"Ihr Aufstieg ist unser Abstieg"
"Spiegel"-Autor Gabor Steingart ist ein Freund dramatischer Bilder. In seinem Buch "Weltkrieg um Wohlstand" geht er davon aus, dass die wirtschaftliche und politische Vorrangstellung des Westens schwindet. Der Aufstieg der asiatischen Industrienationen ist "unser Abstieg", behauptet Steingart und fordert drastische Maßnahmen: radikale Reformen, strikter Protektionismus und Bildung einer europäisch-amerikanischen Freihandelszone.
Gabor Steingart, der Leiter des Berliner Spiegel-Büros, hat eine tragende Rolle gefunden als Wachrüttler der Nation. Dies tat er bereits mit seinem erfolgreichen Buch zu Deutschland, dem "abgestiegenen Superstar", und sein neues Werk ist nicht weniger treibend und radikal.
Er erweitert darin seinen Blickwinkel auf die Welt und schaut auf das Schicksal von Nationen, das dominiert werde von ihrem wirtschaftlichen Erfolg. Da habe sich mächtig etwas in Bewegung gesetzt, sagt Steingart. Die wirtschaftliche und damit politische Vorrangstellung des Westens schwinde, es tauchten mit ehemaligen Kolonien, insbesondere China und Indien, neue Mächte auf, die bald die Bühne beherrschen werden: "Ihr Aufstieg ist unser Abstieg", schreibt Steingart. Die Formulierung ist saftig, wird aber der Sache nicht ganz gerecht. Was er als einen hydraulischen Vorgang darstellt ist keiner. Der relative Abstieg der europäischen Staaten ist zu einem großen Teil das Ergebnis von falschen und vor allem von ausbleibenden Entscheidungen und Reformen. Das sagt auch Steingart später im Buch selber, zunächst aber würde offenbar eine solche nüchternere Darstellung die von ihm angepeilte Dramatik des "Weltkrieges um Wohlstand" schmälern.
Steingart will den Kräften nachgehen, von denen die weltweite Veränderung angetrieben und die von der Politik vielfach verdrängt werden. Dafür schaut er zunächst recht langatmig und nicht immer zutreffend auf die Geschichte der Industrialisierung des Westens zurück. Die militärische Fundierung der Macht der Kolonialstaaten wurde zusehends abgelöst von einer Dominanz durch wirtschaftliche Stärke.
Dann wendet sich Steingart den neuen Mächten in Asien zu und beschreibt deren Aufstieg aus den Fängen des Kolonialismus. Entscheidend seien ihre Zielstrebigkeit und die staatliche Steuerung des Wachstums, die eine Kraftvergeudung durch soziale oder Umweltstandards unterbindet. Die Wirkung der neuen, starken Konkurrenz auf die westlichen Märkte schildert Steingart mit drastischen Worten. Jeder Konsument hierzulande sei mit kaltem Herzen ein Helfer der Globalisierung, indem er ausschließlich auf den Preis achtet, ohne Rücksicht auf die sozialen Kosten in der Heimat, die eben inländische Produkte verteuern. Asien sei auch keineswegs so friedlich, wie es den Anschein hat. Zu Recht führt er das Beispiel der gewaltigen Aufrüstung in China an. Auch darauf müsse der Westen noch eine angemessene Antwort finden, ähnlich der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.
Steingart macht einige Vorschläge, wie die ökonomische Schwäche des Westens zumindest teilweise zu beheben wäre. Zuallererst müsse die Politik dem Volk die wirkliche Lage ungeschminkt schildern und das "Ende der Volksnarkose" einläuten. Zentraler Ausdruck der Wirklichkeitsverleugnung seien die rasant steigenden Schulden, obwohl die wirklich großen Herausforderungen durch die demographische Entwicklung noch bevorstünden. Zu dieser Wende brauche es eine bewusstseinsverändernde Bewegung ähnlich der Öko-Bewegung. Die Alimentierung weiter Teile der Bevölkerung müsse beendet und ein Notopfer von Wohlhabenden erhoben werden, um damit die Schulden abzubauen. Ferner sei es nötig, den Sozialstaat viel stärker als bisher über Steuern zu finanzieren, so dass sich dann auch zum Beispiel (bei der Mehrwertsteuer) der chinesische Exporteur billiger Schuhe beteiligen müsste, sobald er auf unserem Markt auftritt. Außerdem brauche es eine selbstbewusste Handelspolitik gegenüber Asien, sprich Protektionismus, um unfaire Praktiken abzuwehren. Ein weiterer Schritt ist für Steingart schließlich die Errichtung einer europäisch-amerikanischen Freihandelszone, um bestimmte Standards und Werte leichter durchsetzen zu können. Ein Beispiel: "Länder, die in ihren Grenzen keine freien Gewerkschaften dulden, die Frauen und Kinder genauso ausbeuten wie die Natur, würden nicht länger mit Zollpräferenz verwöhnt".
