Im fremden Heimatland
Man kann dem aktuellen Komitee zur Verleihung des Literatur-Nobelpreises manches vorwerfen, doch weder fehlenden Mut zu unpopulären Entscheidungen noch mangelndes Bewusstsein von der engen Bindung der Literatur an die Zeitgeschichte.
Die Wahl von Herta Müller hat in ihrem Heimatland – ein Begriff, der für die Rumänien-Deutsche von besonderer Brisanz ist – erstaunte Reaktionen hervorgerufen, die von dem Eingeständnis eines Fernsehmoderatoren über seine Unkenntnis bis zum Statement unseres Nobel-Preisträgers Günter Grass reichen, in dem er die einfachsten Regeln kollegialen Anstandes vergisst und gesteht, dass er sich lieber Amos Oz als Preisträger gewünscht hätte.
Das ist nicht weiter verwunderlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Herta Müller zu einer Gruppe von Menschen gehört, die es in unserer Gesellschaft, und speziell in der literarischen, nie besonders leicht hatte. Sie gehört zu den Flüchtlingen, und zwar zu den zahlreichen deutscher Zunge, die aus dem Osten des Landes oder Kontinentes, als er noch Teil des sogenannten "Sozialistischen Lagers" war, in die Bundesrepublik kamen. Mitte der 80er-Jahre konnte man im "Literarischen Colloquium" oder vergleichbaren Häusern den Vertretern der letzten Generation begegnen, die soeben noch den Sprung aus dem Reich Ceausescus geschafft hatten: neben Herta Müller Richard Wagner, Werner Söllner, Ernest Wichner oder dem begnadeten Lyriker Ralf Bossert; dem allerdings nur einmal, denn kurz darauf stürzte er sich aus dem Fenster eines Aussiedlerheimes. Sie alle waren gezeichnet von den Repressionen, denen sie als Angehörige einer ethnischen und politischen Minderheit in Rumänien ausgesetzt waren, von den Strapazen der Übersiedlung und der Neuorientierung in einer fremden Welt. Doch so tief ihre Verwirrung war, so tief war auch der Ernst, mit dem sie daran gingen, sich in dieser Welt zu behaupten, ohne ihre Wurzeln zu verleugnen. Indem man Herta Müller für ein Werk auszeichnet, in dem sich Poesie und Zeitzeugenschaft zu einer glaubhaften Einheit wie selten verschwistern, ehrt man auch ihren Lebensweg und den ihrer Landsleute.
Das ist umso bedeutsamer, als ihnen das im eigenen Land so selten widerfuhr wie anderen Flüchtlingen aus Ost nach West. Das deutsche Pendant zum Nobelpreis, der nach einem jungen, im schweizerischen Exil an Typhus gestorbenen Dichter und Revolutionär benannte Büchner-Preis, machte um Emigranten, wenn ihre Popularität wie im Fall Biermann nicht gerade die Ausnahme von der Regel einforderte, bisher einen bemerkenswert großen Bogen. Weder Walter Kempowski noch Hans Joachim Schädlich, noch Jürgen Fuchs oder Herta Müller wurden dieses Preises für würdig befunden.
Die literarische Öffentlichkeit spiegelte damit nur die reservierte Haltung der Mehrheitsgesellschaft gegenüber den Flüchtlingen aus der DDR, Rumänien und anderen Ländern des Ostblocks. Wer von ihnen hatte sich nicht mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen, Wirtschaftsflüchtling zu sein, Verräter an linken Ideen, von Rachegelüsten beherrschter Reaktionär? Dabei hätte, spätestens mit dem Fall der Mauer, klar werden sollen, welcher Fundus an Erfahrungen mit ihnen in den Westen geflossen war. Sie, die beide Gesellschaftsformen kannten, die ihre Vereinigung an der eigenen Person durchlebt hatten, hätten jetzt gefragt sein müssen, sollte man meinen. Doch weit gefehlt: Ihre Stimmen wurden übertönt von den Klagen und Anklagen der Sesshaften zu beiden Seiten der ehemaligen Grenze, und ihnen blieb, wie zuvor, der Platz zwischen den Stühlen.
