Salzburger Festspiele

Die Tonarten von Krieg und Frieden

15:10 Minuten
Der Schriftsteller Ilija Trojanow, am Rednerpult in schwarzem Sakko und rotem Hemd, hat die rechte Hand erhoben, um einer Aussage Nachdruck zu verleihen.
Als Eröffnungsredner der Salzburger Festspiele warnt Ilija Trojanow davor, sich vom Krieg in eine starre Für-und-Wider-Logik drängen zu lassen. © picture alliance / Franz Neumayr
Ilija Trojanow im Gespräch mit Britta Bürger · 26.07.2022
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In Kriegszeiten schärfe Kunst den Sinn für widersprüchliche Perspektiven, so der Schriftsteller Ilija Trojanow zur Eröffnung der Salzburger Festspiele. Die Forderung, russische Künstler müssten sich zum Ukrainekrieg positionieren, sieht er kritisch.
"Desertieren wir aus der Eintönigkeit des Krieges in die Vieltönigkeit der Kunst." Mit diesem Appell hat der Schriftsteller Ilija Trojanow die Salzburger Festspiele eröffnet. Der Krieg verenge die Perspektiven der öffentlichen Auseinandersetzung, so entstehe eine "perverse, redundante Monotonie, die nichts anderes zulässt als den einen, den angeblich wahren Ton", sagte Trojanow in seiner Rede.

Verdammt und verteufelt

Kunst könne dieser Tendenz entgegenwirken, denn sie sei "nicht so reduzierbar auf Parolen, auf Positionen, auf binäre antagonistische Gegensätze wie der öffentliche Diskurs im Moment", so Trojanow. Ende Juni gehörte der Schriftsteller zu einer Gruppe von Intellektuellen, die in einem offenen Brief in der Wochenzeitung Die Zeit einen Waffenstillstand in der Ukraine forderten und Waffenlieferungen verurteilten. Die heftigen Reaktionen auf diesen offnen Brief hätten ihm ein weiteres Mal gezeigt, dass der öffentliche Diskurs bereits "vom Krieg infiziert" sei, sagt Trojanow.
"Das heißt: extrem geringe Bereitschaft, verschiedene Gedanken einfach mal durchzuspielen, sich zu überlegen, was gibt es für Visionen, was gibt es für Strategien, sondern sehr, sehr viel Eintönigkeit der Gedanken, der Forderungen. Und alles, was angeblich nicht auf der richtigen Seite ist, das wird dann gleich verdammt und verteufelt."

Moralisch inkonsequent

Der Forderung, dass russische Künstler sich öffentlich zum Krieg in der Ukraine positionieren sollten, steht Trojanow sehr skeptisch gegenüber: "Wenn wir diese moralische Forderung stellen, dann muss sie für alle Künstler und Künstlerinnen weltweit gelten." Konsequenterweise hätten sich dann aber auch alle amerikanischen Künstler, die wir einladen, vom völkerrechtswidrigen Angriff der USA auf den Irak distanzieren müssen, so der Autor.

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Viele Kriege und Krisen in der Welt gerieten derzeit über den Ukrainekrieg in Vergessenheit, sagt Trojanow, "und man kann, glaube ich, diese extrem hohe moralische Latte nur dann anlegen, wenn sie nicht nur für alle gilt, sondern auch, wenn man selber bereit ist, einen hohen Preis zu zahlen."

Eine Frage der Existenz

Konkret auf Salzburg gewendet, stünde damit zum Beispiel die künstlerische Existenz des in die Kritik geratenen griechisch-russischen Dirigenten Teodor Currentzis und seines hervorragenden Orchesters und Chors zur Disposition, so Trojanow:
"Das hieße, für eine rein symbolpolitische Geste, die keinerlei Wirkung hätte, würde man etwas zerstören, auch den Lebensunterhalt, das Leben von mehreren Hundert Menschen vernichten, und die Frage ist einfach: Ist das moralisch?"

In der ersten Opernpremiere der Salzburger Festspiele brachten Dirigent Teodor Currentzis und Regisseur Romeo Castellucci Béla Bartóks Oper "Herzog Blaubarts Burg" und Carl Orffs Weltuntergangs-Opernoratorium "De temporum fine comoedia" gemeinsam zur Aufführung. Bartóks das innere Drama betonende Stück münde mit Orff in "ein Überwältigungstheater, wie ich das selten erlebt habe", urteilt der Musikkritiker Jörn Florian Fuchs .

Ilija Trojanow spielte in seiner Festrede auch auf die Trennung der Salzburger Festspiele von einem Sponsor an, der wegen mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen in die Kritik geraten war. Die Entscheidung der Festspiele sei richtig gewesen, sagt Trojanow. Der Blick auf Einzelfälle allein reiche jedoch nicht aus, gerade im Hinblick auf Probleme beim Abbau von Bodenschätzen:
"Wir müssen uns klarmachen, dass es eine Form der weltweiten Gewalttätigkeit gibt, die auch kriegerisch ist – weil es nämlich eine teilweise ultimative Zerstörung von Natur und eine schreckliche Ausbeutung von Menschen ist." Diese Bedingungen struktureller Gewalt und systematischer Ungerechtigkeit kämen in Politik und Gesellschaft immer noch viel zu wenig in den Blick, betont Trojanow.
(fka)
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