"Im Moment bezahlt die Frisöse dem Arztsohn das Studium"
Der Journalist Christian Füller hat sich für Studiengebühren ausgesprochen, weil man so eine größere Bildungsgerechtigkeit herstellen kann. Momentan sei es so, dass die Arbeiter mit ihren Steuern "für die Schönen und Reichen das Studium" bezahlen. Zugleich forderte er, dass die Einnahmen aus Studiengebühren auch nur studienrelevant verwendet werden dürfen.
Joachim Scholl: Studiengebühren: Bei diesem Wort fahren die einen die Krallen aus, die andere ihnen beschneiden wollen. Die Studiengebühren sind das Politikum in der aktuellen Debatte um Hochschulreform, bessere Ausstattung und bessere Studienabschlüsse. Im Studio von Deutschlandradio Kultur begrüße ich Christian Füller. Er ist Autor des Buches "Schlaue Kinder, schlechte Schulen" und hat sich als Journalist der "TAZ" inzwischen einen Namen gemacht als energischer Vertreter für Studiengebühren. Schönen guten Tag!
Christian Füller: Hallo!
Scholl: In Hamburg, Herr Füller, hat sich die designierte neue schwarz-grüne Koalition auf diesen Kompromiss geeinigt, Studiengebühren ja, aber sie werden erst am Ende des Studiums fällig, und nur, wenn die Studenten ein bestimmtes Einkommen erzielen. Finden Sie das ein gutes Modell?
Füller: Ja, das ist ein tolles Modell, es ist eine gute Idee, weil es sozusagen den Gegnern der Studiengebühren mal ihr Hauptargument wegnimmt. Das Hauptargument lautet, dass da bestimmte Leute gar nicht an die Hochschulen kommen, dass sie davon abgehalten werden. Das Problem ist bei dem Hamburger schwarz-grünen Modell nicht mehr gegeben, weil sie zahlen eben nach dem Studium und sie zahlen einkommensabhängig, das heißt genauer, wenn sie unter einem bestimmten Einkommen bleiben, dann zahlen sie gar nicht. Dagegen gibt es eigentlich gar nichts mehr einzuwenden jetzt.
Scholl: Die Hochschulen finden das nicht so doll, weil sie das Geld eben später kriegen und nur eventuell.
Füller: Ja, das stimmt, das muss ich zugeben. Also, von der sozialen Seite her ist es gut. Der Punkt ist, dass der Staat an dieser Stelle einfach dann sagen muss, wenn wir ein solches Modell machen, dann schießen wir den Hochschulen das Geld vor. Das heißt, man dürfte jetzt nicht warten, was die Einnahmen der Hochschulen anlangt, bis dann das Geld in, weiß ich nicht, fünf, sechs Jahren würde es ja anfangen zu fließen, sondern man müsste vom Staat aus sagen: Okay, ihr kriegt jetzt sozusagen das Geld im Voraus, weil es ist wirklich sehr knapp, das Geld an den Hochschulen.
Scholl: Sie, Christian Füller, sagen nun, Studiengebühren seien im Prinzip sowieso nur gerecht, brächten sogar mehr Chancengleichheit. Das müssen Sie uns begründen.
Füller: Ja, das ist ganz einfach. Es gibt eine Gruppe in den Bildungssystemen, die sitzt ganz oben, und das sind nur eine kleine Auswahl von denen, die es in einem Jahrgang gibt, das sind ungefähr 35 Prozent. Und die haben alle Chancen bekommen, und die erarbeiten sich tolle Karrierevorteile. Es gibt aber in diesem Bildungssystem eine große Ungerechtigkeit, weil weite Teile in den Hauptschulen, in den Sonderschulen eben zurückgelassen werden. Und ich finde, wenn man Bildungsgerechtigkeit herstellen will, müsste man zweierlei machen: Man müsste den Privilegierten, die oben sind, etwas abverlangen dafür, dass sie sich private Karrierevorteile erarbeiten, und man müsste natürlich energisch unten dafür sorgen, dass wirklich nicht mehr so viele zurückbleiben. Das können wir uns gar nicht leisten.