Steingarts Buch ist in Teilen ärgerlich. Es gibt viele zutreffende Feststellungen, die aber gemischt sind mit fragwürdigen Analysen, sprachlichem Pomp, offenbar nicht ganz zu Ende gedachten Rezepten und außerordentlich gekonnt geschürter Panik durch Kriegsrhetorik. Verkaufen wird es sich also, auch wenn oder gerade weil nur schon der Titel des Buches ein rechter Schmarren ist. Das Werk hat ja sogar eine gewisse Berechtigung, insbesondere weil es die von Steingart beschriebene "Volksnarkose" durch die weit reichende Staatsfinanzierung auf Pump wirklich gibt und es hier unbedingt einer Wende bedarf. Fragwürdig ist aber zum Beispiel die Ökonomie-Nato, die er für die richtige Antwort auf die asiatische Attacke hält. Wirtschaftsexperten halten sie für überflüssig, weil die Handelsbeziehungen zwischen den USA und der EU bereits weitgehend geöffnet seien, vor allem aber würde sie andere Länder diskriminieren und zu Gegenreaktionen einladen, worunter mit Sicherheit der Exportweltmeister Deutschland litte. Die internationale Arbeitsteilung, das ist bislang weder theoretisch noch empirisch widerlegt, hebt, anders als es Steingart glauben machen will, jedenfalls den Wohlstand aller beteiligter Staaten. Gewusst hätte man auch gerne, wo Steingart seine vielen Zahlen herhat, für die er keine Quellen angibt.
Steingarts Buch ist dem Leser also nur eingeschränkt zu empfehlen. Wer sich ordentlich gruseln will vor den asiatischen "Angreifern", der soll es lesen. Es bringt aber den nicht sehr viel weiter, der eine nüchterne Darstellung der Phänomene des Welthandels erwartet. Insbesondere Steingarts überplastischer, überrumpelnder, übersüffiger Stil ist schwer erträglich: Der macht auf 370 langen Seiten (plus ein Interview mit dem Wirtschafts-Nobelpreisträger Samuel Samuelson) außerordentlich viel Wind und das vergrätzt von Seite zu Seite mehr, weil es eben nicht der sachlichen Aufklärung dient.
Rezensiert von Andreas Abs
Gabor Steingart: Weltkrieg um Wohlstand. Wie Macht und Reichtum neu verteilt werden
Pieper Verlag, München 2006
397 Seiten, 19,90 Euro
Er erweitert darin seinen Blickwinkel auf die Welt und schaut auf das Schicksal von Nationen, das dominiert werde von ihrem wirtschaftlichen Erfolg. Da habe sich mächtig etwas in Bewegung gesetzt, sagt Steingart. Die wirtschaftliche und damit politische Vorrangstellung des Westens schwinde, es tauchten mit ehemaligen Kolonien, insbesondere China und Indien, neue Mächte auf, die bald die Bühne beherrschen werden: "Ihr Aufstieg ist unser Abstieg", schreibt Steingart. Die Formulierung ist saftig, wird aber der Sache nicht ganz gerecht. Was er als einen hydraulischen Vorgang darstellt ist keiner. Der relative Abstieg der europäischen Staaten ist zu einem großen Teil das Ergebnis von falschen und vor allem von ausbleibenden Entscheidungen und Reformen. Das sagt auch Steingart später im Buch selber, zunächst aber würde offenbar eine solche nüchternere Darstellung die von ihm angepeilte Dramatik des "Weltkrieges um Wohlstand" schmälern.
Steingart will den Kräften nachgehen, von denen die weltweite Veränderung angetrieben und die von der Politik vielfach verdrängt werden. Dafür schaut er zunächst recht langatmig und nicht immer zutreffend auf die Geschichte der Industrialisierung des Westens zurück. Die militärische Fundierung der Macht der Kolonialstaaten wurde zusehends abgelöst von einer Dominanz durch wirtschaftliche Stärke.
