Im Kriegsmuseum
In Milwaukee, am Ufer des Michigansees, liegt das Kriegsmuseum. Es verwaltet die Toten; das tue ich auch, denn ich bin Militärhistoriker. Letztes Jahr habe ich den schneeweißen, langgestreckten Bau besucht, einem Kreuzer ähnlich, der mit seiner Geistercrew hier ankert; bald geht's weiter, neue Burschen kommen an Deck, und wissen kaum wohin. Das andere Seeufer liegt im Dunst, der Feind hockt im Irgendwo.
Die Architektur atmet kein Pathos, kein düsteres europäisches Beinhaus, "ich hatt' einen Kameraden" und der "marschiert im Geiste weiter mit". Der elegant geschrägte Umriss führt den Besucher ins Blaue wie ein geschwelltes Segel. Es hat zwar eine Richtung, doch die, aus welcher der Wind kommt. Hier reckt nicht Herrmann der Cherusker sein Schwert gen Westen, im Waldesdickicht auf den Erbfeind wartend. Seit 2000 Jahren kommen Deutschlands Feinde aus zwei Horizonten, von rechts oder links. Jenseits davon endet der Horizont. Oben sind Küsten, unten die Alpen. Die Boys vom War Museum Milwaukee sind per Schiff in den Krieg gezogen, immer ein paartausend Meilen, bis man auf einen Feind traf. Kein ererbter, immerwährender Nachbar. Feind ist, wer gestern noch Freund, ein Exot, ein Niemand war.
Vietnam liegt von Washington einen halben Erdball entfernt. Im Zweiten Weltkrieg war es befreundete Nation. Präsident Roosevelt ging 1941 auf Kriegskurs, als Japan Hanoi belästigte. 25 Jahre später verteidigten Gis am Mekong den freien Westen, so glaubten sie oder glaubten es halb, jedenfalls wurde es ihnen so verkündet, von J. F. Kennedy, von Henry Kissinger, auch von Willy Brandt. Wer will das mit 20 überprüfen. Auf dem Schlachtfeld wird das Leben der Jüngeren verbraucht, die am wenigsten davon verstehen und gehabt haben. Die Entscheidungen fällen immer die Jahrgänge, die zum Gefecht nicht mehr taugen und mit anderer Leben sachlicher umgehen.
Der zweite Stock des Kriegsmuseums reiht die Plakate aneinander, die einst mobilmachten. Die von 1917 betrafen meinen Großvater. Er war ein Hunne, trug eine Pickelhaube und vergewaltigte und verspeiste belgische Schulkinder. 20 Jahre später beurteilte der US-Kongress dies als Blödsinn. Die jungen Amerikaner seien an der Maas gestorben, weil die USA den Weltkrieg solange als Rüstungsmarkt bedient hätten, bis man zum Eingreifen verführt war. Die Stammkunden durften nicht verlieren; schon um die Rechnung zu begleichen.
Dazu schweigt ein Kriegsmuseum natürlich, auch dazu, dass im zweiten Hunnenkrieg sämtliche Seiten die Schulkinder massakrierten.
Kurz nach Hitlers Ende hielt ganz Amerika den Ex-Alliierten Stalin für den gefährlichsten Hunnen. Das Scheusal zu bändigen, wurde zehn Jahre später mit Hitlergenerälen und Nazi-Industriellen, die NATO-Allianz geschmiedet. Kurz, Freundschaft und Feindschaft wechseln ständig die Rollen, woraus die Deutschen entnommen haben, dass Feindschaft gänzlich entbehrt, wer als Samariter die Welt bereist. Bekehrte Militaristen, scheuen wir alles Militär und das ist, vom Standpunkt des War Museum, der militärische Erfolg schlechthin. Vielleicht sind auch Talibane heilbar, doch wenn, dann nur mit der gleich bitteren Medizin. Die Wehrmacht hat auch nicht vor Wolldecken kapituliert. Doch alle Vergleiche hinken. Welcher Krieg der richtige war, enthüllt sich immer erst ferneren Geschlechtern. Wird er verloren, ist er sogleich der falsche.
Die 20-Jährigen geben sich unbekannten Zwecken preis. Sieger ist gewisslich, wer sein Leben verteidigt. Die fallen, sind vom Tod besiegt. Das Kriegsmuseum ehrt den Sturz in das Ungewisse. Das Schlachtfeld bemannen Ahnungslose, ohne Gewähr, ob sie dort richtig sind und je gewinnen. Wer deshalb die Schlacht meidet, ist keineswegs heller. Kinder in Angst halten sich gern die Hände vor Augen, damit sie unsichtbar sind. Sie sind aber nur blind. Die Abmarschierten auch, begeben sich jedoch in die Gefahr, um nicht darin umzukommen. Die Sicherheitsfrage löst sich nie durch Fragen, sondern durch Anpacken.
