Im Gesicht von Ganymed

Von Ulrike Gondorf |
Immer wieder malte sich Hans von Marées auch selbst. Sogar in seinem letzten Gemälde: Zeus entführt Ganymed, der die jugendlichen Züge des Malers trägt. Als der Künstler (1837 bis 1887) in Rom tot zusammenbricht, wird er von Bekannten in sein Atelier getragen. Dort steht auf der Staffelei: eben dieses Gemälde. Das Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum widmet dem Künstler nun eine Ausstellung.
Sein Blick trifft einen immer wieder: skeptisch-selbstbewusst aus den hellen Augen des 18-jährigen Studenten in Berlin; ironisch lächelnd schaut der 25-jährige junge Maler in München seinem älteren Kollegen und Mentor Lenbach über die Schulter. Ernst und entschlossen blickt der Mittdreißiger den Betrachter geradeaus an. Eine Kälte umgibt ihn, die in seltsamem Kontrast steht zu dem sommerlichen Strohhut, der seine Stirn verschattet, und der lieblichen mediterranen Landschaft, die ihn umgibt.

Das rötliche, schon in jungen Jahren schüttere Haar, das markante schmale Gesicht mit dem modisch gestutzten Bart, die ausgesuchte Eleganz der Kleidung prägen sich dem Betrachter ein. Denn Hans von Marées hat immer wieder die Auseinandersetzung mit dem Selbstportrait gesucht. Wie ein roter Faden zieht sie sich durch die Wuppertaler Ausstellung.

"Marées war ein sehr selbstbewusster Künstler, der sich zu den Großen, nicht nur seiner Zeit, sondern der Welt gerechnet hat. Und deswegen war er interessiert, sein eigenes Selbstportrait immer wieder zu befragen, aber auch ein gutes Portrait von sich zu überliefern."

"Aber er hat sich auch in den Bildern immer wieder portraitiert. Zum Beispiel in seinem letzten Bild, dem berühmten Ganymed. Da klammert er sich geradezu an den Zeus, der ihn mitnehmen soll in den Olymp, zu den Unsterblichen. Das ist interessant, wie er sich sieht und in die Bilder in einer wichtigen Rolle hineinmalt."

Dr. Gerhard Finckh, Direktor des von der Heydt-Museums, nennt andere Selbstbilder, die das Sendungsbewusstsein dieses Künstlers unterstreichen: der Ritter Sankt Georg, der den Drachen tötet, der Cherubim, der das Paradies hütet. Und als Hans von Marées mit 50 Jahren auf einer Straße in Rom tot zusammengebrochen war und von Bekannten in sein Atelier getragen wurde, da stand auf der Staffelei eben jenes letzte Bild: Zeus in Gestalt eines Adlers entführt den Knaben Ganymed, der die jugendlichen Züge des Malers trägt. In der Wuppertaler Ausstellung ist eine Entwurfsskizze dazu zu sehen.

Unsterblichkeit als Programm. Mareés hat aber – abgesehen von Arbeiten für die Mäzene, die ihn lebenslang unterstützten – nur ein einziges Bild verkauft, nur einen großen öffentlichen Auftrag erhalten: den Freskenzyklus für die Deutsche Zoologische Station in Neapel. In Wuppertal ist er umfangreich dokumentiert: vom ersten Skizzenheft über farbige, großformatige Entwürfe bis zu Werken aus dem Umkreis, die Themen dieses Frieses über die Arbeit der Fischer und das Leben am Meer aufgreifen.

Zu Lebzeiten war Marées also wenig bekannt. Eine erste Ausstellung 1904 in Wuppertal erregte Skandal wegen der mythologischen Nacktheit, vielleicht auch wegen der homoerotisch getönten Stimmung vieler Gemälde, die monumental aufgefasste Figuren in einer arkadischen Landschaft zeigen.

