"Ich will keine Fische fangen"

Moderation: Katrin Heise |
Warum Frauen nicht angeln und Männer am Wasser immer so muffig sind, erklärt der leidenschaftliche Rutenwerfer Christoph Schwennicke. Für ihn ist das Angeln ist eine Allegorie aufs Leben.
Katrin Heise: Posen, Blinker, Rute, Spinner, Wobbler, Pilker – na ja, nur Eingeweihte wissen, was diese kryptischen Ausdrücke zu bedeuten haben. Es handelt sich um Anglerzubehör. Und es erscheint schon auf den ersten Blick ganz klar: Angler wollen eigentlich nicht verstanden werden, sie wollen unter sich bleiben.

Jetzt hat sich aber einer aus ihren Reihen aufgemacht und versucht, sie, die Angler, uns zu erklären und auch die Faszination, mit eigentümlichen Klamotten angetan stundenlang unbeweglich am oder im kühlen Nass zu stehen, aufs Wasser zu starren und nichts zu fangen. Es ist der "Spiegel"-Redakteur Christoph Schwennicke mit seinem Buch "Das Glück am Haken. Der ewige Traum vom dicken Fisch". Guten Tag, Herr Schwennicke!

Christoph Schwennicke: Ja, schönen guten Tag!

Heise: Hatten Sie schon mal so einen richtig dicken Fisch am Haken?

Schwennicke: Ja, selbstverständlich! Aber wenn ich jetzt sage, wie groß der war, dann glauben Sie's mir wahrscheinlich nicht …

Heise: Wie groß war der? Drei Meter groß?

Schwennicke: Er war 27 Pfund schwer und war ein stattlicher, großer Karpfen, den ich nur dadurch davon abhalten konnte, unter eine alte Weide zu schwimmen, die dort ins Wasser hing, indem ich wirklich buchstäblich bis zur Brust ins Wasser gespurtet bin und …

Heise: Kein Anglerlatein.

Schwennicke: Kein Anglerlatein, ich schwöre hoch und heilig: Es ist so passiert.

Heise: Wann sind Sie infiziert worden von der Anglerleidenschaft?

Schwennicke: Ja, das erste Mal habe ich es getan im zarten Alter von sieben Jahren. Und es war gewissermaßen der Klassiker. Mein Vater hat mich mit an ein Fischwasser genommen, an ein Forellengewässer, das einem Kollegen von ihm gehörte oder der dort die Fischrechte hatte. Der hat ihm auch noch eine alte Rute geschenkt, wir hatten praktisch kein Equipment, was Sie am Anfang ja auch angesprochen haben. Und da habe ich es zum ersten Mal gespürt, dieses Rucken am anderen Ende der Leine. Und dieses Erlebnis hat mich seither nie mehr losgelassen.

Heise: Also das heißt, wenn man einmal infiziert ist, dann kommt man nicht mehr los davon?

Schwennicke: Ja, ich würde es so pauschal nicht sagen. Bei mir war es jedenfalls so. Und ich kenne ganz, ganz viele, denen es auch so gegangen ist. Ich habe eine kleine Tochter, die ist elf, bei der habe ich natürlich versucht, das, was mein Vater versucht hat, auch zu machen. Da hat es nicht so richtig gezündet, muss ich sagen. Also die interessiert sich …

Heise: Ist das jetzt wieder geschlechtstypisch, weil ich meine, angelnde Frauen, da können wir gleich mal ein großes Geheimnis lüften, gibt es die?

Schwennicke: Es gibt sie, aber sie sind doch sehr selten. Also die meisten Frauen, wenn Sie rumfahren und an die Wasser schauen, an die Seen und Flüsse …

Heise: Ich habe noch nie eine gesehen.

Schwennicke: … meistens sitzen die Frauen im Campingstuhl daneben und lesen irgendwelche bunten Magazine. Das ist sozusagen die höchste Form der Anteilnahme der Ehefrau an diesem seltsamen Tun ihres Mannes. Aber ich muss sagen, die ein oder andere Frau hat sich auf mein Buch hin schon bei mir gemeldet und hat gesagt: Ich tu's auch.

Heise: Wenn wir da jetzt mal von ausgehen, dass Frauen das eigentlich weniger machen als Männer, woran liegt das? Geben Sie uns mal eine Typologie des Anglers!

Schwennicke: Ich glaube schon, dass im Kern dieser archaische Jagdinstinkt dahintersteht und dass der möglicherweise beim Mann mehr verankert ist als bei der Frau. Also ich bin jetzt kein Biologe oder so. Aber ich würde sagen, das ist vielleicht doch bei uns mehr in den Genen als beim weiblichen Geschlecht. Die Typologie: Also mein Lieblingsangler ist eigentlich der Gelegenheitsangler, der ab und zu im Urlaub es mal tut, gar nicht viel Ahnung davon hat, meistens aber sozusagen das Glück des Anfängers ihm hold ist, also Petri Heil ist besonders für den Gelegenheitsangler da.

