"Im Draußen das Drinnen sehen"
Robert Frank gilt als ein Erneuerer der Fotografie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. "Ich versuche immer, im Draußen das Drinnen zu sehen", sagte er einmal. Nun ist eine Ausstellung des Fotografen mit dem Titel "Robert Frank - Storylines" im Fotomuseum Winterthur eröffnet worden.
Als Robert Frank 1947 die Schweiz verlässt und 23-jährig in den USA ankommt und zu Robert Frank wird, hat er bloß eine Fotomappe bei sich. Doch die beeindruckt den Art Director der renommierten Zeitschrift Harper's Bazar so sehr, dass er ihn sofort einstellt. Robert Frank reist anschließend zehn Jahre lang durch die USA, durch Südamerika und Europa. Und beginnt seinen eigenen, eigenwilligen Stil zu entwickeln. Urs Stahel, der Kurator der Schau:
"Das Typische dieser Bilder ist, dass es etwas Nebensächliches hat. Im Gegensatz zur Fotografie bis dahin, die versucht hat, vor das Teil, das Ding, das Objekt, das Subjekt hinzustehen - sei es ein Haus oder eine Person - und sie in der Regel relativ statisch abzubilden, ist Franks Fotografie sofort eine Fotografie, die in Bewegung ist. Die im Vorbeigehen gemacht wird. Die häufig den Leuten über den Rücken schaut. Also von hinten und nicht von vorne. So dass man sieht, wie er die Szene beobachtet."
Frank fotografiert die USA. Und zwar so, wie niemand vor ihm. Er zeigt die Kehrseite des "amerikanischen Traums". Die Verlorenheit inmitten der Massengesellschaft, die Anonmymität im Großstadtleben, die Leere in den Konsumexzessen der neuen Autos und Vorgärten, die Einsamkeit. Für einen Europäer damals sicherlich erschreckende Zustände.
Urs Stahel:"Ich denke, er war fasziniert davon und ist dieser Faszination gefolgt. Diesen Brüchen, die sich da auftun. Die sich da sehr, sehr viel offensichtlicher zeigen. Er hatte das Gefühl, "Da spüre ich sehr viel stärker, was Leben ist. Was Existenz ist." In der Schweiz wird die Existenz aus seiner Sicht quasi in ein Geschenkpapier eingepackt und man sieht eher das Geschenkpapier als die Existenz."
Als Robert Frank Mitte der 50er auf einer nebligen Route 66 einen Autounfall beobachtet, hat er nicht nur eine Story, sondern auch seinen Stil gefunden. Anstatt das Opfer und das Blut zu visieren, schaut Frank auf die Gesichter der Umherstehenden. Auf denen sich das Drama noch stärker findet. Seither hält Frank sprechende Oberflächen fest. Das sind Werbetafeln, die verloren in der Landschaft stehen und den Konsumtraum ad absurdum führen, das sind Hausfassaden, die ihre Einsamkeit geradezu herausschreien, und das sind vor allem die Oberflächen von Gesichtern. Wie dem Gesicht von Jackie Kennedy. Das Frank 1956 auf einem Parteikongress festhält, Jackie Kennedy schaut inmitten des Trubels gedankenverloren zur Seite, ein Pol der Ruhe und Einsicht ist sie inmitten des großen Parteizirkus, dem Auftraggeber, der Zeitschrift, "Esquire", waren solche Bilder zu kritisch, zu hart.
Urs Stahel: "Wir stehen mitten in der McCarthy-Ära. Robert Frank wurde auf seiner Reise eingesperrt als Kommunist. Auf seinen Reisen durch Amerika. In dieses Klima, in dieses Nachkriegsklima eines aufblühenden Konsumismus (die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts ist dieses gigantische Konsumismusteil, in dem wir heute noch leben und mit dem wir immer noch versuchen, umzugehen, was das also wirklich bedeutet...) kommt dieser Europäer nach Amerika, dagegen haben die Amerikaner nichts einzuwenden, Amerika ist ein Einwanderungsland, aber er assimiliert sich nicht so, dass er das alles gut findet, sondern er beginnt, den Finger auf wunde Stellen zu halten."
