Im Gespräch mit Monika Hauser

"EU sollte Nobelpreis zurückgeben"

Porträtfoto von Monika Hauser, Gynäkologin und Gründerin der Hilfsorganisation "medica mondiale"
Monika Hauser, Gynäkologin und Gründerin der Hilfsorganisation "medica mondiale" © dpa / picture alliance / Horst Galuschka
Monika Hauser im Gespräch mit Matthias Hanselmann · 28.11.2015
Um Frauen in Krisengebieten zu schützen, gründete die Ärztin Monika Hauser die Frauenrechtsorganisation "medica mondiale". Angesichts der dramatischen Situation zum Beispiel auf der Insel Lesbos müsse Europa den Flüchtlingen helfen, sei aber gar nicht präsent. Das sei ein Armutszeugnis für die EU.
Noch nie waren so viele Menschen weltweit auf der Flucht wie derzeit – weit über 50 Millionen. Mehr als die Hälfte von ihnen sind Frauen und Mädchen. Sie fliehen vor Krieg, Unterdrückung und Verfolgung – in ihren Ländern, aber oft auch in ihren Familien. Auch auf der Flucht sind sie weiterhin bedroht.

"Die Politik muss erkennen, dass Frauen auf der Flucht besser geschützt werden müssen und nach ihrer Ankunft besonderer Unterstützung bedürfen", sagt die Ärztin Monika Hauser.
Angesichts der dramatischen Flüchtlingssituation auf der griechischen Insel Lesbos und mit Blick auf die dortigen freiwilligen Flüchtlingshilfe-Initiativen fordert Monika Hauser im Deutschlandradio Kultur, der EU den Friedensnobelpreis abzuerkennen:
"Es ist nicht zu verstehen, dass die EU, die ja vor kurzem den Friedensnobelpreis bekommen hat, hier überhaupt nicht präsent ist. Ich finde, diese Initiativen müssen den Friedensnobelpreis von der EU bekommen. Dieser Preis müsste abgegeben werden, weil sich die EU dessen nicht würdig erwiesen hat." "Es ist ein Armutszeugnis für ganz Europa, für uns alle beschämend, dass sich die Menschen überhaupt auf diese gefährliche Überfahrt begeben müssen."
Gleichzeitig warnt Hauser davor, in der Debatte um die Flüchtlingspolitik "rassistischen Thesen auf den Leim zu gehen":
"Wir haben auch in der deutschen Gesellschaft einen sehr hohen Prozentsatz an sexualisierter Gewalt. Jede zweite bis dritte deutsche Frau, deutsches Mädchen hat sexualisierte Gewalt im Lauf ihres Lebens erlebt. Und die Zahl, und das ist besonders beschämend, der Täter, die verurteilt werden ist weit unter zehn Prozent. Das heißt also immer noch: Auch in der deutschen Gesellschaft ein großes Tabu-Thema mit sehr viel Scham und sehr viel Schweigen verbunden. (...) Also meine Warnung ganz klar, hier nicht rassistischen Thesen auf den Leim zu gehen, nicht immer nur mit dem Finger nach draußen zu zeigen, sondern auch zu schauen, was ist in unserer eigenen Gesellschaft zu tun."
Mit Blick auf den aktuell geplanten militärischen Einsatz der Bundeswehr im Kampf gegen den IS in Syrien sagt Hauser:
"Ich finde, zu glauben, dass man jetzt mit Bombenangriffen den IS bekämpfen könne oder andere gewalttätige Aggressoren bekämpfen könne, das ist naiv. Wir müssen strukturelle Probleme angehen, Ungerechtigkeiten, Diskriminierungen angehen."
Kaum jemand kennt die Situation von Frauen in Krisengebieten besser, als die Gründerin der Frauenrechtsorganisation "medica mondiale". Als sie 1992 von den Massenvergewaltigungen im damaligen Jugoslawienkrieg erfuhr, reiste sie nach Bosnien, um den Frauen zu helfen. 1993 gründete sie dort ihre erste Beratungsstelle "medica".
Längst ist daraus eine weltweit agierende Organisation geworden. "Medica mondiale" setzt sich für traumatisierte Frauen und Mädchen in vielen Kriegs- und Krisengebieten ein, unter anderem in Afghanistan und in Liberia, Uganda, Ruanda; seit 2015 auch im Nordirak. Neben gynäkologischer Versorgung, psychosozialer und rechtlicher Unterstützung bietet die Frauenrechtsorganisation Programme zur Existenzsicherung und leistet politische Menschenrechtsarbeit.
Für ihr unermüdliches Engagement hat Monika Hauser viele Preise bekommen, darunter den Alternativen Nobelpreis, 2001 wurde sie zur "Frau des Jahres" gewählt. Als man ihr das Bundesverdienstkreuz verleihen wollte, lehnte sie allerdings ab. Sie lasse sich nicht als "Alibi" missbrauchen.
"Ohne die Beteiligung von Frauen kann es keinen langfristigen Frieden geben"
"Medica mondiale" engagiert sich auch in Deutschland; auch hier leben noch jene Frauen, die im Zweiten Weltkrieg vergewaltigt wurden und nicht darüber sprechen konnten. Auch hier gebe es ein "transgenerationelles Trauma", das bis heute wirke. Ihr Motiv ist bis heute die Wut über die Ungerechtigkeit.
"Ich will einfach, dass Frauen Gerechtigkeit finden, dass wir Frauen stark machen. Wir sind Frauenstarkmacherinnen! Und das bedingt, dass man Wahrheiten laut und provokativ sagt."
Das tut sie nach wie vor leidenschaftlich, auch in ihren Kommentaren zur aktuellen Flüchtlingsdebatte:
"Mit Sturmpanzern kann man das Elend dieser Welt nicht aufhalten, ganz im Gegenteil – mit ihnen wird es produziert. Was wir brauchen, sind politische, soziale, wirtschaftliche und konfliktpräventive Interventionen, die wirtschaftliche Entwicklung, nachhaltige Staatsstrukturen, gute Regierungsführung und Beteiligung von Frauen einschließen. Ohne die Beteiligung von Frauen kann es keinen langfristigen Frieden geben. Sie ist auch das notwendige Gegenwicht zur extremistischen Gewalt, die nun bei uns angekommen ist."

Ihre Überzeugung lautet: "Wenn die Welt für Frauen gerechter wäre, wäre sie gerechter für alle!"

Wie kann die Welt für Frauen gerechter werden?Darüber diskutiert Matthias Hanselmann am Samstag von 9.07 Uhr bis 11 Uhr mit Monika Hauser. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 2254 2254, per E-Mail unter gespraech@deutschlandradiokultur.de sowie auf Facebook und Twitter.
Mehr Informationen über "medica mondiale" finden Sie auf der Homepage der Frauenrechtsorganisation.
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