Scholl: Dieser Zusammenhang wird aber in der aktuellen Debatte ja gar nicht aufgemacht. Sozusagen unten hakt es, also kassiert man oben, um den Unteren die Zuwendung zukommen zu lassen, sondern darum geht es ja gar nicht, die Studiengebühren sollen ja in die Unis fließen und nicht jetzt in die Förderung von unterprivilegierten Schichten.
Füller: Ja, Sie machen das, was ganz viele machen, die Finanzströme sollen nicht so das eine für das andere. Ich will jetzt nicht, dass diejenigen, die das Geld haben, ich sage das immer verkürzt, die Schönen und Reichen an den Hochschulen, dass die dann dafür bezahlen, dass in den Hauptschulen sozusagen ein zweiter Lehrer in die Klasse kommt, das meine ich nicht. Es ist wichtig, dass in dem ganzen Bildungssystem mehr Geld investiert wird. Es fehlen, das berechnen viele Experten und es ist auch international bekannt, es fehlen rund 50 Milliarden Euro im deutschen Bildungssystem jährlich. Das muss man sich vorstellen, was das für eine Summe ist. Bei den Hochschulen sind es welche und unten sind es welche.
Das heißt, ich sage, die Hochschulen sollen profitieren von den Studiengebühren, die jetzt reinkommen, es soll auch sehr studentenorientiert das Geld verwendet werden, also für zusätzliche Lehraufträge, für Mentoren, was es so alles gibt, da sollen die Studenten am besten auch mitreden. Und man muss gleichzeitig auch unten im Bildungssystem, ich meine jetzt unten sozusagen, wenn man das Fundament sieht, im Kindergarten, in der Grundschule, da muss wirklich was gemacht werden, damit nicht so viele Kinder zurückbleiben.
Scholl: Nun haben Sie in Ihrer Zeitung, Christian Füller, schon heftigen Widerspruch erfahren. Die "TAZ" ist ein traditionell linkes Blatt und entsprechend kritisch, wenn vom Staat auf den Einzelnen umgeschichtet werden soll. Eine Kollegin von Ihnen, Ulrike Hermann, hat vorgeschlagen, den Spitzensteuersatz einfach anzuheben, also dort Geld abzuholen, wo sowieso schon viel vorhanden ist. Hört sich doch nach einem vernünftigen Argument an. Sie widersprechen!
Füller: Also ich bin jetzt kein Steuererhöher, ich finde, die Steuern in Deutschland sind hoch genug. Ich finde die Frage immer, danach gleich nach den höheren Steuern zu fordern, das finde ich nicht richtig. Wir müssen ein bisschen einfach im Bildungssystem drinbleiben und uns angucken, was da los ist.
Und wenn man sich's mal genauer anguckt, noch mal ein Blick ins Steuersystem: Was im Moment läuft, ist Folgendes: Diejenigen, die Arbeiter, die ihre Kinder ganz selten nur auf die Hochschule schicken können, weil sie nämlich vorher heraussortiert werden, die bezahlen mit ihren Steuern im Moment für die Schönen und Reichen, die sich an den Hochschulen befinden, das Studium. Und das ist einfach ungerecht.
Wenn man dafür sorgt, sage ich, dass auch Arbeiterkinder und die, wie man sie nennt, aus der niedrigen sozialen Herkunftsgruppe soziologisch betrachtet, wenn die sozusagen gleiche Zugangsmöglichkeiten - bei Leistung natürlich, das ist klar - erhalten, dann kann man oben auch wieder sagen, okay, wir müssen die Studiengebühren nicht machen. Aber im Moment ist es wirklich so, dass die Friseurin mit ihrem kargen Gehalt und ihren Steuern dem Arzt das Studium finanziert, dem Arztsohn. Das ist nicht hinnehmbar!
