"Ihr wisst doch, wie Frieden geht“

Von Christian W. Find · 14.05.2011
In der nächsten Woche kommen in Kingston auf Jamaika Christen aus aller Welt zusammen, um eine "Ökumenische Erklärung zum gerechten Frieden" zu verabschieden. An deren Formulierung waren die deutschen Mennoniten entscheidend beteiligt.
"Liebe Gemeinde, der Gewaltverzicht ist nichts für schwache Nerven. Und es ist gut, diese Praxis Jesu in der Gemeinschaft der Christinnen und Christen zu erproben. Wir sind damit nicht allein. In den vergangenen zehn Jahren während der ökumenischen Dekade zur Überwindung von Gewalt haben wir viel dazugelernt."

Palmsonntag im Berliner Dom: Der mennonitische Theologe Fernando Enns spricht in der Fastenpredigtreihe zum Thema "Gewalt.Unterbrechung". Enns, Professor für Friedens¬theologie und -ethik an der Universität Amsterdam, hatte im Ökumeni¬schen Rat der Kirchen die Dekade zur Überwindung von Gewalt initiiert und jetzt auch die Friedens¬konvokation in Jamaika vorbereitet, das so genannte "Erntedankfest" der Dekade.

"Das ist natürlich aus dem Selbstverständnis erwachsen, dass wir als eine der historischen Friedenskirchen gelten, das sind die Quäker, die Church of Berlin und die Mennoniten. Und eines der Merkmale, sehr früh schon in der Reformationszeit, war ja das Stichwort der Wehrlosigkeit und Ablehnung von Gewalt und Trennung von Staat und Kirche."

Martina Basso ist Pastorin der Mennoniten-Gemeinde in Berlin. Im Volksmund werden die Mennoniten als "Täufer" bezeichnet, weil sie statt der Kinder- die Erwachsenentaufe lehren. Im Zentrum ihrer Theologie stehen die Bergpredigt Jesu und der Gewaltverzicht. Schon in der Reformationszeit lehnten die Mennoniten den Wehrdienst ab und waren deshalb immer wieder grausamen Verfolgungen ausgesetzt.

Die Pastorin sieht als großen Gewinn der Dekade, dass die Konfessionen neu aufeinander zu gehen und damit begonnen haben, auch ihre innerkirchliche Vergangenheit aufzuarbeiten.

"Es gab eine im letzten Jahr sehr bewegende Veranstaltung auf der Vollversammlung der Lutheraner in Stuttgart, wo es eine offizielle Bitte um Verzeihung, also eine Entschuldigung der Lutheraner gegenüber den Täufern, den Mennoniten gab ob der Verfolgung, die sie haben auch unter Lutheranern erleiden müssen."

Deutlicher als die anderen 349 Mitgliedskirchen der Ökumene lehren und leben die Mennoniten eine Kirche ohne geistliche oder weltliche Hierarchie. Auch deshalb wurden sie in den vergangenen zehn Jahren immer wieder zu friedenstheologischen Themen angefragt.

"Wir kriegten ganz viele Anfragen bei Seminaren oder: 'Ihr seid doch Mennoniten, ihr wisst doch, wie Frieden geht'. Da wurde uns deutlich, dass wir selber auch eine innermennonitische Aufgabe zu erfüllen hatten, nämlich selber bei uns zu gucken, dass wir unser friedens–theologisches Profil schärfen, und dass wir eben auch eine Verantwortung haben gegenüber den anderen Kirchen.

Aufgrund dessen ist das mennonitische Friedenszentrum Berlin 2005 entstanden, um eben in der Ökumene mitzuarbeiten, noch mal ganz anders, gesellschaftlich die Stimme zu erheben, also innermenonitisch war’s ne ganz wichtige Sache."

Das Berliner Friedenszentrum der Mennoniten finanziert sich ebenso wie die bundesweite Kirche der Mennoniten aus Spenden der Mitglieder. Im Rahmen der begrenzten finanziellen Möglichkeiten konnte das Zentrum zwei exemplarische Projekte ins Leben rufen, eines in Berlin, das andere in Harare, der Hauptstadt Simbabwes.

Die Frage, was es heißt, Friedenskirche in einem diktatorisch geführten Land zu sein, führte zu einem intensiven Dialog mit der dort ansässigen Schwestergemeinde, mit Seminaren und Ausstellungen in Harare, in Hamburg und demnächst auch in Berlin. In Zusammenarbeit mit dem Rat afrikanischer Christen entstand im Berliner Friedenszentrum ein Café International, in dem sich Christen und Muslime über ihre Religionen austauschen.

"Es geht darum, deutlich zu machen, Deutschland schafft sich nicht ab, sondern Deutschland initiiert sich anders und neu, und das ist uns ganz wichtig, als ein Beispiel zu sagen, es ist wichtig zusammenzuarbeiten, ja, einander gegenüber zu sitzen und in die Augen zu schauen und einander zu erkennen. So, wie es im südlichen Afrika ist, da sagt man nicht ‚Guten Tag, wie geht es Dir?’ sondern man sagt ‚Ich sehe Dich’, das heißt ‚Ich nehme Dich wahr’. Und dieses Wahrnehmen halte ich für unabdingbar."

Sich gegenseitig wahrnehmen und dabei selbstbewusst auf gleicher Augenhöhe stehen, das lernen die Mädchen in einem Karate-Kurs, den Martina Basso in einer Kita in ihrem Stadtteil Neukölln initiiert hat. Das Gewaltpräventions-Projekt baute sie zusammen mit ihrer langjährigen Karate-Lehrerin Bärbel Düsing auf. Karate Wado Ryu, das heißt ‚Weg des Friedens’.

"Es soll ja nicht etwas sein, das mich brachialer macht. Also diese Vorstellung, dass es im Kampfsport geschieht, ist es ja nicht, sondern es ist ein Gegenprogramm eigentlich. Wenn ich in der Lage bin, meine Schwächen in Stärken zu verwandeln und mitzukriegen, dass ich gar nicht so schwach bin, wie ich dachte, dann gewinn ich Souveränität, und die bringt mich dazu, dass ich alles gelassener anschauen kann.

Wenn man sich schlecht fühlt, weil jemand ungerecht zu einem war und man Wut kriegt, dann ist es ja ne Kompensationsleistung zu sagen: 'Okay, ich bin jetzt zwar wütend, aber das entwertet mich nicht so, was die Person macht oder sagt, weil ich hab' in mir noch genügend, das sagt: Hey, aber ich bin trotzdem was’ - und das bringt mich dann dazu, keine Gewalt anzuwenden."

Die Dekade zur Überwindung der Gewalt hat den Gemeinden der Mennoniten neue Anstöße gebracht. Martina Basso ist zuversichtlich, dass dies grundsätzlich auch auf die ganze Ökumene zutrifft.

"Wenn ich mir den Weltrat der Kirchen angucke, habe ich die Hoffnung, dass möglichst wenig Kirchen jetzt das abhaken und sagen, nun ist's vorbei, nun gibt’s ein anderes Thema. Dadurch, dass das Motto schon für die nächste Vollversammlung ausgegeben wurde, ‚Friede und Gerechtigkeit auf der Erde’, das deutet sehr deutlich daraufhin, dass es dem Zentral¬ausschuss sehr klar ist, das ist jetzt kein Ende, sondern wir müssen dran bleiben, es ist ein Prozess. ‚Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens’ ist nicht, wir machen mal die nächsten zehn Jahre ein bisschen hier und da ein Projekt, sondern es ist eine Verwandlung, eine Verwandlung und eine Umkehr."