Dann wendet sich Steingart den neuen Mächten in Asien zu und beschreibt deren Aufstieg aus den Fängen des Kolonialismus. Entscheidend seien ihre Zielstrebigkeit und die staatliche Steuerung des Wachstums, die eine Kraftvergeudung durch soziale oder Umweltstandards unterbindet. Die Wirkung der neuen, starken Konkurrenz auf die westlichen Märkte schildert Steingart mit drastischen Worten. Jeder Konsument hierzulande sei mit kaltem Herzen ein Helfer der Globalisierung, indem er ausschließlich auf den Preis achtet, ohne Rücksicht auf die sozialen Kosten in der Heimat, die eben inländische Produkte verteuern. Asien sei auch keineswegs so friedlich, wie es den Anschein hat. Zu Recht führt er das Beispiel der gewaltigen Aufrüstung in China an. Auch darauf müsse der Westen noch eine angemessene Antwort finden, ähnlich der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.
Steingart macht einige Vorschläge, wie die ökonomische Schwäche des Westens zumindest teilweise zu beheben wäre. Zuallererst müsse die Politik dem Volk die wirkliche Lage ungeschminkt schildern und das "Ende der Volksnarkose" einläuten. Zentraler Ausdruck der Wirklichkeitsverleugnung seien die rasant steigenden Schulden, obwohl die wirklich großen Herausforderungen durch die demographische Entwicklung noch bevorstünden. Zu dieser Wende brauche es eine bewusstseinsverändernde Bewegung ähnlich der Öko-Bewegung. Die Alimentierung weiter Teile der Bevölkerung müsse beendet und ein Notopfer von Wohlhabenden erhoben werden, um damit die Schulden abzubauen. Ferner sei es nötig, den Sozialstaat viel stärker als bisher über Steuern zu finanzieren, so dass sich dann auch zum Beispiel (bei der Mehrwertsteuer) der chinesische Exporteur billiger Schuhe beteiligen müsste, sobald er auf unserem Markt auftritt. Außerdem brauche es eine selbstbewusste Handelspolitik gegenüber Asien, sprich Protektionismus, um unfaire Praktiken abzuwehren. Ein weiterer Schritt ist für Steingart schließlich die Errichtung einer europäisch-amerikanischen Freihandelszone, um bestimmte Standards und Werte leichter durchsetzen zu können. Ein Beispiel: "Länder, die in ihren Grenzen keine freien Gewerkschaften dulden, die Frauen und Kinder genauso ausbeuten wie die Natur, würden nicht länger mit Zollpräferenz verwöhnt".
Steingarts Buch ist in Teilen ärgerlich. Es gibt viele zutreffende Feststellungen, die aber gemischt sind mit fragwürdigen Analysen, sprachlichem Pomp, offenbar nicht ganz zu Ende gedachten Rezepten und außerordentlich gekonnt geschürter Panik durch Kriegsrhetorik. Verkaufen wird es sich also, auch wenn oder gerade weil nur schon der Titel des Buches ein rechter Schmarren ist. Das Werk hat ja sogar eine gewisse Berechtigung, insbesondere weil es die von Steingart beschriebene "Volksnarkose" durch die weit reichende Staatsfinanzierung auf Pump wirklich gibt und es hier unbedingt einer Wende bedarf. Fragwürdig ist aber zum Beispiel die Ökonomie-Nato, die er für die richtige Antwort auf die asiatische Attacke hält. Wirtschaftsexperten halten sie für überflüssig, weil die Handelsbeziehungen zwischen den USA und der EU bereits weitgehend geöffnet seien, vor allem aber würde sie andere Länder diskriminieren und zu Gegenreaktionen einladen, worunter mit Sicherheit der Exportweltmeister Deutschland litte. Die internationale Arbeitsteilung, das ist bislang weder theoretisch noch empirisch widerlegt, hebt, anders als es Steingart glauben machen will, jedenfalls den Wohlstand aller beteiligter Staaten. Gewusst hätte man auch gerne, wo Steingart seine vielen Zahlen herhat, für die er keine Quellen angibt.
Steingarts Buch ist dem Leser also nur eingeschränkt zu empfehlen. Wer sich ordentlich gruseln will vor den asiatischen "Angreifern", der soll es lesen. Es bringt aber den nicht sehr viel weiter, der eine nüchterne Darstellung der Phänomene des Welthandels erwartet. Insbesondere Steingarts überplastischer, überrumpelnder, übersüffiger Stil ist schwer erträglich: Der macht auf 370 langen Seiten (plus ein Interview mit dem Wirtschafts-Nobelpreisträger Samuel Samuelson) außerordentlich viel Wind und das vergrätzt von Seite zu Seite mehr, weil es eben nicht der sachlichen Aufklärung dient.
Rezensiert von Andreas Abs
Gabor Steingart: Weltkrieg um Wohlstand. Wie Macht und Reichtum neu verteilt werden
Pieper Verlag, München 2006
397 Seiten, 19,90 Euro