Scholl: In diesem Zusammenhang zitieren Sie sogar Karl Marx, der diesen Kontext schon vor 150 Jahren formuliert hat: "Wenn die Uni nichts kostet, heißt das nur, dass die Reichen sich aus dem Steuersäckel die Ausbildung ihrer Kinder bezahlen lassen". Das leuchtet natürlich sofort ein, aber es zementiert ja auch die Vorstellung oder Tatsache, dass die Universität per se nur was für die besseren Kreise ist.
Füller: Das darf nicht mehr sein. Wir können uns das nicht leisten. Wir haben im Vergleich der OECD und der Staaten sozusagen, die auf Wissen ihre Zukunft basieren, haben wir viel zu wenig Studierende. Ich sage ja auch gar nicht, dass alle studieren müssen und dass nur das Studium allein selig macht. Aber wenn man die Arbeitsplätze uns heute anschauen, die sind heute alle technisiert, computerisiert, es gibt eigentlich für, sage ich mal, das, was wir früher hatten, wo unser Berufsbildungssystem entstanden ist, für so eine Art von Hilfsarbeitern gibt es keine Jobs mehr.
Lassen Sie mich Ihnen mal ein Beispiel geben, wo man das gar nicht glaubt. Die Stahlbranche war zwei Mal in Deutschland Motor einer wirtschaftlichen Entwicklung. In der Stahlbranche gab es massenhaft, 30 bis 40 Prozent in den Gießereien bzw. in den Bergwerken, gab es Ungelernte, also Leute, die überhaupt keinen Job mehr hatten. Gehen Sie heute zu ThyssenKrupp Steel, da werden noch sechs Prozent Hauptschüler eingestellt. Die stellen nur noch Hochqualifizierte ein, ganz einfach, weil selbst im Stahl mit Computern gearbeitet wird. Das zeigt, also wenn eine solche Branche, die wirklich Ungelernten-Branche war, heute anders ist, wir brauchen viele Hochqualifizierte.
Scholl: Der Streit um die Studiengebühren. Im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur ist Christian Füller, zuständig bei der Zeitung "TAZ" für Bildungsfragen und Buchautor. Kommen wir mal zur praktischen Seite. Die meisten Bundesländer haben Studiengebühren eingeführt oder werden das demnächst tun, und andere überlegen jetzt schon wieder, wie sie es reformieren können oder zum Teil abschaffen. Und Sie selbst, Christian Füller, haben recherchiert, wie mangelhaft der bisherige Umgang mit dem Geld ist. Einen Ihrer Artikel haben Sie überschrieben "Zu dumm, um zu kassieren". Was läuft da falsch?
Füller: Ja, was ich echt problematisch finde, diese Studiengebühren-Diskussion, die hängt uns jetzt seit 15 bis 20 Jahren an, und ich finde es auch keine unwichtige Debatte, aber die macht alles andere zu. Als 1994, Ende '94, 2004, das Verfassungsgericht entschieden hat, die Studiengebühren sind möglich, haben alle Bundesländer erst mal angefangen nachzudenken, wie sie das einkassieren.
Heute ist es so, dass sozusagen von den Studiengebühren nicht klar ist, wo fließen diese Studiengebühren hin. Wir hatten als "TAZ"-Modell mal vorgeschlagen, die Studenten sollen ihr Geld selber verwalten. Das findet heute nicht statt, teilweise geht das Geld an Stellen in der Uni, wo es eigentlich nichts verloren hat. Es muss sozusagen lehrrelevant sein.
Dann müssen die Studierenden sozusagen einen Sicherungsfonds selber bezahlen über ihre Studiengebühren, das hat was mit den Studienkrediten zu tun, wenn ein Studienkredit ausfällt. Auch das ist unsinnig, warum sollten die Studiengebühren dafür verwendet werden? Die Studiengebühren sollen wirklich in die Hochschule fließen.
