Im Leben schachmatt gesetzt
Mit 13 Jahren wurde Bobby Fischer Schachmeister der USA, mit 29 besiegte er den sowjetischen Weltmeister Boris Spasski. Dann der Absturz: Fischer litt unter Verfolgungswahn, tauchte unter, fiel durch antisemitische Hetze auf. Über sein zerrissenes Leben hat der Autor Frank Brady nun ein Buch geschrieben.
Frank Brady ist ein mutiger Mann. Er hat versucht, das irrsinnig komplizierte Leben des exzentrischen und scheuen Schachgenies zwischen zwei Buchdeckel zu packen. Und das ist ein Glücksfall. Herausgekommen ist eine grandiose, faktenreiche Erzählung, die durch viele andere Quellen eine teilweise verstörende Tiefe entfaltet: Packend, wie eine abgründige Partie auf dem Brett, beschreibt und analysiert der Autor die Geschichte dieses Sonderlings aus Brooklyn. Dabei kommt Brady zupass, dass er, wie kein anderer, dem unnahbaren Einzelgänger Fischer nahe kam.
1943 kommt James Robert "Bobby" Fischer zur Welt. Er wächst ohne Vater auf, führt mit Mutter und Schwester ein von ständigen Geldsorgen belastetes Nomadenleben in den USA. Seine Mutter, eine politische Aktivistin, die in Moskau studiert hatte, wird, wie Brady durch erstmals einsehbare Akten belegt, vom FBI überwacht. Mit sechs Jahren entdeckt Bobby Schach. Weil er viel allein ist, spielt er meist gegen sich selbst. Schon als Kind betreibt er das Spiel obsessiv. Schach ist für ihn der Fluchtweg in eine andere Welt. In dieser sorgenvollen Kindheit sieht Frank Brady den Schlüssel für Fischers späteres Misstrauen gegen Gott und die Welt, seine Unfähigkeit, dauerhafte Beziehungen einzugehen, seine Habgier. Hier liegen, so Brady, die Ursachen für Fischers Abstürze und den hartnäckigen Verfolgungswahn, der ihn ein Leben lang quälen wird.
Aber zunächst eröffnet sich Bobby Fischer durch seinen Ehrgeiz und sein "kristallklares und ökonomisches" Spiel eine verheißungsvolle Zukunftsperspektive. Über Freiluftturniere im Washington Square Park, regelmäßige Besuche im Manhattan Chess Club in Greenwich Village wird sein Spiel immer stärker. Mit 14 Jahren ist er US-Meister, der jüngste aller Zeiten. Am 1. September 1972, mit 29 Jahren, ist er am Ziel seiner Träume. In einem hochdramatischen Weltmeisterschaftsturnier in Reykjavik besiegt der amerikanische Autodidakt den Sowjetprofi Boris Spasski. Zum ersten Mal seit mehr als drei Jahrzehnten kommt der Schachweltmeister nicht aus der Sowjetunion. Mitten im Kalten Krieg ist dieser Sieg sogar für US-Präsident Nixon, der Fischer ins Weiße Haus einlädt, eine willkommene Ablenkung von den Schrecken des Vietnamkriegs.
Im Leben des Champions ist der Titel ein großer Bruch. Frank Brady beleuchtet in "Endspiel" neben dem Aufstieg auch den erschütternden Niedergang Fischers. Mit letzter Energie hatte Fischer auf den Titel hingearbeitet, danach fiel er in eine große Depression. 1975, zur Titelverteidigung gegen Anatoli Karpow, trat er nicht mehr an. Fischer verließ New York und verschwand völlig von der Bildfläche, weil er sich von FBI und KGB verfolgt fühlte. "20 Jahre lang lebte Bobby allein, meist in den übelsten Gegenden von Los Angeles, fast mittellos und oft an der Grenze zur Obdachlosigkeit", schreibt Brady.
1992 tauchte Bobby Fischer noch einmal auf. Auf Sveti Stefan, einer montenegrinischen Insel, spielte er 20 Jahre nach seinem Triumph über Boris Spasski für eine Millionengage noch einmal gegen den Russen. Wegen des Kriegs in Serbien und Montenegro hatte Präsident Bush (sen.) dem amerikanischen Staatsbürger Fischer untersagt, an dem Schaukampf teilzunehmen. Fischer, der das Verbot ignorierte, wurde anschließend per US-Haftbefehl gesucht. Er nahm sein Nomadenleben wieder auf, lebte eine Zeitlang in Osteuropa, auf den Philippinen und in Japan. Ab und zu fiel er noch durch antisemitische Hetze auf. In wirren Radiointerviews feierte er die Anschläge von 9/11. Schließlich zog er sich nach Island, an den Ort seines größten Triumphs, zurück, wo er am 17. Januar 2008 in Reykjavik 64-jährig starb.
Frank Brady, der engen Kontakt zur Familie Fischer hatte, liefert ein großartiges Porträt des zutiefst widersprüchlichen Bobby Fischer. "Endspiel" ist dabei in erster Linie ein vielschichtiges Psychogramm und deswegen nicht nur für Schachexperten interessant. Brady hat hunderte Interviews mit Leuten geführt, die Bobby Fischer kannten. In dem verwirrenden Kaleidoskop von Fischers Ichs konzentriert sich Brady, der immer wieder auch Erzähltechniken des Romans oder der Reportage benutzt, darauf, die Persönlichkeit des Genies und des ewigen Kriegers herauszuarbeiten. Das ist ihm brillant gelungen.