Und dem gegenüber steht vielleicht das, was ich in dem Buch den industriellen Angler nenne. Der tritt gerne in Rotten von fünf bis sechs Männern meistens eben auf, die sich zusammen einen Kleintransporter mieten und mit dem nach Norwegen fahren und da dann wirklich industriell Hochseefischen betreiben. Und die wollen also mit gefrorenen Fischfilets nicht unter 40 Kilo pro Nase wieder nach Hause fahren, was inzwischen vom norwegischen Staat etwas eingedämmt wurde, es sind nur noch 15 Kilo erlaubt. Das ist die Gegenfigur. Also der Gelegenheitsangler, der es wirklich aus reiner Kontemplation ab und zu tut, und dann derjenige, der eigentlich gar keinen Spaß versteht.

Heise: Sie sind mehr als ein Gelegenheitsangler, aber industriell angeln Sie nicht?

Schwennicke: Ich habe das auch schon gemacht, diese industrielle Angelei, wie ich gerne gestehe. Ja, ich bin irgendwo dazwischen. Ich bin sicher jetzt kein Anfänger mehr, ich bin aber auch kein Profiangler. Irgendwo zwischen dem Gelegenheitsangler und dem industriellen Angler bin ich – Genussangler. Warum? Ich bin der Genussangler, genau, das bin ich.

Heise: Sie sind ein Genussangler, haben aber verraten in Ihrem Buch, dass Sie durchaus auch während - nein, nicht während einer Redaktionssitzung, da würde man Sie wahrscheinlich auch nicht rauslassen -, aber kurz danach hier in Berlin einfach sich irgendwo an die Spree stellen und da die Angelrute reinfahren. Ich meine, kann man das, was man da rauszieht, denn essen? Und Kontemplation ist doch da auch nicht zu finden?

Schwennicke: Ja, es ist tatsächlich sehr urbanes Angeln, das ist gebe ich zu. Ich kann es ganz konkret machen: Es ist direkt an der Marschallbrücke, direkt da, wo die ARD ihr großes Hauptstadtstudio hat. Es ist nicht weit weg von unserem "Spiegel"-Büro und … Also Sie müssen schon … Es ist jetzt nicht dieses reine Naturerlebnis, was Sie dort haben, wenn Sie also, wenn die Ausflugskähne vorbeifahren und Sie wirklich abzirkeln müssen, dass Sie zwischen zwei Kähnen überhaupt mal zum Wurf kommen.

Tatsache ist aber, dass das Wasser der Spree besser ist als sein Ruf. Da gibt es Fischarten – ich will Sie jetzt nicht mit Namen langweilen –, wenn ich die dort sehe, dann weiß ich, dass dieses Wasser vielleicht verdreckt ist durch Müll, aber jedenfalls nicht so chemisch verunreinigt sein kann, wie Sie vielleicht glauben, weil sonst würde diese bestimmte Fischart dort gar nicht schwimmen.

Heise: Das Glück am Haken, die Philosophie des Angelns erläutert uns im Deutschlandradio Kultur der Journalist Christoph Schwennicke. Herr Schwennicke, Sie haben eben diese Rotten von Männern, die da zusammen angeln gehen, angesprochen. Ich kenne eigentlich immer mehr – ich bin nämlich Paddlerin – ich kenne mehr die einzeln stehenden Männer, die irgendwo ihre Angel auswerfen und die dann immer sehr genervt gucken, wenn man als Paddler da vorbeikommt, und noch genervter, wenn man irgendwie fragt: 'Und? Wie beißen Sie heute?' Also gesellig sind Angler nicht.

Schwennicke: Ja, wir sind keine guten Botschafter unserer Sache, das ist eindeutig, deswegen ist ja mein Buch auch der Versuch, hier mal eine Brücke zu schlagen zwischen denen, die es tun, und denen, die es nicht tun. Und ich halte am Anfang auch ein großes Plädoyer an all meine Angelfreunde: Seid nicht so grantig am Wasser, seid nicht so einsilbig, seid nicht so mufflig, freut euch, wenn Leute Fragen stellen, und wenn Sie euch auch manchmal etwas einfältig vorkommen mögen oder ignorant – diese Fragen meine ich natürlich –, geht drauf ein! Wir haben wirklich an unserem Beruf …, an unserem Ruf müssen wir noch deutlich arbeiten, da ist noch viel gutzumachen. Da ist echt noch Luft nach oben.

Heise: Man hört schon, das ist Ihre Berufung. Was ich auch gelernt habe aus dem Buch: Angeln bedeutet nicht, dass man was fangen will.

Schwennicke: Nein. Ich fange relativ …

Heise: Im Gegenteil.

