"Im Museum der Gehirne"

Rezensiert von Kim Kindermann |
Wo im menschlichen Gehirn findet sich die Genialität? Seit mehr als 200 Jahren suchen Wissenschaftler nach einer Antwort auf diese Frage. Da wurden Schädel abgetastet, Gehirne gewogen und in Scheiben oder Würfel geschnitten und die einzelnen Windungen gezählt. Gefunden haben sie bis heute nichts, wie Brian Burrell in seinem Buch "Im Museum der Gehirne" eindrucksvoll schildert.
Was hat ein Genie, was andere nicht haben? Worin zeichnet sich seine besondere Hirnleistung aus? Und: Kann man den Sitz der Genialität finden? Das sind Fragen, die die Wissenschaftler aller Zeiten umgetrieben haben und die sich auch in jüngster Zeit zunehmender Beliebtheit erfreuen: Schließlich geht es dabei um nichts anders als die Frage nach dem Ich. Denn wenn das Gehirn aus einer Masse spezialisierter Module besteht, die für bestimmte Fähigkeiten stehen und die sich lokalisieren lassen, dann hat das auch Folgen für die Wahrnehmung jedes Einzelnen und seine persönlichen Chancen im Leben. Kein Wunder also, dass der Sachbuchmarkt mit Werken über die Forschungswut der Hirnforschung boomt. Allein in den vergangenen zwei Jahren sind zahlreiche Bücher zum Thema "Genialität und Gehirn"" erschienen. Und so liegt auch Brian Burrells neustes Buch "Im Museum der Gehirne" voll im Trend. Wenngleich es für den deutschen Markt fast schon ein bisschen zu spät kommt, hat doch Michael Hagner das Feld um die Genieforschung schon im vorletzten Jahr weitläufig beackert und vorgestellt. Dennoch ist Brian Burrells Buch ein Leseerlebnis: Was vor allem an der flotten und flüssigen Schreibweise des Autors liegt. Brian Burrell versteht es, Wissenschaftsgeschichte sinnlich wahrnehmbar zu machen.

So beginnt sein Buch mit einer Warnung an den Leser. Es ist eine Warnung vor dem ätzenden Geruch des Formaldehyds, dieser Flüssigkeit, die ein Konservieren von Gehirnen überhaupt erst möglich machte und die einem bei einem Besuch "Im Museum der Gehirne" förmlich entgegenschlägt. Und dies aus jeder der 284 Seiten dieses überaus informativen Buches, denn Brian Burrell hat seine Nase tief in die Gläser der gesammelten Gehirne und der damit verbundenen zeitgeschichtlichen Zusammenhänge gesteckt. Gehirne, von denen es weltweit Tausende in medizinischen Instituten und Museen gibt , denn auf der Suche nach dem Sitz der Genialität setzte im 19. Jahrhundert eine wahre Sammel-, Vermessungs- und Kartierungswut ein, die ihre Ausläufer bis heute hat.

Dabei stand und steht immer eine Frage im Mittelpunkt der Forschung: Lässt sich aus Gewicht, Form und anderen Eigenschaften wie dem Windungsreichtum von Gehirnen erklären, warum jemand genial oder etwa kriminell war? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, bedienten sich die Wissenschaftler mitunter sehr fragwürdiger Mittel wie Brian Burrell eindrucksvoll belegt: Wurden anfangs nur die Schädel der Verstorbenen abgetastet , begann man alsbald die Gehirne zu wiegen, ihre Windungen zu zählen und ihre Oberflächen zu zeichnen, um sie später in hauchdünne Scheiben und Würfel zu zerschneiden oder aber, um sie in jüngster Zeit mit Hilfe von bildgebenden Verfahren in ihrer natürlichen Umgebung zu untersuchen. Herausgekommen bei dieser Suche ist nichts. Die Gehirne dämmern schweigend vor sich hin und geben ihr Geheimnis - wenn es denn überhaupt eines zu entdecken gibt - bis heute nicht preis.

Das wundert wenig, denn wie Brian Burrells unterhaltsame Wissenschaftslektüre rasch zeigt, kam bei der Suche nach dem Sitz der Genialität meist das heraus, was die Hirnforscher bereits im Vorfeld erwartet hatten. "Die Forscher", und Brian Burrell stellt alle bedeutenden Hirnforscher in seinem Buch vor, "begannen ihre Untersuchungen in der Regel damit, dass sie von der Wahrheit dessen überzeugt waren, was sie finden wollten, und dann versuchten, die Daten zu entdecken, die sie belegten." So bewunderten 1824 die Anatomen, die Lord Byrons Gehirn sezierten, dessen erstaunliche Größe. Die hatten sie allerdings erwartet, galt es doch damals als unumstößliches Gesetz, dass große Geister auch große Gehirne haben müssten. Die Ansicht wich nur drei Jahre später einer neuen Erkenntnis: Fortan galt, dass viele und tiefe Gehirnwindungen ein sicheres Zeichen für Genialität seien. Dieses Bild ergab sich schließlich bei der Präparierung von Beethovens Denkorgan und wer wollte schon behaupten, Beethoven sei kein Genie gewesen?

Doch schon bald zeigte sich, für jede neue Regel fanden sich zahlreiche Ausnahmen. Nicht jeder schlaue Kopf verfügte über ein besonders großes oder windungsreiches Gehirn. So war das Gehirn des französischen Politikers Léon Gambetta so erschreckend klein, dass das Gewicht im Autopsiebericht sogar unterschlagen wurde, um keinen Skandal zu provozieren. Und auch die Untersuchung von Einsteins Gehirn, das gestohlen und in mehr als 200 Würfel zerteilt worden war, ergab keine abnorme Größe. Vielmehr stießen die Wissenschaftler auf eine Abnormalität, die auf eine verspätete Hirnreifung hinzuweisen schien.

Brian Burrell amüsante und aufschlussreiche Geschichte der Gehirne von den Anfängen bis hin zur Gegenwart liest sich wie eine lange Kette von Irrungen einer angesehenen Wissenschaft, die mitunter bizarre Züge annahm, wie das Kapitel über Cesare Lombroso zeigt. Lombrosos 1876 erschienenes Werk "Der Verbrecher" trug maßgeblich zur Annahme bei, man könne Verbrechern an Haupt und Hirn erkennen, und diente damit auch noch Jahrzehnte später als willkommenes Instrument für Rassismus und Eugenethik. Und so verwundert es auch nicht, dass der Autor trotz aller Erkenntnisgewinne der Hirnforscher etwa in Bezug auf Krankheiten wie Alzheimer auch gegenüber den Ergebnissen modernster bildgebender Verfahren skeptisch bleibt. Denn heute, so beobachtet Brian Burrell besorgt, wird den Menschen erneut die Möglichkeit abgesprochen, etwas an dem Gehirn, das ihnen gegeben ist, zu ändern. Und so kommt er am Ende seines spannenden und gut lesbaren Buches zu dem zutiefst humanistischen Schluss: "Die einzige vernünftige Annahme lautet, dass zu Beginn des Lebens jedes gesunde Hirn praktisch unbegrenzte Möglichkeiten besitzt."

Brian Burrell: Im Museum der Gehirne
Die Suche nach dem Geist in den Köpfen berühmter Menschen
Übersetzt von Hainer Kober
Hoffmann und Campe, Hamburg, 2005
384 Seiten
24,00 Euro