So kettet man sich an die Utensile und Gebräuche, die nun helfen sollen. Die Fahnen, Fahrzeuge und Waffen, die Rangabzeichen, Tapferkeitsmedaillen und vor allem die Einheit. Man stirbt allein, überlebt aber nur als die soundsovielte Kompanie des soundsovielten Bataillons. Alles darüber, die Division, die Armee ist nicht mehr erfahrbar. Das Bataillon kennt sich und kommt durch; bis auf seine Ausfälle. Die Gefallenen sind die Kostenseite, sie zahlen für die Durchgekommenen. Leben kostet Leben.
Davon erzählt das War Museum. Es hortet die todspeienden Waffen, nun lahme Krücken, die muffigen Fahnen, wie gerupftes Gefieder. Die komischen Kappen, Schulterstücke und Plaketten, die einmal den eisernen Befehl verbürgten, die verrückten Plakate mit der Fratze des Feinds, welche die Gerechtigkeit der eigenen Sache beweist. Mit dem Schwindel geht's zur Front, etwas Besseres ist nicht erfunden.
All das ergäbe einen drolligen Krempelladen, wären die Inschriften nicht, bronziert in schwarzen Marmor geritzt, Namen nebst Lebensdaten. Milwaukee ist die Heimat vieler Deutschstämmiger und so liest man reihenweise Schröders, Müllers und Neumanns unter den Verlusten. Ihre Jahre spannten sich nicht über die 25, die anderen sind gestohlen. Die Gravuren aus dem Weltkrieg sind stumpf in den Stein versunken, vorbei, nun bleiben sie ewig jung. Die Namen aus Korea verglimmen, die aus Vietnam tragen ein ruhiges Altgold. Gleißend im Sonnenlicht prangen die Daten 2005, 2006. Darunter ist noch Platz; jede Generation entrichtet den Blutzoll. Der einsame Kreuzer am Michigansee gibt dem keinen Sinn. Der Krieg ist eine sinnlose Tatsache.
Jörg Friedrich, 1944 in Kitzbühel/Tirol geboren und in Essen aufgewachsen, war zunächst Schauspieler, Regisseur und Drehbuch-Autor, wandte sich dann in den Zeiten der Studentenbewegung der außerparlamentarischen Opposition zunächst zu, dann wieder ab und ließ sich in Berlin als Sachbuchautor und Journalist nieder. Er arbeitete mit an der dreibändigen "Enzyklopädie des Holocaust" der Gedenkstätte Jad Vashem und ist Ehrendoktor der Juristischen Fakultät der Universität Amsterdam. Zu seinen Veröffentlichungen zählen "Freispruch für die Nazi-Justiz", "Die kalte Amnestie - NS-Täter in der Bundesrepublik" und "Das Gesetz des Krieges - Das Deutsche Heer in russland". Für Aufsehen sorgen seine Bücher über den Bombenkrieg: "Der Brand" und "Brandstätten". Zuletzt erschien "Yalu – an den Ufern des dritten Weltkriegs".
Vietnam liegt von Washington einen halben Erdball entfernt. Im Zweiten Weltkrieg war es befreundete Nation. Präsident Roosevelt ging 1941 auf Kriegskurs, als Japan Hanoi belästigte. 25 Jahre später verteidigten Gis am Mekong den freien Westen, so glaubten sie oder glaubten es halb, jedenfalls wurde es ihnen so verkündet, von J. F. Kennedy, von Henry Kissinger, auch von Willy Brandt. Wer will das mit 20 überprüfen. Auf dem Schlachtfeld wird das Leben der Jüngeren verbraucht, die am wenigsten davon verstehen und gehabt haben. Die Entscheidungen fällen immer die Jahrgänge, die zum Gefecht nicht mehr taugen und mit anderer Leben sachlicher umgehen.
Der zweite Stock des Kriegsmuseums reiht die Plakate aneinander, die einst mobilmachten. Die von 1917 betrafen meinen Großvater. Er war ein Hunne, trug eine Pickelhaube und vergewaltigte und verspeiste belgische Schulkinder. 20 Jahre später beurteilte der US-Kongress dies als Blödsinn. Die jungen Amerikaner seien an der Maas gestorben, weil die USA den Weltkrieg solange als Rüstungsmarkt bedient hätten, bis man zum Eingreifen verführt war. Die Stammkunden durften nicht verlieren; schon um die Rechnung zu begleichen.
Dazu schweigt ein Kriegsmuseum natürlich, auch dazu, dass im zweiten Hunnenkrieg sämtliche Seiten die Schulkinder massakrierten.
