Im Kinderglück

Hals über Kopf stürzt sich ein alternder Schriftsteller mitten hinein in die närrische Liebe zu einem kleinen Menschenwesen. "Udoka" heißt es, kommt ganz am Anfang des Buchs zur Welt und ist die Tochter nigerianischer Eltern, die in Wien Asyl gefunden haben, wo der Autor und seine Frau leben.
"Reise zum Mittelpunkt des Herzens" hieß der letzte Roman von Ludwig Fels, der den einstmals eher derben, an Alan Ginsberg und Jack Kerouac geschulten Autor in einem neuen Licht zeigte. Er erzählte von einem todkranken Mann, der an einem hellen Sommertag, wie er schöner nicht sein könnte, aus dem Krankenhaus entlassen wird und sich noch einmal dem Leben und der Liebe hingibt. Mit seinem neuen Buch verfolgt der 1946 im fränkischen Treuchtlingen geborene Autor den eingeschlagenen Weg nun weiter, aber gewissermaßen vom anderen Ende her.

Dieses Mal ist es nicht der Tod, der das Herz sperrangelweit öffnet, sondern dessen Gegenteil, die Geburt. Hals über Kopf stürzt sich ein alternder Schriftsteller mitten hinein in die närrische Liebe zu einem kleinen Menschenwesen. "Udoka" heißt es, kommt ganz am Anfang des Buchs zur Welt und ist die Tochter nigerianischer Eltern, die in Wien Asyl gefunden haben, wo der Schriftsteller und seine Frau seit vielen Jahren leben.

Ludwig Fels hat die Form eines fingierten Tagebuchs gewählt, um seiner Geschichte um die dunkelhäutige Lichtgestalt Udoka Präsenz und Dringlichkeit zu geben. Es wirkt anstrengungslos und ist doch ein Kunststück, wie er das Porträt eines ganz der Entdeckung des Neuen zugewandten Kindes mit dem Porträt des Schriftstellers als alternder Mann verknüpft. Beinahe jeden Tag bittet er Udokas Mutter, die kleine "Prinzessin" im Kinderwagen spazieren fahren zu dürfen. Er erfreut sich an ihrem Gesicht, an ihrem Lachen, Glucksen, Brabbeln, und er ist glücklich, dass sie so an die frische Luft kommt. Denn ihre Mutter führt einen kleinen Shop für nigerianische Waren, wo sich ihre Landsleute nicht nur zum Einkaufen treffen, sondern vor allem, um zu rauchen und zu trinken.

Es ist nicht ohne Komik, wenn ein Autor, der einst als rauchender Trunkenbold galt, sein Alter Ego mit einem Ersatz-Enkelkind zur Frischluftzufuhr durch die Parks von Wien schickt. Aber diese Komik ist wie so oft die Schwester der Tragik. Das Buch mit dem lautmalerisch klingenden Namen eines Belgrader Stadtteils im Titel - er steht für Wien als Zufluchtsort für Flüchtlinge - beschreibt nicht nur den harten Alltag der Asylanten, sondern ebenso eindrucksvoll, was es heißt, lebenslang ein Schriftsteller zu sein.

Nur wenn er etwas findet, das ihm nahegeht, kann er überhaupt noch schreiben und den Leser berühren. Und nur dann verkauft sich sein Buch - in seinen kühnsten Träumen so oft, dass er ein Haus bauen kann, in dem alle Menschen Platz finden, die er liebt, allen voran seine Frau und die kleine Udoka. Aber wer am Schreibtisch hockt, verpasst das Leben, und so beißt sich die Katze in den Schwanz. Wie ein Inbild verpasster Lebenschancen geistert der Fötus durch den Roman, den der Schriftsteller und seine Frau in ihrer Jugend abgetrieben haben und "Simonetta" nannten.

"Die Parks von Palilula" ist Trauer- und Freudengesang in einem. "Willkommen!", ruft er einem kleinen Mädchen zu, und das ist auch ein Akt nachgetragener Liebe, für die es im Leben zu spät ist, nicht aber in der Literatur.

Besprochen von Meike Feßmann

Ludwig Fels: Die Parks von Palilula
Verlag Jung und Jung, Salzburg 2009
256 Seiten, 22 Euro