Besprochen von Thomas Jaedicke
Frank Brady: Endspiel. Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer.
Übersetzt von Martin Bauer
riva, München 2012
401 Seiten, 22 Euro
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1943 kommt James Robert "Bobby" Fischer zur Welt. Er wächst ohne Vater auf, führt mit Mutter und Schwester ein von ständigen Geldsorgen belastetes Nomadenleben in den USA. Seine Mutter, eine politische Aktivistin, die in Moskau studiert hatte, wird, wie Brady durch erstmals einsehbare Akten belegt, vom FBI überwacht. Mit sechs Jahren entdeckt Bobby Schach. Weil er viel allein ist, spielt er meist gegen sich selbst. Schon als Kind betreibt er das Spiel obsessiv. Schach ist für ihn der Fluchtweg in eine andere Welt. In dieser sorgenvollen Kindheit sieht Frank Brady den Schlüssel für Fischers späteres Misstrauen gegen Gott und die Welt, seine Unfähigkeit, dauerhafte Beziehungen einzugehen, seine Habgier. Hier liegen, so Brady, die Ursachen für Fischers Abstürze und den hartnäckigen Verfolgungswahn, der ihn ein Leben lang quälen wird.
Aber zunächst eröffnet sich Bobby Fischer durch seinen Ehrgeiz und sein "kristallklares und ökonomisches" Spiel eine verheißungsvolle Zukunftsperspektive. Über Freiluftturniere im Washington Square Park, regelmäßige Besuche im Manhattan Chess Club in Greenwich Village wird sein Spiel immer stärker. Mit 14 Jahren ist er US-Meister, der jüngste aller Zeiten. Am 1. September 1972, mit 29 Jahren, ist er am Ziel seiner Träume. In einem hochdramatischen Weltmeisterschaftsturnier in Reykjavik besiegt der amerikanische Autodidakt den Sowjetprofi Boris Spasski. Zum ersten Mal seit mehr als drei Jahrzehnten kommt der Schachweltmeister nicht aus der Sowjetunion. Mitten im Kalten Krieg ist dieser Sieg sogar für US-Präsident Nixon, der Fischer ins Weiße Haus einlädt, eine willkommene Ablenkung von den Schrecken des Vietnamkriegs.
Im Leben des Champions ist der Titel ein großer Bruch. Frank Brady beleuchtet in "Endspiel" neben dem Aufstieg auch den erschütternden Niedergang Fischers. Mit letzter Energie hatte Fischer auf den Titel hingearbeitet, danach fiel er in eine große Depression. 1975, zur Titelverteidigung gegen Anatoli Karpow, trat er nicht mehr an. Fischer verließ New York und verschwand völlig von der Bildfläche, weil er sich von FBI und KGB verfolgt fühlte. "20 Jahre lang lebte Bobby allein, meist in den übelsten Gegenden von Los Angeles, fast mittellos und oft an der Grenze zur Obdachlosigkeit", schreibt Brady.
1992 tauchte Bobby Fischer noch einmal auf. Auf Sveti Stefan, einer montenegrinischen Insel, spielte er 20 Jahre nach seinem Triumph über Boris Spasski für eine Millionengage noch einmal gegen den Russen. Wegen des Kriegs in Serbien und Montenegro hatte Präsident Bush (sen.) dem amerikanischen Staatsbürger Fischer untersagt, an dem Schaukampf teilzunehmen. Fischer, der das Verbot ignorierte, wurde anschließend per US-Haftbefehl gesucht. Er nahm sein Nomadenleben wieder auf, lebte eine Zeitlang in Osteuropa, auf den Philippinen und in Japan. Ab und zu fiel er noch durch antisemitische Hetze auf. In wirren Radiointerviews feierte er die Anschläge von 9/11. Schließlich zog er sich nach Island, an den Ort seines größten Triumphs, zurück, wo er am 17. Januar 2008 in Reykjavik 64-jährig starb.
Frank Brady, der engen Kontakt zur Familie Fischer hatte, liefert ein großartiges Porträt des zutiefst widersprüchlichen Bobby Fischer. "Endspiel" ist dabei in erster Linie ein vielschichtiges Psychogramm und deswegen nicht nur für Schachexperten interessant. Brady hat hunderte Interviews mit Leuten geführt, die Bobby Fischer kannten. In dem verwirrenden Kaleidoskop von Fischers Ichs konzentriert sich Brady, der immer wieder auch Erzähltechniken des Romans oder der Reportage benutzt, darauf, die Persönlichkeit des Genies und des ewigen Kriegers herauszuarbeiten. Das ist ihm brillant gelungen.
Besprochen von Thomas Jaedicke
Frank Brady: Endspiel. Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer.
Übersetzt von Martin Bauer
riva, München 2012
401 Seiten, 22 Euro
Wie Computer das Schachspiel verändern
Ehrenpräsident des Deutschen Schachbundes über Veränderungen und die Weltmeisterschaft in Moskau (DKultur)