Dass jetzt eine dieser Stimmen mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, sollte Anlass sein, ihr und der ihrer Schicksalsgefährten auch im eigenen Lande genauer zuzuhören.
Das ist nicht weiter verwunderlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Herta Müller zu einer Gruppe von Menschen gehört, die es in unserer Gesellschaft, und speziell in der literarischen, nie besonders leicht hatte. Sie gehört zu den Flüchtlingen, und zwar zu den zahlreichen deutscher Zunge, die aus dem Osten des Landes oder Kontinentes, als er noch Teil des sogenannten "Sozialistischen Lagers" war, in die Bundesrepublik kamen. Mitte der 80er-Jahre konnte man im "Literarischen Colloquium" oder vergleichbaren Häusern den Vertretern der letzten Generation begegnen, die soeben noch den Sprung aus dem Reich Ceausescus geschafft hatten: neben Herta Müller Richard Wagner, Werner Söllner, Ernest Wichner oder dem begnadeten Lyriker Ralf Bossert; dem allerdings nur einmal, denn kurz darauf stürzte er sich aus dem Fenster eines Aussiedlerheimes. Sie alle waren gezeichnet von den Repressionen, denen sie als Angehörige einer ethnischen und politischen Minderheit in Rumänien ausgesetzt waren, von den Strapazen der Übersiedlung und der Neuorientierung in einer fremden Welt. Doch so tief ihre Verwirrung war, so tief war auch der Ernst, mit dem sie daran gingen, sich in dieser Welt zu behaupten, ohne ihre Wurzeln zu verleugnen. Indem man Herta Müller für ein Werk auszeichnet, in dem sich Poesie und Zeitzeugenschaft zu einer glaubhaften Einheit wie selten verschwistern, ehrt man auch ihren Lebensweg und den ihrer Landsleute.
Das ist umso bedeutsamer, als ihnen das im eigenen Land so selten widerfuhr wie anderen Flüchtlingen aus Ost nach West. Das deutsche Pendant zum Nobelpreis, der nach einem jungen, im schweizerischen Exil an Typhus gestorbenen Dichter und Revolutionär benannte Büchner-Preis, machte um Emigranten, wenn ihre Popularität wie im Fall Biermann nicht gerade die Ausnahme von der Regel einforderte, bisher einen bemerkenswert großen Bogen. Weder Walter Kempowski noch Hans Joachim Schädlich, noch Jürgen Fuchs oder Herta Müller wurden dieses Preises für würdig befunden.
Die literarische Öffentlichkeit spiegelte damit nur die reservierte Haltung der Mehrheitsgesellschaft gegenüber den Flüchtlingen aus der DDR, Rumänien und anderen Ländern des Ostblocks. Wer von ihnen hatte sich nicht mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen, Wirtschaftsflüchtling zu sein, Verräter an linken Ideen, von Rachegelüsten beherrschter Reaktionär? Dabei hätte, spätestens mit dem Fall der Mauer, klar werden sollen, welcher Fundus an Erfahrungen mit ihnen in den Westen geflossen war. Sie, die beide Gesellschaftsformen kannten, die ihre Vereinigung an der eigenen Person durchlebt hatten, hätten jetzt gefragt sein müssen, sollte man meinen. Doch weit gefehlt: Ihre Stimmen wurden übertönt von den Klagen und Anklagen der Sesshaften zu beiden Seiten der ehemaligen Grenze, und ihnen blieb, wie zuvor, der Platz zwischen den Stühlen.
Dass jetzt eine dieser Stimmen mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, sollte Anlass sein, ihr und der ihrer Schicksalsgefährten auch im eigenen Lande genauer zuzuhören.