Ende der 50er Jahre dann erscheint die Arbeit, die Frank berühmt machen wird: "The Americans". Die Amerikabilder. Sie sind so kritisch, dass sich kein amerikanischer Verleger findet, der diese Bilder publiziert. Als "Les Americains" müssen sie 1958 in Paris erscheinen, bis sich im Jahr darauf, nach dem großen Erfolg, in den USA ein Verleger engagiert. Frank hat darin seinen Stil perfektioniert. Jedes Foto erzählt eine Geschichte, eine unbequeme zumeist, so unbequem, dass der Fotograf in den USA als "Vaterlandsverräter" und "perverser Lügner" beschimpft wurde. Franks Fotos sind schnappschussartige Szenen mit abgeschnittenen Köpfen, angeschnittenen Personen, sie verkehren Horizontale und Diagonale, haben Unschärfen und schwache Belichtungen. Amateurhaft. Und was darauf zu sehen war, gefiel auch nicht. Im Heimatland des Vorwärtsblicks und des Optimismus schaute ein Fotograf hinter die Kulissen und fand dort den teuren Preis des Fortschritts.
Urs Stahel: "Er fotografiert eigentlich mit großer Liebe die underdogs der Gesellschaft. Das heißt, sein Engagement steht ein für den reelllen Menschen. Den sucht er. Den will er haben. Den will er fotografieren. Und wenn der in irgendeiner Weise ausgebeutet wird, missbraucht wird, dann hat er das gezeigt. Insofern hat er wirklich eine Kehrseite gezeigt von dem, was das offizielle Amerikabild ist."
Nach dieser Fotoserie beschloss Robert Frank, das Fotografieren sein zu lassen und widmete sich dem Film. In der vorzüglichen Winterthurer Ausstellung sind auch diese Werke, die einen stark autobiografischen Aspekt haben, zu sehen. Erst Mitte der siebziger Jahre kehrte Frank dann überraschend zur Fotografie zurück. In einem heruntergekommenen Haus am Meer lebte er damals, seine Fotos erzielten auf dem Kunstmarkt schon Preise von 100.000 Dollar, doch genauso wenig wie diesem Kunstmarkt traute Frank noch der Fotografie. Nur mit einem anderen Medium, dem Wort, gekreuzt, ist sie für ihn noch zulässig. Schriftzeichen und Texte überwuchern die Negative, wenn sie nicht gleich ganz zerkratzt oder zerstört sind. Robert Frank hatte schwere Schicksalsschläge hinzunehmen, seine Ehe hielt nicht, seine Tochter kam bei einem Flugzeugabsturz ums Leben, und sein psychisch kranker Sohn erlag seinem Lebenskummer.
Die Winterthurer Ausstellung, die ihren Auftakt in der Tate Modern in London hatte, zeigt, um viele ungesehene Fotoserien erweitert, das ganze Bild dieses tragischen Fotokünstlers; den kreativen Weg eines Jahrhundertfotografens und seine Arbeitsweise; die Wahrheit im und hinter dem Bild. Wie sagte doch Frank: "Ich versuche etwas zu sagen, das wahr ist." Wer Augen hat, zu sehen, kann hingucken.
Service:
Die Ausstellung "Robert Frank - Storylines" ist vom 3. September bis 20. November 2005 im Fotomuseum Winterthur zu sehen.
"Das Typische dieser Bilder ist, dass es etwas Nebensächliches hat. Im Gegensatz zur Fotografie bis dahin, die versucht hat, vor das Teil, das Ding, das Objekt, das Subjekt hinzustehen - sei es ein Haus oder eine Person - und sie in der Regel relativ statisch abzubilden, ist Franks Fotografie sofort eine Fotografie, die in Bewegung ist. Die im Vorbeigehen gemacht wird. Die häufig den Leuten über den Rücken schaut. Also von hinten und nicht von vorne. So dass man sieht, wie er die Szene beobachtet."
Frank fotografiert die USA. Und zwar so, wie niemand vor ihm. Er zeigt die Kehrseite des "amerikanischen Traums". Die Verlorenheit inmitten der Massengesellschaft, die Anonmymität im Großstadtleben, die Leere in den Konsumexzessen der neuen Autos und Vorgärten, die Einsamkeit. Für einen Europäer damals sicherlich erschreckende Zustände.
Urs Stahel:"Ich denke, er war fasziniert davon und ist dieser Faszination gefolgt. Diesen Brüchen, die sich da auftun. Die sich da sehr, sehr viel offensichtlicher zeigen. Er hatte das Gefühl, "Da spüre ich sehr viel stärker, was Leben ist. Was Existenz ist." In der Schweiz wird die Existenz aus seiner Sicht quasi in ein Geschenkpapier eingepackt und man sieht eher das Geschenkpapier als die Existenz."