Scholl: Das ist der Fall zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, wo so ein Fonds errichtet worden ist, in den wahrscheinlich hunderte von Millionen fließen, bloß um diese Studiengebühren abzusichern.
Füller: Ich finde aber, das schlimmste Beispiel und wo auch sozusagen der Staat und die Wirtschaft beteiligt sind: Man hat immer gesagt, wenn wir Studiengebühren einführen, dann werden wir auch Stipendien machen oder wir müssen Stipendien machen. Ich kann Ihnen sagen, die deutsche Wirtschaft hat immer versprochen und gefordert, wir wollen Studiengebühren und hat so ein bisschen angedeutet, wir machen Stipendien. Der Stipendienumfang der deutschen Wirtschaft ist seitdem gestiegen um 0,2 Prozent, also von 0,7 Prozent Stipendien sind wir auf 0,9. Das ist lächerlich, das darf nicht sein.
Scholl: Jetzt laufen Sie aber den Gegnern für Studiengebühren gerade offene Scheunentore ein sozusagen, mit dieser Argumentation, also dass das nicht funktioniert. Was müsste denn passieren administrativ, damit wirklich diese Verteilung der Gelder gesichert ist, dass die Studenten vielleicht auch dran beteiligt sind und dass eben nicht die Gelder in irgendwelche Fonds fließen oder dass die Fassade von irgendeiner Hochschule gestrichen wird?
Füller: Ja, wir müssen die Politiker einfach auch mal beim Wort nehmen. Alle sagen, es muss mehr Geld rein und wir sind eine Wissensnation, und da muss man einfach den Leuten auch mal öffentlich dann sagen, was Sache ist. Ich finde, dass man die Studiengebühren sehr wohl an die richtige Stelle bringt, indem man die studentische Selbstverwaltung damit ein bisschen stärkt, die Studenten können sehr genau und sehr gut in diesen Lehrkommissionen, die es gibt, darüber befinden und mitbestimmen. Das gibt es heute schon in dem einen oder anderen Bundesland, aber ich gebe zu, noch viel zu wenig. Und wenn man so was wie öffentliche Beiräte einführt, so wie Kuratorien, wo Intellektuelle drinsitzen, dann würde man nämlich auch mal feststellen, dass die Studiengebühren nicht vom Finanzminister wieder abgezogen werden können. Das erfolgt ja teilweise auch, das ist ja das Problem.
Scholl: Christian Füller, Journalist in Bildungsfragen, Autor des Buches "Schlaue Kinder, schlechte Schulen", ich danke Ihnen für Ihren Besuch und das Gespräch.
Christian Füller: Hallo!
Scholl: In Hamburg, Herr Füller, hat sich die designierte neue schwarz-grüne Koalition auf diesen Kompromiss geeinigt, Studiengebühren ja, aber sie werden erst am Ende des Studiums fällig, und nur, wenn die Studenten ein bestimmtes Einkommen erzielen. Finden Sie das ein gutes Modell?
Füller: Ja, das ist ein tolles Modell, es ist eine gute Idee, weil es sozusagen den Gegnern der Studiengebühren mal ihr Hauptargument wegnimmt. Das Hauptargument lautet, dass da bestimmte Leute gar nicht an die Hochschulen kommen, dass sie davon abgehalten werden. Das Problem ist bei dem Hamburger schwarz-grünen Modell nicht mehr gegeben, weil sie zahlen eben nach dem Studium und sie zahlen einkommensabhängig, das heißt genauer, wenn sie unter einem bestimmten Einkommen bleiben, dann zahlen sie gar nicht. Dagegen gibt es eigentlich gar nichts mehr einzuwenden jetzt.
Scholl: Die Hochschulen finden das nicht so doll, weil sie das Geld eben später kriegen und nur eventuell.
