Im Mainstream angekommen

Von Susanne Schrammar · 09.08.2011
Der Poetry Slammer Tobias Kunze hat schon viele Dichterschlachten gewonnen - war 2009 sogar Europameister. Doch mittlerweile hadert er mit der Szene: Poetry Slam sei ein "Streichelzoo" geworden.
" Worte - sind häufig Schall und blasser Rauch, ein feuchter Schwall aus nassem Schlauch, sind heiße Luft, die laut ausgestoßen doch meist leise verpufft, füllen Windbeutel und Windhosen und Backen wie Segel, sind Audiomüllpegel und klebrig wie Egel. Lippen - sind Wortklippen, über die man all zu oft Hülsen verklappt. Lippen sind Isolierung, damit man das Zähneklappern nicht rafft. Lippen sind Dämmmaterial, sind schal und Ventile für stumpfe Silbenprojektile. Lippen werden viel zu viel zum Schimpfen und viel zu selten zum Küssen benutzt."

Er stampft, er wedelt, er schnaubt, er wippt. Wenn Tobias Kunze seine Texte vorträgt, dann soll das Publikum vor der Bühne nicht nur hören, sondern fühlen. If you don’t understand the word - feel it - das Motto des Poetry Slammers aus Hannover, auch heute Abend in einer Szenekneipe im Stadtteil Linden. Der 29-Jährige hat bereits mehr als 1000 Auftritte hinter sich und gehört zu den besten seiner Zunft. Tobias Kunze war der erste Slammer, der im Centre Pompidou in Paris auftreten durfte, hat in Estland, Südtirol und Frankreich vorgetragen und vor zwei Jahren sogar den Europameistertitel im Poetry Slam gewonnen. Sein Ziel: Den Leuten was zum Denken mitgeben.

Kunze: "Da ist Publikum, das hört einem zu und man kann diesem Publikum sagen, was man will. Ich hab in meinen Texten natürlich viele Pointen drin, viel Lustiges, viel Selbstironie, viel Humor, aber das Ganze ist immer mit 'nem Thema verknüpft und ich lasse mich da über Themen aus, die mir am Herzen liegen. Also, es ist immer was Gesellschaftskritisches drin oder Zeitkritisches, viel Politisches auch. Stante Pede Feedback zu kriegen, ist unersetzbar."

Als Tobias Kunze vor zehn Jahren angefangen hat, war Poetry Slam ein Geheimtipp in der Kulturszene, inzwischen ist die Kunstform längst im Mainstream angekommen. In jeder Stadt gibt es Open-Mic-Abende, es werden Poetry Slam Workshops gegeben und sogar das Fernsehen hat den Dichterwettstreit für sich entdeckt. Dass es immer mehr Wortakrobaten gibt, die sich auf die Bühne trauen, findet Kunze auf der einen Seite gut. Auf der anderen Seite, sagt der schlaksige junge Mann und lupft die schwarze Base-Cap, hat die Poeten-Schwemme auch dafür gesorgt, dass das Publikum anspruchsloser und die Performances vorhersehbar geworden sind. Zu viel Klamauk, zu wenig Anspruch. Poetry Slam als Streichelzoo.

Kunze: "Streichelzoo insofern, als dass das Publikum viel unkritischer geworden ist. Die feiern das ab, die kommen auch zum Slam, weil sie eben Unterhaltung wollen. Heutzutage wissen die Slammer sehr schnell sehr genau, welche Effekte man einsetzen muss, um gut anzukommen, welche Stilmittel, welche Brechungen, Wendungen man einsetzen muss, um sofort Anklang beim Publikum zu finden. Es ist einfach nur so schade, um der leiseren, gekonnteren Töne, eben weil viel laute Comedy die leiseren Töne verdrängt."

Slammerin: "Der Geist des Neides umgibt mich. Ist es ein Instinkt, ist es ein Gefühl oder sind wir besessen?" (singt) "Jeepers, Creepers - where did you get that eyes?"

An diesem Abend im Szene-Club "Sing Sing" in Hannover werden auch Experimente beim Poetry Slam gewagt. Doch die Zeiten, als Hausfrauen selbstgeschriebene Lyrik vortrugen, der schrullige Stadtteilpoet Heimatverse zum Besten gab und damit den Poetry Slam auf den Kopf stellten, seien vorbei, bedauert Kunze. Statt dessen habe eine Art Monokultur Einzug gehalten: Immer mehr Slammer drängten auf die Bühne, die mit den immer gleichen zwei drei Texten über die Bühnen Deutschlands tingelten.

Kunze: "Statt dass man mal, wie früher, mal Erfahrungen auf lokaler Ebene sammelt und dann nach und nach sich in die Nachbarstädte traut und dann weiter raus fährt, das gibt es nicht mehr. Heutzutage geht man direkt auf Tour, hat eben auch die Poetry-Star-Allüren und steigt die direkt auf die Bühne gibt Vollgas - ist ja auch schön so - so entstehen ja auch Talente und werden gefördert - aber viele vermeintliche Talente, würde ich jetzt mal behaupten, überstehen einen ganzen Soloabend noch nicht."

Dass sich die Szene so entwickelt hat, sagt der 29-Jährige, liege auch am zunehmenden Kommerz. Manche Veranstalter, vor allem Eventagenturen, zahlen hohe Siegprämien, kein Wunder, dass manche da eher nach dem Publikumserfolg schielten. Auch Kunze profitiert von dieser Entwicklung, inzwischen kann er vom Poetry Slam und seinen Auftritten als Autor leben. Einige erfahrene Slammer hätten jedoch der Szene bereits den Rücken gekehrt , erzählt er und auch Kunze selbst geht neue Wege: Der Hannoveraner hat ein Kabarettprogramm entwickelt. Gerne würde er sich auch stärker in der Literaturszene etablieren, doch in Niedersachsen habe die so genannte Hochkultur oft Schwierigkeiten mit den Poetry Slammern, erzählt er.

"Ich erwarte jetzt nicht, dass man mich auf Händen trägt oder unterstützt oder so. Aber es gibt wenige Schnittstellen, die es Poetry Slammern ermöglichen, Zugang oder Anbindung an die höhere Kultur zu finden. Und dann merkt man einfach, dass wirklich noch so auf diese Poetry-Slam-Geschichte herabgeguckt wird. Obwohl viele wirklich über dieses Poetry-Slam-Format hinaus etablieren können."
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