Illegale Raves in Großbritannien

Tanzen ohne Abstand und Maske

05:26 Minuten
Silhouetten einer tanzenden Menschenmenge unter freiem Himmel.
Eine tanzende Menschenmenge lange vor der Coronapandemie. Inzwischen wird in London wieder gefeiert - auch wenn es illegal ist. © Getty Images / Universal Images Group
Von Natalie Klinger · 11.08.2020
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Illegale Raves in der Coronakrise: Allein in London zählt die Polizei mehr als 20 am Tag. Und natürlich bekommt sie nicht von allen Wind. Unsere Reporterin war auf einer dieser Partys. Der Veranstalter hebt hervor, wie er seine Gäste aufklärt.
Die Adresse, die vor zwei Stunden per E-Mail kam, führt mich in eine dunkle Seitengasse. Erst als ich an den Schrottcontainern vorbei weitergehe, dringt leise der dumpfe Bass in mein Ohr. Hinter einer hölzernen Tür führt mich eine Treppe hinunter an den Kanal zu zwei Booten: in einem ist die Bar, im anderen die Tanzfläche.

Party auf zwei Booten

Dass hier, inmitten einer globalen Pandemie, etwa 70 Leute ohne Mindestabstand oder Masken gemeinsam tanzen, bereitet Fred, der eigentlich anders heißt, keine Sorgen. Er ist einer der Veranstalter dieser geheimen Party und möchte deshalb anonym bleiben.
"Ich mache mir mehr Sorgen um die Massen von Leuten, die sich in beengte Pubs drängen als um die Leute, die zu unseren Partys kommen", sagt er. "Wir haben oft viel mehr Platz und sprechen vorher mit unseren Gästen über die Risiken."
Vor der Pandemie fand Freds Partyreihe einmal pro Monat in immer anderen Clubs statt. Um die Auslastung gering – etwa einem Viertel der tatsächlichen Raumkapazität – zu halten, aber trotzdem die große Nachfrage zu bedienen, schmeißen er und sein Team jetzt fast wöchentlich kleine Partys.

Ticket mit persönlicher Aufklärung

Wer ein Ticket kaufen will, muss sich es sich vorab persönlich an einem Treffpunkt abholen. Dort klärt Fred über die Ansteckungsgefahr auf: "Wenn sich jemand auch nur ein bisschen unsicher ist oder vielleicht am nächsten Tag einen älteren Verwandten besucht, sage ich: Komm nicht! Oder wenn du kommst, halte den Sicherheitsabstand ein."
Den meisten Gästen auf der Party ist der Abstand jedoch egal. Eine Mittzwanzigerin mit pinkem Igelschnitt schüttelt die Hand einer etwa 50-Jährigen im Hippie-Kleid. Ein oberkörperfreier junger Mann um die 30 umarmt einen neuen Freund, der ihm gerade sein Feuer geliehen hat.
Die Bootbesitzer wollen keinen Ärger und lassen mich deshalb meine Gespräche mit den Gästen nicht aufzeichnen.

"Das Leben muss weitergehen"

Einen Satz höre ich oft an diesem Abend: "Das Leben muss weitergehen."
Auch Fred sieht das so. "Es war uns schon immer wichtig, mit den Partys einen Raum zu schaffen, in dem Leute loslassen und sie selbst sein können. Das ging monatelang nicht. Deshalb ist der Bedarf jetzt größer als je zuvor."
Während Stadien und Konferenzzentren zum Beispiel ab Oktober wieder öffnen sollen, gibt es für Nachtklubs noch nicht mal einen Termin. Fred findet, die britische Regierung messe mit zweierlei Maß. "Zu unseren Veranstaltungen kommen nicht mehr Leute als in ein Restaurant oder in eine Kneipe passen. Die Regel scheint zu sein: Menschenansammlungen sind okay, solange eine Kasse in der Nähe ist – nicht aber, wenn sich damit nicht die Wirtschaft ankurbeln lässt."

Erhöhte Ansteckungsgefahr beim Tanzen

Dabei gibt es aus wissenschaftlicher Sicht gute Argumente, vorerst keine Tanzpartys zu veranstalten: Die Ansteckungsgefahr ist dort größer als anderswo: Menschen schwitzen und atmen schwer, Drogen und Alkohol wirken enthemmend. Wer auf der Tanzfläche über laute Musik hinweg versucht mit seinem Gegenüber zu sprechen, kommt ihm entweder zu nah oder redet so laut, dass er mehr Mikrotröpfchen produziert.
Das kann aber auch beim lautstarken Singen beim Gottesdienst passieren. Das wird zwar nicht empfohlen, ist aber seit 4. Juli in Großbritannien wieder erlaubt.
"Sowohl bei unseren Partys als auch in der Kirche geht es um Gemeinschaft", sagt Fred. "Es gibt Musik. Die gleichen Regeln sollten für Kirchen und Partys gelten."

Mangelhafte Kommunikationspolitik der Regierung

Die widersprüchlichen Botschaften der Regierung rächen sich: Das bezeugt die ungebrochen große Zahl der illegalen Raves.
Dazu kommt: Seit bekannt wurde, dass Boris Johnsons wichtigster Berater Dominic Cummings seine eigenen Lockdown-Gesetze gebrochen hat, ist auch die Bevölkerung weniger bereit, die Regeln zu befolgen. Das hat das University College London erst vergangene Woche mit einer Datenanalyse belegt.
"Selbst recht konservative, anständige Leute wie meine Eltern haben ihren Respekt vor der Regierung verloren und halten sich nicht mehr strikt an die Regeln", sagt Veranstalter Fred.
Bislang haben er und sein Team drei Partys veranstaltet, von denen die Behörden nichts wussten. Covid-19-Fälle gab es noch nicht. Vielleicht funktioniert es also, ihr Konzept vom verantwortungsbewussten Raven – oder aber, sie hatten bisher einfach Glück.
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