Im Labyrinth der Erinnerungen
Zwischen Geschichte, aktueller Politik und dem eigenen Leben pendelt das Schaffen des Pariser Künstlers Christian Boltanski. Das Gespräch über seine Arbeit und seine zum Teil labyrinthartigen Installationen hat eine eher ungewöhnliche Ausgabe der „Berliner Lektionen“ ergeben.
Die Erinnerung treibt Christian Boltanski um: Alte Familienfotos, abgelegte Kleider und verschrammte Archivboxen prägen seine Installationen. Der französische Künstler führt seine Konzepte wie musikalische Kompositionen in immer neuen, für den jeweiligen Ort erarbeiteten Varianten auf.
Er umkreist ein Leitmotiv, eindeutige oder gar abschließende Lektionen sind seine Sache nicht:
„Ich bin eingeladen, meine Arbeit zu erklären. Aber dass es unklar bleibt, macht doch gerade die Schönheit eines Kunstwerks aus. Nur so wirft für es jeden einzelnen Betrachter ganz andere Fragen auf.“
Diese direkte psychische und – bei zunehmender Größe der labyrinthischen Installationen – auch physische, körperliche Erfahrung betont Armin Zweite, Boltanskis Gesprächspartner bei dieser ungewöhnlichen Ausgabe der „Berliner Lektion“. Der Kunsthistoriker illustriert seine Einführung mit Dias und Filmausschnitten, wirft Schlaglichter auf ein Gesamtwerk, das lange schon, eigentlich von Anfang an über das hierzulande mit Boltanski fest assoziierte Thema „Holocaust“ hinausweist.
Mit „les suisses morts“ etwa, mit endlos langen Listen verstorbener Schweizer, lenkt Boltanski den Blick darauf, dass auch in einer saturierten und scheinbar harmonischen Gesellschaft Menschen sterben, sterben müssen thematisiert er die Verdrängung des Todes:
„Ich habe immer versucht, Leben aufzubewahren, ein Verschwinden zu verhindern. Naturgemäß bin ich jedes Mal gescheitert. Denn man kann zwar ein Herz konservieren oder Tausende von Fotos – aber man kann niemanden als Person erhalten.“
Ein Soundarchiv mit 30.000 Herzschlägen, jeweils im individuellen Rhythmus, ist entstanden. Die lückenlose Videodokumentation seines Pariser Ateliers wird im fernen Tasmanien auf Berge von DVDs gebrannt verwahrt, den eigenen Vorlass hat Boltanski im Centre Pompidou zu einer Archivinstallation verarbeitet:
„Die Installation im Centre Pompidou ist eine von mehreren Varianten zum Arbeitstitel ‚Unmögliches Leben‘. Da demonstriere ich, wie – insbesondere mit dem Internet – die Realität abhandenkommt: Die Masse der Dokumente verdeckt mehr als sie zeigt.“
Was 1972 auf der documenta 5 mit 180 Fotos aus dem Album der völlig unbekannten „Familie D.“ begann, hat mittlerweile das eigene Leben des Künstlers erfasst – und ist das Gegenteil einer Selbstdarstellung:
„Mein Traum ist, dass jeder, der mein Werk anschaut, sich sagt: ‚Das bin ja ich – wie kann er das wissen, warum kennt er meine Geschichte?‘ Das ist wie bei Proust, der schreibt nicht über sich, sondern über jeden von uns. Wir alle waren einmal eifersüchtig, haben auf unsere Mutter gewartet – und erinnern uns beständig daran.“
Als Boltanski das erste Mal in Japan ausstellte, waren die Besucher des Lobes voll: Kaum ein westlicher Künstler habe sich so in ihre Kultur eingefühlt. Ob er einen japanischen Großvater habe, wurde der französische Gast immer wieder gefragt:
„Wie man seit Langem weiß, wird ein Gemälde erst von dem vollendet, der es betrachtet. Und in meinem Fall bin ich glücklich, dass jeder eine andere Antwort findet auf das, was ich zeige. Für diese Art kollektiver Werke braucht es eine ganz präzise Unschärfe – denn sie müssen für jeden unterschiedlich deutlich sein.“.