Füller: Ja, das stimmt, das muss ich zugeben. Also, von der sozialen Seite her ist es gut. Der Punkt ist, dass der Staat an dieser Stelle einfach dann sagen muss, wenn wir ein solches Modell machen, dann schießen wir den Hochschulen das Geld vor. Das heißt, man dürfte jetzt nicht warten, was die Einnahmen der Hochschulen anlangt, bis dann das Geld in, weiß ich nicht, fünf, sechs Jahren würde es ja anfangen zu fließen, sondern man müsste vom Staat aus sagen: Okay, ihr kriegt jetzt sozusagen das Geld im Voraus, weil es ist wirklich sehr knapp, das Geld an den Hochschulen.
Scholl: Sie, Christian Füller, sagen nun, Studiengebühren seien im Prinzip sowieso nur gerecht, brächten sogar mehr Chancengleichheit. Das müssen Sie uns begründen.
Füller: Ja, das ist ganz einfach. Es gibt eine Gruppe in den Bildungssystemen, die sitzt ganz oben, und das sind nur eine kleine Auswahl von denen, die es in einem Jahrgang gibt, das sind ungefähr 35 Prozent. Und die haben alle Chancen bekommen, und die erarbeiten sich tolle Karrierevorteile. Es gibt aber in diesem Bildungssystem eine große Ungerechtigkeit, weil weite Teile in den Hauptschulen, in den Sonderschulen eben zurückgelassen werden. Und ich finde, wenn man Bildungsgerechtigkeit herstellen will, müsste man zweierlei machen: Man müsste den Privilegierten, die oben sind, etwas abverlangen dafür, dass sie sich private Karrierevorteile erarbeiten, und man müsste natürlich energisch unten dafür sorgen, dass wirklich nicht mehr so viele zurückbleiben. Das können wir uns gar nicht leisten.
Scholl: Dieser Zusammenhang wird aber in der aktuellen Debatte ja gar nicht aufgemacht. Sozusagen unten hakt es, also kassiert man oben, um den Unteren die Zuwendung zukommen zu lassen, sondern darum geht es ja gar nicht, die Studiengebühren sollen ja in die Unis fließen und nicht jetzt in die Förderung von unterprivilegierten Schichten.
Füller: Ja, Sie machen das, was ganz viele machen, die Finanzströme sollen nicht so das eine für das andere. Ich will jetzt nicht, dass diejenigen, die das Geld haben, ich sage das immer verkürzt, die Schönen und Reichen an den Hochschulen, dass die dann dafür bezahlen, dass in den Hauptschulen sozusagen ein zweiter Lehrer in die Klasse kommt, das meine ich nicht. Es ist wichtig, dass in dem ganzen Bildungssystem mehr Geld investiert wird. Es fehlen, das berechnen viele Experten und es ist auch international bekannt, es fehlen rund 50 Milliarden Euro im deutschen Bildungssystem jährlich. Das muss man sich vorstellen, was das für eine Summe ist. Bei den Hochschulen sind es welche und unten sind es welche.
Das heißt, ich sage, die Hochschulen sollen profitieren von den Studiengebühren, die jetzt reinkommen, es soll auch sehr studentenorientiert das Geld verwendet werden, also für zusätzliche Lehraufträge, für Mentoren, was es so alles gibt, da sollen die Studenten am besten auch mitreden. Und man muss gleichzeitig auch unten im Bildungssystem, ich meine jetzt unten sozusagen, wenn man das Fundament sieht, im Kindergarten, in der Grundschule, da muss wirklich was gemacht werden, damit nicht so viele Kinder zurückbleiben.
Scholl: Nun haben Sie in Ihrer Zeitung, Christian Füller, schon heftigen Widerspruch erfahren. Die "TAZ" ist ein traditionell linkes Blatt und entsprechend kritisch, wenn vom Staat auf den Einzelnen umgeschichtet werden soll. Eine Kollegin von Ihnen, Ulrike Hermann, hat vorgeschlagen, den Spitzensteuersatz einfach anzuheben, also dort Geld abzuholen, wo sowieso schon viel vorhanden ist. Hört sich doch nach einem vernünftigen Argument an. Sie widersprechen!
