Identitätsstifter in Zeiten des Umbruchs

Von Joachim Hildebrandt |
Durch die zunehmende Abwanderung junger Menschen drohen die ländlichen Gebiete in den neuen Bundesländern auszubluten. Neues Leben in die Gemeinden bringen dagegen die vielen restaurierten Kirchen, etwa in Brandenburg.
Im Potsdamer Ortsteil Golm gibt es zwei Kirchen. In der neuen Kaiser-Friedrich-Kirche werden die Gottesdienste gefeiert, während die alte Kirche stillgelegt ist. Beim Betreten der fast leeren und weitgehend unsanierten alten Kirche hört man leise Musik. Die Theologin Hanna Löhmannsröben:

"Sie ist im Grunde im Dornröschenschlaf. Die alte Kirche wartet darauf, wachgeküsst zu werden. Wir haben Putze, Mörtel und Ziegel datieren können. Die ältesten von 1458. Und diese Kirche spricht, so stillgelegt sie im Moment auch ist, sie spricht."

Die alte Kirche soll eine offene Kirche werden, soll Pilgerstätte sein und zur Meditation einladen. Hochzeiten und Ausstellungen sind geplant. Auch nach einer Sanierung sollen die Spuren der über 550-jährigen Geschichte noch ablesbar sein.

"Das wird keine heile, chice Kirche, sondern soll so bleiben, wie es jetzt auch ist. Dieser Raum spricht mit all diesen Narben und Verwundungen. Das ist typisch Leben. Du kommst nicht ohne Narben durch, aber du kannst standhalten."

Inzwischen ist der Turm der Kaiser-Friedrich-Kirche instand gesetzt und der 13 Meter hohe Dachreiter historisch getreu erneuert worden. Nur das Dachtragwerk der Saalkirche muss noch saniert werden. Ein bis zwei Mal im Jahr finden hier Konzerte der Studenten der Musikpädagogik der Universität in Golm statt.

Das Angebot an Konzerten in Kirchen ist beträchtlich gewachsen. Das Brandenburger Projekt "Musikschulen öffnen Kirchen" besteht seit drei Jahren mit Erfolg. Die Einnahmen aus den Konzerten werden für die Erneuerung der Kirchengebäude verwendet. Es finden Lesungen, Vorträge und Diskussionen statt. Mit Unterstützung der Kulturstiftung des Bundes hat der "Förderkreis Alte Kirchen" das Projekt "Kunst und Kultur in Brandenburger Dorfkirchen" ins Leben gerufen. Auch in Gortz, einem gerade mal 220 Einwohner zählenden Dorf etwa 14 Kilometer nordöstlich der Stadt Brandenburg, gibt es ein reges kulturelles Leben. Claudia-Karina Rose vom Förderkreis Gortz:

"Fünf Konzerte im Jahr. Zwei davon als Open-Air-Konzerte im Kirchgarten und die anderen in der Kirche."

So ist wieder ein Mittelpunkt im Dorf entstanden. Immerhin kommen zu den Konzerten 120 bis 150 Leute, auch aus den umliegenden Dörfern und selbst aus Berlin.

"Der Turm ist aus der Barockzeit, von 1724. Bei der Sanierung des Dachstuhls haben wir auch eine Künstlerinschrift gefunden, und deshalb können wir jetzt genau datieren, wann die mittelalterliche Kirche barockisiert wurde, nämlich 1724."

Im Zuge der Instandsetzungsarbeiten in den Jahren 2004 und 2005 wurde auch der früher offene Dachstuhl freigelegt. Dabei erlebten die Restaurateure eine Überraschung. Unter den Dielen des Kirchenbodens kam eine farbenprächtige barocke Ausmalung der Kirchendecke zum Vorschein: eine goldene Sonne und ein goldener Mond auf blauem Wolkengrund.

Ermöglicht wurde diese Restaurierung durch Gelder der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und Spenden von Privatleuten. Dazu trägt auch die Stiftung zur Bewahrung Kirchlicher Bauten, KiBa, bei. Sie hat von 1999 bis heute 558 Förderzusagen für Sanierungen in den neuen Bundesländern in Höhe von zehn Millionen Euro geben können. Das Land Brandenburg lag dabei mit 100 Bewilligungen für Sanierungen der Kirchen an vierter Stelle.

Als Tourist staunt man nicht schlecht, wenn in einem Dorf das allabendliche Glockenläuten zu vernehmen ist. Dazu tragen erheblich die zahlreichen lokalen Fördervereine und Initiativen bei. Ein weiteres Beispiel für eine gelungene Kirchenrestaurierung ist die Fischerkirche in Ferch, das zwölf Kilometer südwestlich von Potsdam liegt und etwa 3000 Einwohner hat. Der Pfarrer Gerhard Ruckert:

"Wir haben vor uns ein umgestülptes Fischerboot, weil hier in Ferch auch eine Großzahl von Fischern ansässig war. Und man hat den Fischerkahn dann mit einer Wolkendecke bemalt, die wir so deuten können, dass das der Himmel über dem Schwielowsee ist, an dem Ferch ja liegt, aber uns auch den Himmel Gottes offen macht, von dem zu bestimmten Anlässen der Taufengel, der mitten in der Kirche hängt, heruntergelassen wird, der mit einem Friedenszeichen, einer Palme, die Täuflinge grüßt."

Ferch droht nicht durch Abwanderung entvölkert zu werden, da sich die Gegend um den Schwielowsee zu einem Tourismus- und Wirtschaftszentrum entwickelt hat. Anderswo in Brandenburg haben neu gedeckte Kirchendächer, trockengelegte Fundamente und wiederaufgebaute Nachkriegsruinen vielfach dazu beigetragen, Orten und Dörfern trotz
aller Umbrüche wieder einen Mittelpunkt und eine Identität zu geben.

Literaturhinweis:
"Kirchen in Brandenburg und ihre Hüter" von Kara Huber (Hg.), Prestel-Verlag 2010, 29,95 Euro.