Ikone der Friedensbewegung

31.05.2007
Mahatma Gandhi zählt ohne Zweifel zu den bedeutendsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhundert. Durch seinen gewaltfreien Widerstand wurde er für viele zu einer Ikone. In ihrer Kurzbiographie beschriebt Susmita Arp Gandhi als einen charismatischen Menschen mit Stärken und Schwächen. Er war ein radikaler Pazifist, aber kein Heiliger.
So viel jedenfalls steht fest: Indiens Große Seele, der Mahatma Mohandas Karamchand Gandhi, ist auch 70 Jahre nach der Teilung des britisch-indischen Kaiserreiches Indien in die hinduistische Indische Union und das muslimische Pakistan ein verlegerisches Juwel. Gandhis Lebenswerk umfasst 90 Bände. Keiner davon ist ein "richtiges" Buch.

Aber die zahllosen Essays, Pamphlete, Zeitungsartikel, Reden, Briefe und Manifeste reichen immer mal wieder für eine neue Facette zur politischen Biographie eines Mannes, der von sich sagte, dass er zu zweierlei gewiss nicht tauge: Weder zum Lehrer noch zum Guru. Aber er taugt zum "Longseller". Monographien und Biographien reihen sich eine an die andere. So hat der Rowohlt Taschenbuch Verlag es sogar für nötig befunden, im Impressum der neuesten Arbeit von Susmita Arp zu vermerken, dass diese die im selben Verlag erschienene Gandhi-Monographie von Heimo Rau "ersetze". Das Erfrischende an dem knappen Bändchen der Indologin und Religionswissenschaftlerin ist, dass hier keine Heroisierung stattfindet. Nichts läge der Autorin ferner, als sich an einem Ranking Gandhis zu beteiligen, wie es das TIME-Magazin zur Jahrhundertwende getan hatte. Da nahm die Große Seele unter den bedeutendsten Persönlichkeiten den zweiten Rang ein – gleich hinter Albert Einstein.

Die Autorin beschreibt stattdessen einen charismatischen Menschen mit allen seinen Stärken und Schwächen, der das Zeug zu radikaler Mitmenschlichkeit hatte, aber wenig von einem Heiligen.

Als der 78-Jährige von einem nationalistischen Hindu-Fanatiker bei einer Gebetsversammlung erschossen wurde, hatte er sich längst tief enttäuscht aus der politischen Welt zurückgezogen. Aufgehoben ist das Tun und Sein des leidenschaftlichen Asketen ausgerechnet im europäisierten "Westen". Und da reicht das Erbe der Großen Seele von Rudolf Steiner bis Alexander Solschenizyn, von Veganern bis zu Friedensforschern, von spirituellen und esoterischen Mythologen und Multiplikatoren in die weltweit bunten Kreise des internationalen Pazifismus’ und der Globalisierungskritiker. Zur modernen politischen Welt hat so recht der Mahatma nur ein Ingrediens beigesteuert: Den zivilen Ungehorsam unter dem Vorzeichen absoluter Gewaltlosigkeit.

Besonderes Geschick beweist Susmita Arp beim Zusammentragen der Zitate und Ereignisse, die zeigen, was Gandhi von sich selbst dachte; nämlich kein Denker gewesen zu sein, sondern ein Mensch der Tat. Insofern ist die Kurzbiographie auch ein Buch mehr zum (Nach)Machen als zum Philosophieren. Wobei gelegentlich das Auswahlprinzip für das "Berichtenswerte" sogar ins Komische umschlagen kann. Zum Beispiel wenn der Aschram-Vater Gandhi sich nackt zwischen nackte Frauen zur Nachtruhe begibt, um zu beweisen, dass seine Askese zur Keuschheit geworden ist. Dies zu beweisen, sei ihm offenbar sehr viel leichter geworden, als eine glaubwürdige Utopie zu leben, die zeigt, dass ein Mensch auf fortwährender Suche nach der Wahrheit sein, bleiben und sterben kann.

Rezensiert von Jochen R. Klicker

Susmita Arp: Gandhi
Rowohlts Monographien 50 662
Reinbek bei Hamburg 2007
157 Seiten, 8,50 Euro