Im Labyrinth der Texte
Ian Caldwell und Dustin Thomason haben mit ihrem Debüt "Das letzte Geheimnis" den anspruchsvollsten Mystery-Thriller der Saison geschrieben.
Mit "Sakrileg" hat es angefangen. Nachdem sich Dan Browns Bestseller im vergangenen Jahr weltweit mehr als 18 Millionen Mal verkauft hat, versucht jetzt jeder Verlag, den nächsten Treffer zu landen. Blättert man in diesem Frühjahr durch die Vorschauen, stößt man darum auf unzählige Romane mit mörderischen Geheimbünden, intriganten Kardinälen und düsteren Legenden: Der Boom des Mystery-Thrillers hat seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht.
Auf den ersten Blick könnte auch "Das letzte Geheimnis" einer dieser Titel sein, die einfach nur auf die schnell zu konsumierende Mischung aus Verschwörungstheorien, spannenden Plots und kulturgeschichtlichen Bildungserlebnissen setzen. Doch die beiden jungen Amerikaner Ian Caldwell und Dustin Thomason haben es sich nicht ganz so leicht gemacht. Im Mittelpunkt ihres 450 Seiten schweren Debüts steht die so genannte "Hypnerotomachi Poliphili" - eines der rätselhaftesten Bücher der abendländischen Kultur. Bis heute gilt das 1499 zum ersten Mal gedruckte Werk wegen seiner kryptischen Sprache über weite Strecken als kaum lesbar: "Das Ganze ist so kompliziert erzählt, dass selbst die meisten Renaissance-Forscher - Leute, die Plotinus lesen, während sie auf den Bus warten - die 'Hypnerotomachia' als quälend mühselig und schwierig empfinden.", bringt der Student Tom es auf den Punkt.
Trotz allem macht Tom sich zusammen mit zwei Kommilitonen in Princeton auf die Suche nach dem Schlüssel zum Verständnis dieses monströsen Buches - und gerät dabei zwischen die Fronten einer erbitterten und zuletzt blutigen wissenschaftlichen Kontroverse. Während es auf dem Campus zu mehreren Morden kommt, führen Caldwell und Thomason ihre Leser immer tiefer in das Labyrinth eines 500 Jahre alten Textes, dessen Ursprung sie schließlich im Florenz des 15. Jahrhunderts verorten. Jetzt wird es spannend: Ganz nebenbei gerät ihr geistreiches Debüt so zu einem Schnellkurs in der Geschichte und Kultur der italienischen Renaissance mit einigen detaillierten philologischen und kunstgeschichtlichen Exkursen. Wer bisher noch nicht wusste, dass die Hörner, die Michelangelos "Moses" trägt, auf der fehlerhaften Übersetzung einer hebräischen Bibelstelle beruhen, kann hier noch etwas dazulernen. Und das ist noch eine eher geläufige Lektion.
Mit Dan Browns esoterischen Räuberpistolen hat dieser Roman nur noch wenig zu tun. "Das letzte Geheimnis" steht mehr in der Tradition von Umberto Eco großen Erfolgen und ist sicherlich der anspruchsvollste Mystery-Thriller der Saison. Nur eines hat es mit den zahllosen anderen Romanen gemeinsam, die jetzt als potentielle Nachfolger von "Sakrileg" in die Buchhandlungen drängen: Zuletzt werden einige, aber eben doch nicht alle Rätsel um das 500 Jahre alte Werk gelöst. So bleibt trotz aller Gelehrsamkeit die Illusion erhalten, dass in einer durch die Wissenschaft gänzlich entzauberten Welt immer noch Platz für ein "letztes Geheimnis" ist.
Ian Caldwell, Dustin Thomason: "Das letzte Geheimnis".
Aus dem Amerikanischen von Rainer Schmidt.
Gustav Lübbe Verlag, Bergisch-Gladbach 2005.
443 Seiten, 19,90 Euro
Auf den ersten Blick könnte auch "Das letzte Geheimnis" einer dieser Titel sein, die einfach nur auf die schnell zu konsumierende Mischung aus Verschwörungstheorien, spannenden Plots und kulturgeschichtlichen Bildungserlebnissen setzen. Doch die beiden jungen Amerikaner Ian Caldwell und Dustin Thomason haben es sich nicht ganz so leicht gemacht. Im Mittelpunkt ihres 450 Seiten schweren Debüts steht die so genannte "Hypnerotomachi Poliphili" - eines der rätselhaftesten Bücher der abendländischen Kultur. Bis heute gilt das 1499 zum ersten Mal gedruckte Werk wegen seiner kryptischen Sprache über weite Strecken als kaum lesbar: "Das Ganze ist so kompliziert erzählt, dass selbst die meisten Renaissance-Forscher - Leute, die Plotinus lesen, während sie auf den Bus warten - die 'Hypnerotomachia' als quälend mühselig und schwierig empfinden.", bringt der Student Tom es auf den Punkt.
Trotz allem macht Tom sich zusammen mit zwei Kommilitonen in Princeton auf die Suche nach dem Schlüssel zum Verständnis dieses monströsen Buches - und gerät dabei zwischen die Fronten einer erbitterten und zuletzt blutigen wissenschaftlichen Kontroverse. Während es auf dem Campus zu mehreren Morden kommt, führen Caldwell und Thomason ihre Leser immer tiefer in das Labyrinth eines 500 Jahre alten Textes, dessen Ursprung sie schließlich im Florenz des 15. Jahrhunderts verorten. Jetzt wird es spannend: Ganz nebenbei gerät ihr geistreiches Debüt so zu einem Schnellkurs in der Geschichte und Kultur der italienischen Renaissance mit einigen detaillierten philologischen und kunstgeschichtlichen Exkursen. Wer bisher noch nicht wusste, dass die Hörner, die Michelangelos "Moses" trägt, auf der fehlerhaften Übersetzung einer hebräischen Bibelstelle beruhen, kann hier noch etwas dazulernen. Und das ist noch eine eher geläufige Lektion.
Mit Dan Browns esoterischen Räuberpistolen hat dieser Roman nur noch wenig zu tun. "Das letzte Geheimnis" steht mehr in der Tradition von Umberto Eco großen Erfolgen und ist sicherlich der anspruchsvollste Mystery-Thriller der Saison. Nur eines hat es mit den zahllosen anderen Romanen gemeinsam, die jetzt als potentielle Nachfolger von "Sakrileg" in die Buchhandlungen drängen: Zuletzt werden einige, aber eben doch nicht alle Rätsel um das 500 Jahre alte Werk gelöst. So bleibt trotz aller Gelehrsamkeit die Illusion erhalten, dass in einer durch die Wissenschaft gänzlich entzauberten Welt immer noch Platz für ein "letztes Geheimnis" ist.
Ian Caldwell, Dustin Thomason: "Das letzte Geheimnis".
Aus dem Amerikanischen von Rainer Schmidt.
Gustav Lübbe Verlag, Bergisch-Gladbach 2005.
443 Seiten, 19,90 Euro