Ikonen Barcelonas

Von Nicole De Bock |
Um die Jahrhundertwende erfuhr die spanische Metropole Barcelona nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in künstlerischer Hinsicht einen Aufschwung: Die Ausstellung "Barcelona 1900" dokumentiert diese Blütezeit anhand von 200 Objekten katalanischer Kunst und Kultur: Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen - unter anderem von Pablo Picasso, Santiago Rusinol, Ramon Casas und Isidre Nonell.
"Das Bild, das wir heutzutage von Barcelona haben, ist fast völlig konzipiert auf den Entwicklungen, die damals in Barcelona entstanden sind. So kann man sagen: die Architektur von Gaudi, das Trassenplan von Barcelona, die Kunst von Picasso, der damals in Barcelona wohnte oder den Schmuck, der damals entworfen wurde, sind noch immer die Ikonen der Stadt."

Benno Tempel, Co-Kurator der Barcelona Ausstellung im van Gogh Museum, erklärt, wie die kulturellen Entwicklungen in Barcelona um 1900 der Stadt bis heute ihren Stempel aufgedrückt haben. Um die Jahrhundertwende kannte Barcelona eine große wirtschaftliche Blüte. Die reiche industrielle Klasse zeigte Bürgersinn, indem sie reichlich in ihre eigene Stadt investierte. Teresa Sala, Gastkuratorin für die Barcelona-Ausstellung:

"Das Bürgertum hat es möglich gemacht, dass sich Kultur in Barcelona entwickeln konnte. Die Bürger waren nicht nur reich, viele waren auch an Kultur interessiert. Sie beauftragten unter anderem Architekten mit der Errichtung verschiedenster Bauwerke und verschönerten die Stadt. Kultur wurde in dieser Zeitspanne sehr groß geschrieben. Man wähnte sich hier in einer europäischen Hauptstadt, was ein wenig utopisch war. Die Atmosphäre in der Stadt war damals hitzig und aufbrausend."

Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte der Ingenieur Ildefons Cerdà mit einer neuen Stadtentwicklung Barcelona zu einer Metropole ausgebaut. 1888 fand hier auch die Weltausstellung statt, die das Fenster zur Welt weit öffnete. Im Zuge dessen zogen viele Künstler aus Barcelona nach Paris, die Kunststadt par excellence.

"Ich glaube, dass sie natürlich sehr beeindruckt waren durch die moderne Kunst in Paris - zum Beispiel von der grafischen Kunst von Toulouse Lautrec, aber auch von der Musik. Einige von den Künstlern, Rosinol, Casas, waren befreundet mit Eric Satie. Was auch sehr wichtig ist: Sie sind zurückgegangen, sie haben in Paris neue Eindrücke aufgetan, und haben sie mitgenommen nach Barcelona und andere Künstler beeinflusst."

Die katalanischen Künstler Santiago Rusinol, Ramon Casas und andere stellten in Barcelona Werke aus, die sie in Paris gemalt hatten. In der Ausstellung kann man sie bewundern: Bilder von Montmartre, Pariser Interieurs oder das Bohemienleben... Die Werke von den avantgardistischen Malern bekamen zuerst in der Galerie Sale Parés eine Chance. Sie markierten eine neue Art zu malen, mehr naturalistisch und in subtilen, hellen Farben. Auch der noch sehr junge Picasso war hier zu Hause.

"Wir haben eine Serie von Picasso, eine wunderbare Serie, die speziell für diese Ausstellung zusammengebracht ist, Porträts von seinen Freunden. Das sind Künstler, die er damals getroffen hat in dem Café Quatre Gats, ein Café der Bohemiens in Barcelona. Und das ist eine Serie, die so kräftig ist, so schön - auch eine Serie, die beeindruckt."

Die katalanischen Künstler, die in Paris auch von Art Nouveau beeinflusst wurden, entwickelten eine ganz eigene Version dieses Stiles:

"Was man über den Jugendstil in Barcelona sagen kann oder über den 'Modernista', wie es in Barcelona heißt, - und das ist ein wichtiger Unterschied zum 'Art Nouveau', dem Jugendstil in Wien, in Deutschland, in Paris, ist, dass es nicht nur der Blick auf die Zukunft ist und auf das Moderne, auf die technologischen Innovationen, sondern auch den Blick auf die Tradition."

Echte Kunstjuwelen gibt es von Lluis Masriera in der Ausstellung zu sehen. So eine filigrane Brosche, die eine Nymphe aus Gold und Elfenbein darstellt, mit zarten Flügeln aus Emaille, umrandet von Diamanten und vollendet mit einer großen Perle! Natürlich ist es die Bourgeoisie von Barcelona, die mit diesen Juwelen prunkt. Doch die Gegensätze in der Stadt zwischen den reichen Bürgern und der armen Arbeiterklasse wachsen. In der Ausstellung sind auch Kunstwerke zu sehen, die diese Armut dokumentieren: Isidre Nonell malt eindrucksvoll das Austeilen einer warmen Suppe an Bedürftige, von Miquel Blay gibt es eine ergreifende Bronze mit dem Titel "Das erste Frieren" und Francisco Sardà malt die schlichte Arbeitspause... Die Reichen indessen beauftragen bekannte Architekten mit dem Bau von prachtvollen Villen, öffentlichen Gebäuden und Interieurs.

"Von Josep Puig Cadafalch die Casa Amathler gibt es ein neo-gotisches Gebäude mit einer sehr eindrucksvollen Fassade und sehr schönen Möbel dazu und von Dominique Montaner haben wir hier seinem 'Palau de la Musica', natürlich nicht das Gebäude selbst, aber seine Zeichnungen. Die Dekorationen, die in dem Gebäude gezeigt wurden, haben wir hier. Wir haben die keramischen Objekte aus dem Gebäude, so dass es ein sehr differenziertes Bild von der Stadt und von den Architekten selbst gibt."

Von dem wohl berühmtesten Architekten Antoni Gaudì ist das Interieur der Casa Batló zu sehen: originelle Holzmöbel mit schwungvollen Beinen und überraschenden Formen. Der Park Güel, der von Gaudi entworfen wurde, wird in einem Schwarz-Weißfilm vorgestellt. Von seiner Kathedrale, der "Sagrada Familia", an der bis heute gebaut wird, gibt es Skizzen und Gipsabgüsse von Details, wie Säulen und Laternen.

Eine Serie von Schwarz-Weißbildern erzählt schließlich vom Niedergang der katalanischen Blüte. Im Juli 1909 war es zu Volksaufständen gegen die Armee und gegen die Kirche gekommen, die an ihrer Seite stand. Die starken Repressionen der spanischen Regierung bereiteten dem Glauben an eine bessere Zukunft ein jähes Ende. Barcelona, die Stadt, die das "Paris des Südens" werden wollte, wurde berühmt als "Rose des Feuers" oder "Stadt der Bomben". Bis heute aber konnte die starke katalanische Identität bewahrt bleiben. Teresa Sala:

"Die katalanische Identität, die Seele, ist ein wenig wie das Mittelmeer, aber ebenfalls wie die Pyrenäen. Sie ist sehr vielseitig; auch unsere Geografie variiert sehr - und unsere Kultur. Es ist sehr schwierig, Grenzen zu ziehen in dieser Seele: Es ist eine offene Seele, offen für die Welt."