Füller: Also ich bin jetzt kein Steuererhöher, ich finde, die Steuern in Deutschland sind hoch genug. Ich finde die Frage immer, danach gleich nach den höheren Steuern zu fordern, das finde ich nicht richtig. Wir müssen ein bisschen einfach im Bildungssystem drinbleiben und uns angucken, was da los ist.
Und wenn man sich's mal genauer anguckt, noch mal ein Blick ins Steuersystem: Was im Moment läuft, ist Folgendes: Diejenigen, die Arbeiter, die ihre Kinder ganz selten nur auf die Hochschule schicken können, weil sie nämlich vorher heraussortiert werden, die bezahlen mit ihren Steuern im Moment für die Schönen und Reichen, die sich an den Hochschulen befinden, das Studium. Und das ist einfach ungerecht.
Wenn man dafür sorgt, sage ich, dass auch Arbeiterkinder und die, wie man sie nennt, aus der niedrigen sozialen Herkunftsgruppe soziologisch betrachtet, wenn die sozusagen gleiche Zugangsmöglichkeiten - bei Leistung natürlich, das ist klar - erhalten, dann kann man oben auch wieder sagen, okay, wir müssen die Studiengebühren nicht machen. Aber im Moment ist es wirklich so, dass die Friseurin mit ihrem kargen Gehalt und ihren Steuern dem Arzt das Studium finanziert, dem Arztsohn. Das ist nicht hinnehmbar!
Scholl: In diesem Zusammenhang zitieren Sie sogar Karl Marx, der diesen Kontext schon vor 150 Jahren formuliert hat: "Wenn die Uni nichts kostet, heißt das nur, dass die Reichen sich aus dem Steuersäckel die Ausbildung ihrer Kinder bezahlen lassen". Das leuchtet natürlich sofort ein, aber es zementiert ja auch die Vorstellung oder Tatsache, dass die Universität per se nur was für die besseren Kreise ist.
Füller: Das darf nicht mehr sein. Wir können uns das nicht leisten. Wir haben im Vergleich der OECD und der Staaten sozusagen, die auf Wissen ihre Zukunft basieren, haben wir viel zu wenig Studierende. Ich sage ja auch gar nicht, dass alle studieren müssen und dass nur das Studium allein selig macht. Aber wenn man die Arbeitsplätze uns heute anschauen, die sind heute alle technisiert, computerisiert, es gibt eigentlich für, sage ich mal, das, was wir früher hatten, wo unser Berufsbildungssystem entstanden ist, für so eine Art von Hilfsarbeitern gibt es keine Jobs mehr.
Lassen Sie mich Ihnen mal ein Beispiel geben, wo man das gar nicht glaubt. Die Stahlbranche war zwei Mal in Deutschland Motor einer wirtschaftlichen Entwicklung. In der Stahlbranche gab es massenhaft, 30 bis 40 Prozent in den Gießereien bzw. in den Bergwerken, gab es Ungelernte, also Leute, die überhaupt keinen Job mehr hatten. Gehen Sie heute zu ThyssenKrupp Steel, da werden noch sechs Prozent Hauptschüler eingestellt. Die stellen nur noch Hochqualifizierte ein, ganz einfach, weil selbst im Stahl mit Computern gearbeitet wird. Das zeigt, also wenn eine solche Branche, die wirklich Ungelernten-Branche war, heute anders ist, wir brauchen viele Hochqualifizierte.
Scholl: Der Streit um die Studiengebühren. Im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur ist Christian Füller, zuständig bei der Zeitung "TAZ" für Bildungsfragen und Buchautor. Kommen wir mal zur praktischen Seite. Die meisten Bundesländer haben Studiengebühren eingeführt oder werden das demnächst tun, und andere überlegen jetzt schon wieder, wie sie es reformieren können oder zum Teil abschaffen. Und Sie selbst, Christian Füller, haben recherchiert, wie mangelhaft der bisherige Umgang mit dem Geld ist. Einen Ihrer Artikel haben Sie überschrieben "Zu dumm, um zu kassieren". Was läuft da falsch?