Boltanski plädiert für eine Kunst der verschiedenen Lesarten, aber das bedeutet kein Ausweichen vor politischen oder ästhetischen Debatten:
„Heute bestimmt über den Kunstmarkt das Geld, nicht mehr der Geist. Wenn ich kurzlebige, kaum verkäufliche Werke schaffe oder sie im Nachhinein zerstöre, ist das eine Reaktion auf diesen Verrat an Künstler und Intellektuellen.“
Zwischen Geschichte, aktueller Politik und dem eigenen Leben läßt Boltanski Blick und Gedanken pendeln. Erzählt selbst von einem Spaziergang durch den Wald, bei dem er vermutlich mit einigen Schritten abseits des Weges Hunderte Insekten zermalmt habe, ohne böse Absicht. So könne er sich Gott vorstellen, als jemanden, der Leben nimmt, ohne sonderliches Interesse am einzelnen Menschen. Und ist damit wieder bei seiner Kunst:
„Meine nächste wichtige Ausstellung, der französische Biennale-Pavillon, dreht sich unter dem Titel ‚Chance‘ um das Schicksal. Wer religiös ist, glaubt, dass etwas geschrieben steht, durch wen auch immer. Ich denke, es gibt nichts weiter als den Zufall.“
Er umkreist ein Leitmotiv, eindeutige oder gar abschließende Lektionen sind seine Sache nicht:
„Ich bin eingeladen, meine Arbeit zu erklären. Aber dass es unklar bleibt, macht doch gerade die Schönheit eines Kunstwerks aus. Nur so wirft für es jeden einzelnen Betrachter ganz andere Fragen auf.“
Diese direkte psychische und – bei zunehmender Größe der labyrinthischen Installationen – auch physische, körperliche Erfahrung betont Armin Zweite, Boltanskis Gesprächspartner bei dieser ungewöhnlichen Ausgabe der „Berliner Lektion“. Der Kunsthistoriker illustriert seine Einführung mit Dias und Filmausschnitten, wirft Schlaglichter auf ein Gesamtwerk, das lange schon, eigentlich von Anfang an über das hierzulande mit Boltanski fest assoziierte Thema „Holocaust“ hinausweist.
Mit „les suisses morts“ etwa, mit endlos langen Listen verstorbener Schweizer, lenkt Boltanski den Blick darauf, dass auch in einer saturierten und scheinbar harmonischen Gesellschaft Menschen sterben, sterben müssen thematisiert er die Verdrängung des Todes:
„Ich habe immer versucht, Leben aufzubewahren, ein Verschwinden zu verhindern. Naturgemäß bin ich jedes Mal gescheitert. Denn man kann zwar ein Herz konservieren oder Tausende von Fotos – aber man kann niemanden als Person erhalten.“
Ein Soundarchiv mit 30.000 Herzschlägen, jeweils im individuellen Rhythmus, ist entstanden. Die lückenlose Videodokumentation seines Pariser Ateliers wird im fernen Tasmanien auf Berge von DVDs gebrannt verwahrt, den eigenen Vorlass hat Boltanski im Centre Pompidou zu einer Archivinstallation verarbeitet:
„Die Installation im Centre Pompidou ist eine von mehreren Varianten zum Arbeitstitel ‚Unmögliches Leben‘. Da demonstriere ich, wie – insbesondere mit dem Internet – die Realität abhandenkommt: Die Masse der Dokumente verdeckt mehr als sie zeigt.“
Was 1972 auf der documenta 5 mit 180 Fotos aus dem Album der völlig unbekannten „Familie D.“ begann, hat mittlerweile das eigene Leben des Künstlers erfasst – und ist das Gegenteil einer Selbstdarstellung:
„Mein Traum ist, dass jeder, der mein Werk anschaut, sich sagt: ‚Das bin ja ich – wie kann er das wissen, warum kennt er meine Geschichte?‘ Das ist wie bei Proust, der schreibt nicht über sich, sondern über jeden von uns. Wir alle waren einmal eifersüchtig, haben auf unsere Mutter gewartet – und erinnern uns beständig daran.“
Als Boltanski das erste Mal in Japan ausstellte, waren die Besucher des Lobes voll: Kaum ein westlicher Künstler habe sich so in ihre Kultur eingefühlt. Ob er einen japanischen Großvater habe, wurde der französische Gast immer wieder gefragt:
„Wie man seit Langem weiß, wird ein Gemälde erst von dem vollendet, der es betrachtet. Und in meinem Fall bin ich glücklich, dass jeder eine andere Antwort findet auf das, was ich zeige. Für diese Art kollektiver Werke braucht es eine ganz präzise Unschärfe – denn sie müssen für jeden unterschiedlich deutlich sein.“.
Boltanski plädiert für eine Kunst der verschiedenen Lesarten, aber das bedeutet kein Ausweichen vor politischen oder ästhetischen Debatten:
„Heute bestimmt über den Kunstmarkt das Geld, nicht mehr der Geist. Wenn ich kurzlebige, kaum verkäufliche Werke schaffe oder sie im Nachhinein zerstöre, ist das eine Reaktion auf diesen Verrat an Künstler und Intellektuellen.“
Zwischen Geschichte, aktueller Politik und dem eigenen Leben läßt Boltanski Blick und Gedanken pendeln. Erzählt selbst von einem Spaziergang durch den Wald, bei dem er vermutlich mit einigen Schritten abseits des Weges Hunderte Insekten zermalmt habe, ohne böse Absicht. So könne er sich Gott vorstellen, als jemanden, der Leben nimmt, ohne sonderliches Interesse am einzelnen Menschen. Und ist damit wieder bei seiner Kunst:
„Meine nächste wichtige Ausstellung, der französische Biennale-Pavillon, dreht sich unter dem Titel ‚Chance‘ um das Schicksal. Wer religiös ist, glaubt, dass etwas geschrieben steht, durch wen auch immer. Ich denke, es gibt nichts weiter als den Zufall.“