Im Namen der Speisen

Von Udo Pollmer |
Schon der schöne Name einer Speise verheißt gesteigerten Genuss: "Chateaubriand"- wie geschmeidig das klingt, das muss einfach bekömmlich sein, oder "Pizza Margherita" - da blüht doch gleich der Sommer auf der Zunge. Oder nur das Geschäft?
Der Bismarckhering hat nichts mit dem Reichskanzler Bismarck zu tun

Dass ausgerechnet der ordinäre Hering zu der Ehre kam, nach dem Reichskanzler Otto von Bismarck benannt zu werden, mag man heute mit Kopfschütteln bedenken. Tatsache ist aber, dass auf dem Gipfel von Bismarcks Ruhm alles mögliche nach ihm benamst wurde, angefangen von einer Inselgruppe in der Südsee über Azo-Farbstoffe (Bismarckbraun) bis hin zur Seife. Er war damals auch Namenspatron zahlreicher Speisen, etwa des Bismarck-Salates (Rotkohlstreifen mit Kopfsalat, in einer Essig-Öl-Marinade, abgeschmeckt mit Meerrettich) oder den Seezungenfilets à la Bismarck. Dieses Gericht vermittelt einen guten Eindruck vom Appetit und den kulinarischen Vorlieben des Kanzlers: Grundlage sind Seezungenfilets gefüllt mit einer getrüffelten Fischfarce. An weiteren Zutaten benötigt man Artischocken, Austern, Miesmuscheln, Krabbenschwänze und Pilze. Schließlich wird das Gericht mit einer Weißweinsoße und einer Sauce hollandaise übergossen. In ähnlicher Weise traf das italienische "bistecca alle Bismarck" den Geschmacksnerv des Kanzlers: ein Steak mit zwei Spiegeleiern.

Für einen schwergewichtigen Vielfraß, der stets für drei essen konnte, waren derart nahrhafte Gerichte allemal passend. Schon als junger Beamter nahm er zu Empfängen mit Büffet, von deren Ergiebigkeit er nicht überzeugt war, vorsorglich ein paar Stullen mit. Sein Leibarzt erzählte, er habe zum reichhaltigen Frühstück gelegentlich bis zu 16 Eier verspeist. Ein "leichter Lunch" bestand nach Augenzeugenberichten aus Kaviar, Räucheraal, allerlei kalten Speisen, Königsberger Klopsen, Hausmacher Wurst, in Bouillon eingelegten Heringen, Anchovis, Kartoffelsalat und pommerschem Gänsefett.

Für Heringe soll Bismarck nach ähnlichen Verlautbarungen ein ausgesprochenes Faible gehabt haben. Glück für den Stralsunder Fischkonservenfabrikanten Johann Wiechmann, der ein großer Verehrer des Staatsmanns war und ihm zu zwei Gelegenheiten - einmal zum Geburtstag und dann anlässlich der Reichsgründung 1871 - ein Holzfässchen mit sauer eingelegten Ostseeheringen schickte. Im Anschreiben zur zweiten Sendung bat der Fabrikant "alleruntertänigst" darum, die Heringszubereitung künftig als "Bismarck-Hering" handeln zu dürfen. Der Reichkanzler soll sich in einem persönlichen Brief bedankt und seine Einwilligung gegeben haben. Das jedenfalls versichern die Nachfahren des glücklichen Fischhändlers. Das wertvolle Schriftstück existiert nämlich leider nicht mehr, da es im Oktober 1944 bei der Bombardierung der Hansestadt verbrannt ist. Bis dahin soll es im Kontor der Fabrik gehangen haben.

Sieht man von den Restaurantbesitzern und Fischkonservenherstellern ab, die behaupten, die Namensgebung sei ihre Idee gewesen, wäre auch noch folgende Geschichte möglich, die zwar nicht verbürgt, aber falls sie nicht wahr, dann zumindest gut erfunden ist: Otto von Bismarck soll geäußert haben, wenn der Hering so teuer wie der Hummer wäre, gälte er mit Sicherheit in den höchsten Kreisen als Delikatesse. Damit traf der essbegeisterte Kanzler den Nagel auf den Kopf. Denn besonders edle Speisen wie Hummer oder Austern waren früher typische Arme-Leute-Essen. Die Helgoländer Fischer beispielsweise verspeisten die ungeliebten Hummer aus Rache, weil sie ihnen die Netze zerrissen. Später sorgte der Preis für eine enorme Wertschätzung, die allerdings bisher nur wenig an der tierquälerischen Behandlung der Krustentiere zu ändern vermochte.

