Im Osten verklärt, im Westen ausgegrenzt
Über Brecht ist eigentlich schon alles bekannt. Kein Autor ist so flächendeckend erforscht, kein Leben so lückenlos erfasst wie seines. Was kann eine neue Biografie da noch leisten? Der Germanist und Brecht-Kenner Jan Knopf räumt in diesem Buch mit alten Vorurteilen auf.
Der Germanist Jan Knopf ist ein ausgewiesener Brecht-Kenner, Leiter der Brecht-Forschungsstelle in Karlsruhe, Mitherausgeber der großen, kommentierten Brecht-Ausgabe, Herausgeber des Brecht-Handbuches und Autor einer knappen Brecht-Biografie, die im Jahr 2000 erschien. Nun hat er, gewissermaßen zur Abrundung seiner jahrzehntelangen Forschungen, eine umfangreiche Biografie vorgelegt, die "erste große nach der deutschen Wiedervereinigung", wie der Verlag im Klappentext betont.
Neu kann allenfalls die Perspektive sein, die auf Brecht geworfen wird, der Blick aus dem Jahr 2012 zurück auf das 20. Jahrhundert. Knopfs Gesamtschau ruft noch einmal in Erinnerung, wie stark Brechts Leben durch Exil und Heimatlosigkeit geprägt worden ist. Auch wenn er sich nach 1945 schließlich zögernd für die DDR entschied: Zugehörig war er dort nicht. Und die avantgardistische Kraft der Theaterarbeit aus der Zeit vor 1933 hat er, so Knopf, später nie wieder erreicht.
Knopf schreibt vor allem gegen das Vorurteil an, Brecht sei Kommunist gewesen. Auch wenn er Marx' "Kapital" studierte und marxistisch dachte: In der KP war er nie, und er betrachtete die Sowjetunion mit äußerster Skepsis. Nach seinem Tod aber wurde er in der DDR zum Kommunisten erklärt, um den Eigensinnigen zu vereinnahmen. Im Westen wurde er ausgegrenzt und boykottiert, bis er schließlich im Gefolge der Studentenbewegung nach 1968 Karriere machte. Dass Knopf dieses Bild zurechtrückt, ist verdienstvoll, und doch wirkt es so, als wäre er noch immer in die Kämpfe der 70er, 80er-Jahre verstrickt.
Knopf geht als Germanist von den Texten und ihrer Entstehung aus, ist wenig zurückhaltend in der Interpretation, deutlich schwächer jedoch in der Darstellung der Lebenswirklichkeit. Er würdigt Brecht vor allem als Dramatiker und Regisseur; weit weniger interessiert er sich für Lyrik und Prosa, vielleicht deshalb, weil er da umso stärker vom Politischen zur Person hätte vordringen müssen. Außerdem schreibt er auch hier gegen Vorurteile an: Nach 1989 wurde Brecht vor allem und nahezu ausschließlich als Lyriker gewürdigt – so etwa von Marcel Reich-Ranicki.
Seltsamerweise aber wird Brecht als Person immer ungreifbarer, je länger man in dieser Biografie liest. Das mag beabsichtigt sein, ist Brechts Werk doch ein Versuch, das bürgerliche "Individuum" als unteilbare "Person" zu überwinden und seinen sozialen, aus vielfachen Bezügen zusammengefügten Charakter als "Dividuum" sichtbar zu machen. Das gilt selbstredend auch für die Kategorie des Autors, der von Brecht stets als Arbeiter im Kollektiv begriffen wurde, der auf vorhandenem Material aufbaut. Gleichwohl sah er sich selbst als Genie und schon in jungen Jahren als "Klassiker". Solche Widersprüche könnten Ansatzpunkte liefern, sich dieser Figur wirklich zu nähern. Knopf geht zugunsten eines immer mehr auf Verteidigung setzenden Darstellung darüber hinweg.
Ein anderer Ansatzpunkt wäre der Widerspruch zwischen dem witzigen, souveränen, geistreichen Brecht und dem schlecht rasierten, ungewaschenen und stinkenden Griesgram, als der er immer wieder auftaucht. Ein Womanizer mit Tabakkrümeln in den Mundwinkeln. Auch beim Thema "Brecht und die Frauen" gibt es eine altbekannte Frontlinie. Knopf schreibt gegen die feministische Sichtweise an, Brecht habe die Arbeit von Elisabeth Hauptmann, Helene Weigel, Margarete Steffin oder Ruth Berlau ausgebeutet, ohne deren Anteile jeweils zu kennzeichnen.
