Ignoranz

Osteuropa? Unwichtig!

Polens Ministerpräsident Donald Tusk am Rednerpult im polnischen Parlament.
Die Wahl des polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk zum EU-Ratspräsidenten hält Arkadiusz Luba für eine schlaue Strategie. © picture alliance / dpa/ Radek Pietruszka
Von Arkadiusz Luba · 03.09.2014
Warum Osteuropa so wenig zu melden hat und warum die Ängste und Bedenken der Polen und der Menschen im Baltikum gegenüber Russland so wenig debattiert werden, das fragt sich der Autor Arkadiusz Luba.
Als Russland mit der Krim-Annexion im März die Wertegemeinschaft verlassen hat, auf der die europäische Nachkriegsordnung beruht hatte, schwiegen die europäischen Mächte. Nur die Polen schwiegen nicht. Der polnische Ministerpräsident Tusk samt seinem Parlament appellierte an die internationale Gemeinschaft, die Annexion nicht zu akzeptieren. Er warnte vor einem "neuen Jalta", wo 1945 die Welt neu aufgeteilt wurde; ohne Beteiligung aller betreffenden Parteien selbstverständlich.
Die Ursachen der Ignoranz des Westens für Osteuropa hingen mit der Christianisierung des Slawentums zusammen. In dem Buch "Die Polen und ihre Vampire" weist die größte noch lebende polnische Intellektuelle Maria Janion darauf hin, dass "die Mythologie und Religion der heidnischen Slawen von den lateinischen Missionaren gering geschätzt und rücksichtslos vernichtet" wurden. Das Christentum habe den Unterdrückern als Deckmantel gedient. Johann Gottfried Herder verglich das Schicksal der Slawen in Europa mit der Eroberung Südamerikas: "In ganzen Provinzen wurden die Slawen ausgerottet oder zu Leibeigenen gemacht, und ihre Ländereien unter Bischöfen und Edelleuten verteilt". Man hat also aus den Slawen Sklaven gemacht. Skandinavische Kaufleute zum Beispiel kamen auf diese Weise zu "Ware für den Tauschhandel mit der islamischen Welt", schreibt Janion. In der Neuzeit wurden die osteuropäischen Völker konsequent an den Rand gedrängt.
So scheint auch heute Osteuropa den Westeuropäern unwichtig zu sein. Während es lange ergebnislos debattiert hatte, besetzten prorussische Separatisten die Ostukraine. Noch vor der Eskalation des Konflikts waren Linken-Chef Gregor Gysi, AfD-Vize Alexander Gauland und der SPDler Erhard Eppler gegen die "Verteufelung" Russlands. Altkanzler Schröder appellierte an den Westen, vernünftig zu sein. Sollte er nicht lieber an Putin appelliert haben?
Westeuropa scheint gelähmt
Auf die schwergeborenen EU-Sanktionen reagierte der Kreml mit seinen Sanktionen und knebelte die Union. Die Verhandlungsgespräche zwischen Deutschland, Russland, der Ukraine und Frankreich erwiesen sich als nutzlos. Außenminister Steinmeier warnte neulich vor einem Krieg zwischen der Ukraine und Russland. Westeuropa scheint gelähmt und hat keine Schlichtungsideen für diesen Konflikt. Viel lieber beliefert es den Nordirak mit Waffen.
Um das einst amputierte Osteuropa wieder mit dem europäischen Kontinent zu verbinden und um auf Augenhöhe miteinander ins Gespräch zu kommen, muss man zu einer leidenschaftslosen und strikten Untersuchung des historischen Mitteleuropas kommen. Aus den dramatischen Erfahrungen Osteuropas könnte Westeuropa lernen. An ein wirklich gemeinsames Europa glaubt auch der polnische Ministerpräsident Tusk, der vor ein paar Tagen zum EU-Ratsvorsitzenden gewählt wurde.
Ist Osteuropa mit Tusk an der Spitze der EU also doch wieder im Kommen? Nicht wirklich, denn der Posten ist mit keiner realen Macht, eher mit einer Koordinierungsfunktion, verbunden. Berlin, Paris und London wollen außerdem nicht, dass der Nachfolger Van Rompuys den mächtigsten EU-Ländern sagt, wo es lang geht. "Wess Brot ich ess', des Lied ich sing" – die Wahl Tusks scheint demnach eine schlaue Strategie gewesen zu sein.
Nun: Ist der Osten verloren? Schade wär’s. Aber darauf muss Westeuropa selber kommen.
Arkadiusz Luba, geboren und aufgewachsen in Allenstein/Olsztyn in ehemaligen Ostpreußen, heute Nordostpolen, lebt und arbeitet als freier Journalist, Autor und Coach in Berlin. 2007 erschien sein Buch über James Joyce "Okno na Joyce'a" (Polskie Towarzystwo Czytelnicze Olsztyn).
Arkadiusz Luba, geboren und aufgewachsen in Allenstein/Olsztyn in ehem. Ostpreußen, heute Nordostpolen, lebt und arbeitet als freier Journalist, Autor und Coach in Berlin. 2007 erschien sein Buch über James Joyce „Okno na Joyce'a" (Polskie Towarzystwo Czytelnicze Olsztyn).
Arkadiusz Luba, Journalist und Autor© Arkadiusz Łuba - privat
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