Füller: Ja, was ich echt problematisch finde, diese Studiengebühren-Diskussion, die hängt uns jetzt seit 15 bis 20 Jahren an, und ich finde es auch keine unwichtige Debatte, aber die macht alles andere zu. Als 1994, Ende '94, 2004, das Verfassungsgericht entschieden hat, die Studiengebühren sind möglich, haben alle Bundesländer erst mal angefangen nachzudenken, wie sie das einkassieren.
Heute ist es so, dass sozusagen von den Studiengebühren nicht klar ist, wo fließen diese Studiengebühren hin. Wir hatten als "TAZ"-Modell mal vorgeschlagen, die Studenten sollen ihr Geld selber verwalten. Das findet heute nicht statt, teilweise geht das Geld an Stellen in der Uni, wo es eigentlich nichts verloren hat. Es muss sozusagen lehrrelevant sein.
Dann müssen die Studierenden sozusagen einen Sicherungsfonds selber bezahlen über ihre Studiengebühren, das hat was mit den Studienkrediten zu tun, wenn ein Studienkredit ausfällt. Auch das ist unsinnig, warum sollten die Studiengebühren dafür verwendet werden? Die Studiengebühren sollen wirklich in die Hochschule fließen.
Scholl: Das ist der Fall zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, wo so ein Fonds errichtet worden ist, in den wahrscheinlich hunderte von Millionen fließen, bloß um diese Studiengebühren abzusichern.
Füller: Ich finde aber, das schlimmste Beispiel und wo auch sozusagen der Staat und die Wirtschaft beteiligt sind: Man hat immer gesagt, wenn wir Studiengebühren einführen, dann werden wir auch Stipendien machen oder wir müssen Stipendien machen. Ich kann Ihnen sagen, die deutsche Wirtschaft hat immer versprochen und gefordert, wir wollen Studiengebühren und hat so ein bisschen angedeutet, wir machen Stipendien. Der Stipendienumfang der deutschen Wirtschaft ist seitdem gestiegen um 0,2 Prozent, also von 0,7 Prozent Stipendien sind wir auf 0,9. Das ist lächerlich, das darf nicht sein.
Scholl: Jetzt laufen Sie aber den Gegnern für Studiengebühren gerade offene Scheunentore ein sozusagen, mit dieser Argumentation, also dass das nicht funktioniert. Was müsste denn passieren administrativ, damit wirklich diese Verteilung der Gelder gesichert ist, dass die Studenten vielleicht auch dran beteiligt sind und dass eben nicht die Gelder in irgendwelche Fonds fließen oder dass die Fassade von irgendeiner Hochschule gestrichen wird?
Füller: Ja, wir müssen die Politiker einfach auch mal beim Wort nehmen. Alle sagen, es muss mehr Geld rein und wir sind eine Wissensnation, und da muss man einfach den Leuten auch mal öffentlich dann sagen, was Sache ist. Ich finde, dass man die Studiengebühren sehr wohl an die richtige Stelle bringt, indem man die studentische Selbstverwaltung damit ein bisschen stärkt, die Studenten können sehr genau und sehr gut in diesen Lehrkommissionen, die es gibt, darüber befinden und mitbestimmen. Das gibt es heute schon in dem einen oder anderen Bundesland, aber ich gebe zu, noch viel zu wenig. Und wenn man so was wie öffentliche Beiräte einführt, so wie Kuratorien, wo Intellektuelle drinsitzen, dann würde man nämlich auch mal feststellen, dass die Studiengebühren nicht vom Finanzminister wieder abgezogen werden können. Das erfolgt ja teilweise auch, das ist ja das Problem.
Scholl: Christian Füller, Journalist in Bildungsfragen, Autor des Buches "Schlaue Kinder, schlechte Schulen", ich danke Ihnen für Ihren Besuch und das Gespräch.