Schwennicke: … relativ provokant an. Es gibt einen berühmten Roman, der heißt "Stiller" und fängt mit dem ersten Satz an: "Ich bin nicht Stiller." Ich habe ein Buch übers Angeln geschrieben. Und der erste Satz heißt: "Ich will keine Fische fangen." Das ist natürlich etwas kokett. Manchmal möchte ich es schon. Aber die Wahrheit ist tatsächlich: Wenn ich beispielsweise am Halensee hier in Berlin sitze - das ist 300 Meter Luftlinie vom Ku'damm weg - und wenn ich da so sitze und in mich versunken bin, teilweise übrigens auch mir meine Geschichten strukturiere, die ich für den "Spiegel" schreibe, und es fliegt ein Eisvogel vorbei und ich beobachte diesen kleinen, wunderschönen Vogel, der auch noch sehr selten ist, und ich mache mir bewusst, das sind wirklich 300 Meter weg vom Ku'damm. Und der macht da seine Tauchgänge und fängt seine kleinen Fischchen. Ja, da kann ich ohne Fisch nach Hause gehen. Der Tag hat sich schon gelohnt.

Heise: Es kann aber auch so was sein wie doch das Nichtanbeißen wie ein Scheitern. Lernt man was als Angler aus diesem Scheitern?

Schwennicke: Ja.

Heise: Also fürs Leben meine ich.

Schwennicke: Ich behaupte ja, das Angeln ist eine Allegorie aufs Leben. Sie können dieses Glücksgefühl, diesen Fisch zu fangen, nur empfinden, wenn Sie neun Mal gescheitert sind. Dann, beim zehnten Mal ist dieses Glücksgefühl da, und es ist wie überall im Leben. Ich schreibe den Satz: "Im Fischen findet das Scheitern seinen höchsten Ausdruck." Aber es ist in jeder Lebenslage so. Sie könnten, natürlich könnte ich in eine Forellenzucht gehen und könnte da reinschmeißen und ich würde permanent Fisch fangen. Das macht überhaupt keinen Spaß. Ich muss scheitern, um dann einmal glücklich zu sein.

Heise: Sie sind mit Minister Ramsauer angeln gegangen. Sie sind in diesem Buch mit mehreren Personen angeln gegangen, aber unter anderem eben mit ihm. Was lernen Sie da dann kennen?

Schwennicke: Mir ist da klar geworden, warum Herr Ramsauer ein Politiker ist, der sehr in sich ruht. Ich glaube, dass er seine Ruhe bezieht von diesem Privatweiher, den er zu Hause im Chiemgau hat, weil es einfach ein Traum ist – er hat sein eigenes Gewässer mit dem Blick auf die Chiemgauer Alpen. Und dieser Mann, den kann man sich wirklich als ausgeglichenen Menschen vorstellen. Und ich behaupte, das hat viel damit zu tun, dass er die gleiche Leidenschaft wie ich, nämlich das Angeln.

Heise: Also jedem sein Fischweiher zu Hause. Was für ein Fisch treibt denn eigentlich einen Mensch in ein iranisches Gefängnis? Sie haben nämlich auch den Angler getroffen, der in die Hochseegebiete vom Iran geraten ist.

Schwennicke: Ja, eine sehr tragische Geschichte, das hat damals Weltpolitik geschrieben, Weltpolitik-Geschichte geschrieben: Donald Klein, ein Steinmetz aus der Pfalz. Es hat ihn kein Fisch in die Hoheitsgewässer des Iran getrieben, denn er und sein Skipper – er war in Dubai im Urlaub – sind immer weiter rausgefahren und immer weiter auf der Suche nach dem Fisch und sind irgendwann vor einer Insel dann zum Stehen gekommen und haben geangelt, die dummerweise aber schon in die Hoheitsgewässer des Iran gehörte, und wurden dann von Marinebooten aufgebracht.

Dann kam noch erschwerend hinzu, dass Donald Klein früherer Bundeswehrsoldat war. Und er wurde dann also als Spion verdächtigt und 15 Monate in einem Geheimdienstgefängnis in Teheran festgehalten, bis ihn dann Hans-Dietrich Genscher mit guten Kontakten im Iran da wieder rausgeholt hat. Also Donald Klein hat wirklich da etwas durchgemacht, aufgrund seines Hobbys. Interessanterweise hat er sich hinterher dem Hobby noch viel mehr verschrieben und hat gesagt: Weißt du, Christoph, ich hab' erlebt, dass das Leben endlich sein kann. Und danach habe ich eigentlich beschlossen, das praktisch nur noch mit Angeln zu bestreiten.

Heise: Also die Bandbreite des Angelns ist doch größer, als man im ersten Moment so glaubt. Und sie wird uns vermittelt in der kleinen Philosophie des Angelns, geschrieben von Christoph Schwennicke! Schönen Dank, Herr Schwennicke, Petri Heil! Wann geht es wieder raus?

Schwennicke: Petri Dank! Ich glaube …

Heise: Jetzt? Oktober ist doch gut.

Schwennicke: … heute Nachmittag. Ja, es ist wunderbar. Es ist Hechtsaison. Ich habe heute Morgen schon gedacht, ich gehe erst zum Deutschlandradio und dann an den Halensee.

Heise: Na, also dann viel Glück, Petri Heil!

Schwennicke: Petri Dank!