Klar konturiert und schnörkellos wie die Fresken von Pompeji, mit denen sie auch ihre altmeisterlich-schwere Farbigkeit verbindet. Und dann, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ist man plötzlich geneigt, dem Maler den Rang zuzusprechen, den er immer für sich selbst immer reklamiert hat.

"Er ist ein sehr Großer, sehr Bekannter gewesen. 1957 hat Benno Reifenberg über ihn gesagt, der bedeutendste Künstler des 19. Jahrhunderts. Jetzt ist er aber doch ein großer Unbekannter geworden in den letzten 50 Jahren. Es hat ja zu Marées fast keine Ausstellungen gegeben und so ist er der jüngeren Generation praktisch unbekannt."

Unsterblichkeit scheint also auch eine Frage der Zeit zu sein. Und das Spannendste an der Wuppertaler Ausstellung ist, dieser Frage nachzuspüren.

Nur wenige der Bilder bieten so viel visuellen Reiz und malerischen Glanz, dass man einfach ins Anschauen versinken könnte. Zumindest stellt sich das in ihrem heutigen Erhaltungszustand so dar. Marées experimentierte mit Bitumen als Malmittel und einer eigenwilligen Mischung der Öl- und Temperatechnik, die die Farbe reißen, nachdunkeln, stumpf werden und abblättern lässt.

Die Schau-Lust steht also nicht im Vordergrund. Was man mit wachsender Faszination verfolgt in Wuppertal, ist, wie dieser Künstler das 19. Jahrhundert in all seiner Widersprüchlichkeit auf den Punkt bringt.

Bildungsbürgerliche Rückwärtsgewandtheit und mythologische Weltflucht, heroische Stilisierung des Individuums und Verlust des Zusammenhangs zwischen Mensch und Natur – solche antimodernen Affekte trägt Marées pathetisch zur Schau. Und weist dabei in der Art der Darstellung einen ganz eigenen, aufregenden Weg ins 20. Jahrhundert.

"Er hat versucht, mit Proportionen zu spielen, es ergeben sich teilweise unzusammenhängende Bildräume. Das sind Figurengruppen, die in sich stimmig sind, aber sie sitzen nicht richtig im Raum, das ist ein sehr moderner Zug an ihm."

Wie surreale Montagen muten manche dieser Bilder an: grell beleuchtete Figurengruppen vor einer flächig aufgefassten, diffusen Landschaft, über-konkrete, wie aus Marmor gemeißelte Körper vor fast abstrakten Hintergründen. Völlig vorbei am impressionistischen Mainstream seiner Zeit laufen diese Bilder, aber sie weisen weit voraus, auf den Expressionismus, auf Beckmann, auf Picasso.

"Er war ein Maler für andere Maler. Er hat vielleicht das Publikum gar nicht so sehr beeindruckt, aber andere Künstler haben von ihm und seiner Wahrnehmung der Wirklichkeit viel gelernt. Es war für ihn wichtig, nicht einfach die Natur nachzumalen. Sondern es ging darum, wie kann ich das, was ich sehe, so verändern, dass es eine neue Form kriegt, analog zur Natur, aber doch Kunst."

Was Museumsdirektor Gerhard Finckh von dieser ersten großen Marées-Ausstellung erwartet, dürfte sich erfüllen. Wie auch der umfangreiche Katalog belegt, verkörpert dieser Maler, wie kaum ein anderer, die ganze Ambivalenz seiner Epoche und bietet Fragen und Denkanstöße, die noch lange nicht erschöpft sind.

"Wenn wir diesen wichtigen Künstler des 19. Jahrhunderts wieder ins Bewusstsein heben können und ihn einem größeren Publikum zugänglich machen können, ist viel erreicht. Er wird nach meiner Wahrnehmung nicht mehr den Stellenwert erreichen, den er um 1957 hatte. Aber er ist auch einer der wichtigen Künstler fürs 20. Jahrhundert gewesen."

Service:
Die Ausstellung mit Werken von Hans von Marées ist vom 08.06.2008 bis 14.09.2008
im Von der Heydt-Museum Wuppertal zu sehen.