Knopfs Brecht-Biografie ist vielleicht die "erste große" nach 1989, die erste des 21. Jahrhunderts, die sich freimacht von den alten Antagonismen, ist sie nicht. Das hat auch damit zu tun, dass Knopf sich vielleicht ein wenig zu sehr mit Brechts Positionen identifiziert. Wenn Brecht beispielsweise die Frage nach Gott für "falsch gestellt" hält, so ist sie damit für Knopf gleich "grundsätzlich verabschiedet". Ganz so einfach ist es ja aber wohl nicht.
Besprochen von Jörg Magenau
Jan Knopf: Bertolt Brecht. Lebenskunst in finstreren Zeiten. Biografie
Hanser Verlag, München 2012
560 Seiten, 27,90 Euro
Neu kann allenfalls die Perspektive sein, die auf Brecht geworfen wird, der Blick aus dem Jahr 2012 zurück auf das 20. Jahrhundert. Knopfs Gesamtschau ruft noch einmal in Erinnerung, wie stark Brechts Leben durch Exil und Heimatlosigkeit geprägt worden ist. Auch wenn er sich nach 1945 schließlich zögernd für die DDR entschied: Zugehörig war er dort nicht. Und die avantgardistische Kraft der Theaterarbeit aus der Zeit vor 1933 hat er, so Knopf, später nie wieder erreicht.
Knopf schreibt vor allem gegen das Vorurteil an, Brecht sei Kommunist gewesen. Auch wenn er Marx' "Kapital" studierte und marxistisch dachte: In der KP war er nie, und er betrachtete die Sowjetunion mit äußerster Skepsis. Nach seinem Tod aber wurde er in der DDR zum Kommunisten erklärt, um den Eigensinnigen zu vereinnahmen. Im Westen wurde er ausgegrenzt und boykottiert, bis er schließlich im Gefolge der Studentenbewegung nach 1968 Karriere machte. Dass Knopf dieses Bild zurechtrückt, ist verdienstvoll, und doch wirkt es so, als wäre er noch immer in die Kämpfe der 70er, 80er-Jahre verstrickt.
Knopf geht als Germanist von den Texten und ihrer Entstehung aus, ist wenig zurückhaltend in der Interpretation, deutlich schwächer jedoch in der Darstellung der Lebenswirklichkeit. Er würdigt Brecht vor allem als Dramatiker und Regisseur; weit weniger interessiert er sich für Lyrik und Prosa, vielleicht deshalb, weil er da umso stärker vom Politischen zur Person hätte vordringen müssen. Außerdem schreibt er auch hier gegen Vorurteile an: Nach 1989 wurde Brecht vor allem und nahezu ausschließlich als Lyriker gewürdigt – so etwa von Marcel Reich-Ranicki.
Seltsamerweise aber wird Brecht als Person immer ungreifbarer, je länger man in dieser Biografie liest. Das mag beabsichtigt sein, ist Brechts Werk doch ein Versuch, das bürgerliche "Individuum" als unteilbare "Person" zu überwinden und seinen sozialen, aus vielfachen Bezügen zusammengefügten Charakter als "Dividuum" sichtbar zu machen. Das gilt selbstredend auch für die Kategorie des Autors, der von Brecht stets als Arbeiter im Kollektiv begriffen wurde, der auf vorhandenem Material aufbaut. Gleichwohl sah er sich selbst als Genie und schon in jungen Jahren als "Klassiker". Solche Widersprüche könnten Ansatzpunkte liefern, sich dieser Figur wirklich zu nähern. Knopf geht zugunsten eines immer mehr auf Verteidigung setzenden Darstellung darüber hinweg.
Ein anderer Ansatzpunkt wäre der Widerspruch zwischen dem witzigen, souveränen, geistreichen Brecht und dem schlecht rasierten, ungewaschenen und stinkenden Griesgram, als der er immer wieder auftaucht. Ein Womanizer mit Tabakkrümeln in den Mundwinkeln. Auch beim Thema "Brecht und die Frauen" gibt es eine altbekannte Frontlinie. Knopf schreibt gegen die feministische Sichtweise an, Brecht habe die Arbeit von Elisabeth Hauptmann, Helene Weigel, Margarete Steffin oder Ruth Berlau ausgebeutet, ohne deren Anteile jeweils zu kennzeichnen.
Knopfs Brecht-Biografie ist vielleicht die "erste große" nach 1989, die erste des 21. Jahrhunderts, die sich freimacht von den alten Antagonismen, ist sie nicht. Das hat auch damit zu tun, dass Knopf sich vielleicht ein wenig zu sehr mit Brechts Positionen identifiziert. Wenn Brecht beispielsweise die Frage nach Gott für "falsch gestellt" hält, so ist sie damit für Knopf gleich "grundsätzlich verabschiedet". Ganz so einfach ist es ja aber wohl nicht.
Besprochen von Jörg Magenau
Jan Knopf: Bertolt Brecht. Lebenskunst in finstreren Zeiten. Biografie
Hanser Verlag, München 2012
560 Seiten, 27,90 Euro