Kurz nach Hitlers Ende hielt ganz Amerika den Ex-Alliierten Stalin für den gefährlichsten Hunnen. Das Scheusal zu bändigen, wurde zehn Jahre später mit Hitlergenerälen und Nazi-Industriellen, die NATO-Allianz geschmiedet. Kurz, Freundschaft und Feindschaft wechseln ständig die Rollen, woraus die Deutschen entnommen haben, dass Feindschaft gänzlich entbehrt, wer als Samariter die Welt bereist. Bekehrte Militaristen, scheuen wir alles Militär und das ist, vom Standpunkt des War Museum, der militärische Erfolg schlechthin. Vielleicht sind auch Talibane heilbar, doch wenn, dann nur mit der gleich bitteren Medizin. Die Wehrmacht hat auch nicht vor Wolldecken kapituliert. Doch alle Vergleiche hinken. Welcher Krieg der richtige war, enthüllt sich immer erst ferneren Geschlechtern. Wird er verloren, ist er sogleich der falsche.
Die 20-Jährigen geben sich unbekannten Zwecken preis. Sieger ist gewisslich, wer sein Leben verteidigt. Die fallen, sind vom Tod besiegt. Das Kriegsmuseum ehrt den Sturz in das Ungewisse. Das Schlachtfeld bemannen Ahnungslose, ohne Gewähr, ob sie dort richtig sind und je gewinnen. Wer deshalb die Schlacht meidet, ist keineswegs heller. Kinder in Angst halten sich gern die Hände vor Augen, damit sie unsichtbar sind. Sie sind aber nur blind. Die Abmarschierten auch, begeben sich jedoch in die Gefahr, um nicht darin umzukommen. Die Sicherheitsfrage löst sich nie durch Fragen, sondern durch Anpacken.
So kettet man sich an die Utensile und Gebräuche, die nun helfen sollen. Die Fahnen, Fahrzeuge und Waffen, die Rangabzeichen, Tapferkeitsmedaillen und vor allem die Einheit. Man stirbt allein, überlebt aber nur als die soundsovielte Kompanie des soundsovielten Bataillons. Alles darüber, die Division, die Armee ist nicht mehr erfahrbar. Das Bataillon kennt sich und kommt durch; bis auf seine Ausfälle. Die Gefallenen sind die Kostenseite, sie zahlen für die Durchgekommenen. Leben kostet Leben.
Davon erzählt das War Museum. Es hortet die todspeienden Waffen, nun lahme Krücken, die muffigen Fahnen, wie gerupftes Gefieder. Die komischen Kappen, Schulterstücke und Plaketten, die einmal den eisernen Befehl verbürgten, die verrückten Plakate mit der Fratze des Feinds, welche die Gerechtigkeit der eigenen Sache beweist. Mit dem Schwindel geht's zur Front, etwas Besseres ist nicht erfunden.
All das ergäbe einen drolligen Krempelladen, wären die Inschriften nicht, bronziert in schwarzen Marmor geritzt, Namen nebst Lebensdaten. Milwaukee ist die Heimat vieler Deutschstämmiger und so liest man reihenweise Schröders, Müllers und Neumanns unter den Verlusten. Ihre Jahre spannten sich nicht über die 25, die anderen sind gestohlen. Die Gravuren aus dem Weltkrieg sind stumpf in den Stein versunken, vorbei, nun bleiben sie ewig jung. Die Namen aus Korea verglimmen, die aus Vietnam tragen ein ruhiges Altgold. Gleißend im Sonnenlicht prangen die Daten 2005, 2006. Darunter ist noch Platz; jede Generation entrichtet den Blutzoll. Der einsame Kreuzer am Michigansee gibt dem keinen Sinn. Der Krieg ist eine sinnlose Tatsache.
Jörg Friedrich, 1944 in Kitzbühel/Tirol geboren und in Essen aufgewachsen, war zunächst Schauspieler, Regisseur und Drehbuch-Autor, wandte sich dann in den Zeiten der Studentenbewegung der außerparlamentarischen Opposition zunächst zu, dann wieder ab und ließ sich in Berlin als Sachbuchautor und Journalist nieder. Er arbeitete mit an der dreibändigen "Enzyklopädie des Holocaust" der Gedenkstätte Jad Vashem und ist Ehrendoktor der Juristischen Fakultät der Universität Amsterdam. Zu seinen Veröffentlichungen zählen "Freispruch für die Nazi-Justiz", "Die kalte Amnestie - NS-Täter in der Bundesrepublik" und "Das Gesetz des Krieges - Das Deutsche Heer in russland". Für Aufsehen sorgen seine Bücher über den Bombenkrieg: "Der Brand" und "Brandstätten". Zuletzt erschien "Yalu – an den Ufern des dritten Weltkriegs".