandene Serie genannt, mit deutlichem Bezug zu den Bombennächten im letzten Kriegsjahr 1945. Sieben grellgelbe Köpfe – herausgehauen und gesägt aus rauem Holz – stehen den Gemälden gegenüber. Die meterhohen Skulpturen der „Dresdner Frauen“ und zweifach übereinander gehängte Tafelbilder, mit diesen großen Formaten hält Baselitz den Besucher der Gemäldegalerie Alter Meister regelrecht zum Sehen an:

„Dieses Museum für alte Kunst hat das erste Mal mit mir eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst riskiert. Und ich weiß nicht, ob man das versteht, ob man das gut findet oder ob man das kritisch sieht, ich weiß nur: Wenn man oben Giorgione sehen will, geht man hier vorbei.“

Abgefangen auf dem Weg zu den Klassikern – das wäre allerdings gar zu simpel. Wer genau hinschaut, wer bemerkt, wie bei intensiver Betrachtung Skulpturen und unergründliche Bildräume der Tafelbilder sich einander durchdringen, der ahnt, dass ein Wettstreit mit den Altmeistern nie Thema war. Baselitz, ein Sammler und Kenner manieristischer Grafik, spricht von seiner „Lust an der Vergangenheit“ – wenn es um Kunst geht. Und um was sollte es sonst gehen, nach diesem Lebenslauf?

„Ich bin als Zwölf-, 13-Jähriger – ich weiß das Jahr nicht mehr genau – hierher geführt worden, als die Bilder aus Russland zurückkamen. Aragon und Cocteau haben ein Buch gemacht, ‚Die Bilder der Dresdner Galerie‘, und haben sich über die einzelnen Bilder, die hier hängen, unterhalten. Das ist eines der wichtigsten Bücher gewesen in meiner Karriere: Zwei Franzosen, ein homosexueller Künstler – den ich unglaublich verehre – und ein kommunistischer Autor – der natürlich als Franzose ein anderer Kommunist war als ein Deutscher.“

Ausgerechnet Aragon, der als politischer Agitator Henri Matisse vorwarf, der habe in der schlimmsten Zeit der Nazi-Besatzung nichts Besseres gewusst, als „Zitronenstillleben zu malen“. Worauf der Künstler geantwortet haben soll: „Man muss sich seiner Haut zu wehren wissen!“ Das wäre wohl im Sinne des gen Westen aus- oder abgewanderten Georg Baselitz, der jetzt bei seiner gar nicht auftrumpfenden, sondern schlicht überwältigenden Rückkehr noch einmal das „Nachtessen in Dresden“ präsentiert, seine Hommage an Künstlerheroen vor 1933, vor 1945 und auch vor 1989: Kirchner, Schmitt-Rottluff, Haeckel und Munch.

„Wenn ich ein Brücke-Bild gemalt habe, ist das ganz einfach bezogen auf meine ständige Begegnung als Deutscher und fast als „Expressionist“ beschimpfter Deutscher im Ausland. Und ich wusste nie, was die Leute damit wollen, wollen sie mich fertigmachen? Ich hab spät gemerkt, dass das Wort ‚Expressionismus‘ im Ausland kein Schimpfwort ist, sondern nur deutsche Kunst meint.“

Jeder Künstler, so heißt es in einem Wandtext von Baselitz, jeder Künstler muss sich bemühen, dem Zeitgeist zu entfliehen. Wem er selber nach eigenem Bekunden allerdings nie hat entfliehen können, „das waren Deutschland und der Zustand Deutscher zu sein“. So lautet die Schrift an der Wand. Aber der Künstler dementiert – im Angesicht seiner 20 Dresdner Frauenporträts – jede angestrengte „Vergangenheitsbewältigung“:

„Dann gibt man ihm einen Titel – ‚45‘. Bevor mir wirklich bewusst wurde, was ich da mache, war das Bild ungefähr schon fertig. Und die Erklärung wird nachgeliefert. Weil, es gibt ja direkte Beziehungen dazu und die kann man nicht direkter haben als ich sie habe. Ich habe das ja erlebt, ich bin ja hier gewesen und ich hab das alles gesehen.“

Ein Augenzeuge der Bombennächte also, aber zugleich ein Künstler, der sich an der Form, an seinen großen Vorbildern abarbeitet. Der das Gesehene immer wieder zeichnet, es immer treffender zu Papier bringt – um es dann zu zerstören und aus diesem Schwung heraus einen Neuanfang zu starten.

„Es gibt eine Formalität in der Kunst: Ich muss etwas machen, was man so nicht kennt. Der Inhalt ist eine ganz andere Sache. Das schlechte Beispiel ist ja etwa, dass diese ganz direkt begründeten Bilder, die zu DDR-Zeiten hier gemalt wurden zu dem Thema, keine guten Bilder sind. Daran sieht man, dass es so nicht gehen kann, es muss anders gehen.“

Anders, das heißt bei Baselitz auf dem Kopf – bekanntermaßen. Hier aber, vor einem Dresden-Zyklus, der dem Schweren, einer zur Floskel erstarrten „Last der Geschichte“ mit Leichtigkeit beikommt, möchte man – unbekannterweise – Christian Morgenstern anführen:

„Bilder, die man aufhängt umgekehrt,
mit dem Kopf nach unten, Fuß nach oben,
ändern oft verwunderlich den Wert,
weil ins Reich der Phantasie erhoben.“

Wer statt Phantasie „Imagination“ einsetzt oder auch nur die eigensinnige Betrachtung, der wird erkennen, dass in der Dresdener Gemäldegalerie ein allzu monolithisches Geschichts-Bild bröckelt, ganz en passant, auf dem Weg.

Service

Die Ausstellung „Georg Baselitz. Dresdner Frauen“ ist vom 10. Oktober 2009 bis 28. Februar 2010 in der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister zu sehen.