Als Robert Frank Mitte der 50er auf einer nebligen Route 66 einen Autounfall beobachtet, hat er nicht nur eine Story, sondern auch seinen Stil gefunden. Anstatt das Opfer und das Blut zu visieren, schaut Frank auf die Gesichter der Umherstehenden. Auf denen sich das Drama noch stärker findet. Seither hält Frank sprechende Oberflächen fest. Das sind Werbetafeln, die verloren in der Landschaft stehen und den Konsumtraum ad absurdum führen, das sind Hausfassaden, die ihre Einsamkeit geradezu herausschreien, und das sind vor allem die Oberflächen von Gesichtern. Wie dem Gesicht von Jackie Kennedy. Das Frank 1956 auf einem Parteikongress festhält, Jackie Kennedy schaut inmitten des Trubels gedankenverloren zur Seite, ein Pol der Ruhe und Einsicht ist sie inmitten des großen Parteizirkus, dem Auftraggeber, der Zeitschrift, "Esquire", waren solche Bilder zu kritisch, zu hart.
Urs Stahel: "Wir stehen mitten in der McCarthy-Ära. Robert Frank wurde auf seiner Reise eingesperrt als Kommunist. Auf seinen Reisen durch Amerika. In dieses Klima, in dieses Nachkriegsklima eines aufblühenden Konsumismus (die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts ist dieses gigantische Konsumismusteil, in dem wir heute noch leben und mit dem wir immer noch versuchen, umzugehen, was das also wirklich bedeutet...) kommt dieser Europäer nach Amerika, dagegen haben die Amerikaner nichts einzuwenden, Amerika ist ein Einwanderungsland, aber er assimiliert sich nicht so, dass er das alles gut findet, sondern er beginnt, den Finger auf wunde Stellen zu halten."
Ende der 50er Jahre dann erscheint die Arbeit, die Frank berühmt machen wird: "The Americans". Die Amerikabilder. Sie sind so kritisch, dass sich kein amerikanischer Verleger findet, der diese Bilder publiziert. Als "Les Americains" müssen sie 1958 in Paris erscheinen, bis sich im Jahr darauf, nach dem großen Erfolg, in den USA ein Verleger engagiert. Frank hat darin seinen Stil perfektioniert. Jedes Foto erzählt eine Geschichte, eine unbequeme zumeist, so unbequem, dass der Fotograf in den USA als "Vaterlandsverräter" und "perverser Lügner" beschimpft wurde. Franks Fotos sind schnappschussartige Szenen mit abgeschnittenen Köpfen, angeschnittenen Personen, sie verkehren Horizontale und Diagonale, haben Unschärfen und schwache Belichtungen. Amateurhaft. Und was darauf zu sehen war, gefiel auch nicht. Im Heimatland des Vorwärtsblicks und des Optimismus schaute ein Fotograf hinter die Kulissen und fand dort den teuren Preis des Fortschritts.
Urs Stahel: "Er fotografiert eigentlich mit großer Liebe die underdogs der Gesellschaft. Das heißt, sein Engagement steht ein für den reelllen Menschen. Den sucht er. Den will er haben. Den will er fotografieren. Und wenn der in irgendeiner Weise ausgebeutet wird, missbraucht wird, dann hat er das gezeigt. Insofern hat er wirklich eine Kehrseite gezeigt von dem, was das offizielle Amerikabild ist."
Nach dieser Fotoserie beschloss Robert Frank, das Fotografieren sein zu lassen und widmete sich dem Film. In der vorzüglichen Winterthurer Ausstellung sind auch diese Werke, die einen stark autobiografischen Aspekt haben, zu sehen. Erst Mitte der siebziger Jahre kehrte Frank dann überraschend zur Fotografie zurück. In einem heruntergekommenen Haus am Meer lebte er damals, seine Fotos erzielten auf dem Kunstmarkt schon Preise von 100.000 Dollar, doch genauso wenig wie diesem Kunstmarkt traute Frank noch der Fotografie. Nur mit einem anderen Medium, dem Wort, gekreuzt, ist sie für ihn noch zulässig. Schriftzeichen und Texte überwuchern die Negative, wenn sie nicht gleich ganz zerkratzt oder zerstört sind. Robert Frank hatte schwere Schicksalsschläge hinzunehmen, seine Ehe hielt nicht, seine Tochter kam bei einem Flugzeugabsturz ums Leben, und sein psychisch kranker Sohn erlag seinem Lebenskummer.
Die Winterthurer Ausstellung, die ihren Auftakt in der Tate Modern in London hatte, zeigt, um viele ungesehene Fotoserien erweitert, das ganze Bild dieses tragischen Fotokünstlers; den kreativen Weg eines Jahrhundertfotografens und seine Arbeitsweise; die Wahrheit im und hinter dem Bild. Wie sagte doch Frank: "Ich versuche etwas zu sagen, das wahr ist." Wer Augen hat, zu sehen, kann hingucken.
Service:
Die Ausstellung "Robert Frank - Storylines" ist vom 3. September bis 20. November 2005 im Fotomuseum Winterthur zu sehen.