Das Chateaubriand ist eine Kreation des gleichnamigen Dichters

Dieses Filetsteak ist heute fast das einzige, was noch an den 1848 verstorbenen Dichter Francois-René Chateaubriand erinnert. Dabei gilt es als Ironie der Geschichte, dass einem Manne irrtümlicherweise der Ruhm beschieden ist, Taufpate einer Delikatesse gewesen zu sein, der selbst nichts von gutem Essen hielt und sich von Milchspeisen nährte.

Lepelletier rühmt den Philosophen: "O Ironie, o Dank der Völker! Ein Beefsteak mit Kartoffeln ist vielleicht alles, was eines Tages übrig bleibt von einem Atlas an Gedanken, einem Archimedes der Philosophie. Eine Welt trug er in seinem gewaltigen Gehirn … und das ganze Ergebnis: ein Name auf der Speisekarte. C’est la gloire." Noch ungerechter handelte die Nachwelt am echten Erfinder des Gerichts, einem berühmten Koch namens Chabrillon, der aber offenbar nicht berühmt genug war, um zu verhindern, dass sein Name zu Chateaubriand verballhornt wurde.

Populärer als diese wurde eine ganz andere Darstellung und damit auch ein anderer Koch. Nach dieser Version habe Chateaubriand bei seinem kurzen Intermezzo in London seinen Leibkoch Montmirel gebeten, eine Speise zu erfinden, die das berühmte englische Steak in den Schatten stellen sollte. Es heißt, Montmirel habe ein Lendenstück genommen, das er zwischen zwei Steaks briet. Dabei durchtränkten die Steaks mit ihrem Saft die Rinderlende, die als einziges serviert wurde. Vom Schriftsteller Chateaubriand selbst ist leider keine Zeile zum "Steak à la Chateaubriand" überliefert. Und genau das spricht gegen diese Interpretation. Denn der selbstverliebte Autor war stets um seine Berühmtheit und Bedeutung bemüht. Warum sollte er etwas verschweigen, das er selbst angeregt hatte und als eigenes Verdienst hätte ausgeben können?

Pizza Margherita soll an die gleichnamige Blume erinnern

Ganz falsch: Der Belag Basilikum (grün), Mozzarella (weiß) und Tomaten (rot) symbolisiert vielmehr die italienischen Nationalfarben. Den Namen verlieh ihr die erste Königin Italiens, Margherita (1851–1926). Nach einer patriotischen Anekdote bekam die Königin 1889 auf ihrer Sommerresidenz Capodimonte in der Gegend von Neapel Appetit auf einheimische Kost. Genau genommen auf eine Pizza, die damals noch ein typisches, regionales Arme-Leute-Essen war. Ihre Köche, erfahren in den Geheimnissen der französischen und Piemonteser Küche, mussten passen. Darauf bat man Rafaelo Esposito, den populärsten Pizzabäcker Neapels, um seine Dienste. Von seinen drei Pizzen habe der Königin jene am besten geschmeckt, die seither ihren Namen trägt.

1974 tat der italienische Historiker Massimo Albertini die rührende Geschichte als bloße Erfindung ab. Dagegen trat der berühmte Neapolitaner Gastronom und Journalist Corrade Erichelli an und behauptete, die Pizza Margherita sei tatsächlich am 6.Juni 1889 am königlichen Hof in Neapel serviert worden, jedoch von Espositos Konkurrenten, Pappino Brandi. Der Pizzabäcker habe als Dank für seinen Dienst eine Urkunde erhalten, die angeblich noch heute in der Pizzeria Brandi zu sehen sei.

Entnommen aus: Pollmer, Warmuth: Lexikon der populären Ernährungsirrtümer. Mißverständnisse, Fehlinterpretationen und Halbwahrheiten von Alkohol bis Zucker. Piper, München 2002