"Ich weiß nichts über ihn"

Maxim Biller im Gespräch mit Christine Watty · 19.11.2013
In der Novelle "Im Kopf von Bruno Schulz" gibt sich ein jüdischer Schriftsteller als Thomas Mann aus. Das Buch von Maxim Biller basiert auf realen Figuren. Und doch gibt Biller zu: "Eigentlich interessiere ich mich nur für mich selbst."
Christine Watty: Im polnischen Städtchen Drohobytsch stellt ein seltsamer Typ das Leben auf den Kopf. Er gibt sich als Thomas Mann aus, bringt die Menschen und das ganze Kleinstadtgefüge durcheinander, seltsame Dinge geschehen, für die Bewohner geht von dieser vermeintlich prominenten Gestalt eine Art der zeitweise ziemlich irren Anziehung aus, und nur einer durchschaut das Spiel, Bruno Schulz. Der schreibt alles auf, diese ganze Geschichte des Doppelgängers berichtet er brühwarm dem echten Thomas Mann. – Oder aber er erfindet die ganze Story, um Thomas Mann davon zu überzeugen, ihm zu helfen, seine eigenen Bücher zu veröffentlichen. „Im Kopf von Bruno Schulz“, eine Novelle von Maxim Biller. Und dieser Bruno Schulz und auch der Versuch der Kontaktaufnahme zu Thomas Mann ist keine Erfindung! Bruno Schulz war polnisch-jüdischer Zeichner und Schriftsteller, 1942 erschossen von einem Gestapo-Mann, Anfang 2000 wieder ins Gespräch gekommen, als man Fresken von ihm entdeckte, die Schulz im Auftrag eines SS-Mitglieds anfertigen musste. Wir begrüßen im „Radiofeuilleton“ den Autor dieser Novelle, Maxim Biller, schönen guten Tag!
Maxim Biller: Hallo, guten Tag!
Watty: Ich wollte das Interview eigentlich anfangen mit der Frage: Sie haben die Novelle ja Bruno Schulz gewidmet. Und habe mich dann gefragt, vielleicht haben Sie sie ja auch doch Thomas Mann gewidmet! Wer hat Sie denn eigentlich dazu gebracht, dieses Buch zu schreiben, diese Geschichte aufzuschreiben?
Biller: Diese Frage einem Schriftsteller zu stellen, ist immer sehr …
Watty: Heikel?
Biller: Nein, heikel überhaupt nicht, interessant für den, der die Frage stellt, und schwierig für den Schriftsteller, sie zu beantworten, weil, all diese Gedanken gibt es vorher nicht. Es gibt einfach nur … In dem Fall gab es so den Impuls bei mir, ich habe gelesen, dass tatsächlich Bruno Schulz, der echte Bruno Schulz dem echten Thomas Mann Ende der 30er-Jahre einen Brief geschrieben hat. Das fand ich noch nicht so interessant, aber er hat auch eine Erzählung extra auf Deutsch geschrieben – normalerweise schrieb er natürlich Polnisch, er konnte aber gut genug Deutsch –, die er Thomas Mann schickte, damit der auf ihn aufmerksam wird und ihm dann eventuell hilft, eben im Ausland auch publiziert zu werden, weil ihm das bis dahin nicht gelungen war. Und dass einfach ein Schriftsteller in einer ihm scheinbar fremden Sprache eine Erzählung schreibt, nur damit ein anderer, weil berühmter Schriftsteller ihm hilft, das hat mich vielleicht so ein bisschen angetriggert, da wollte ich irgendwie sehen beim Schreiben – denn beim Schreiben merkt man oft erst, was hinter so einer Geschichte steckt –, was ist das, was passiert da. Und dann brach es aus mir heraus, so wie es aus Bruno Schulz herausbricht.
"Wir leben alle in Widersprüchen"
Watty: Sehen Sie, und beim Lesen entdeckt man ja dann auch immer erst, was hinter einer Geschichte steckt, und daher kam auch diese Frage mit dem Bruno Schulz oder Thomas Mann im Fokus. Aber ich verstehe absolut die Antwort, dass natürlich der Antrieb ein ganz anderer ist, und vor allen Dingen in diesem Fall diese Geschichte. Den Bruno Schulz an sich, den fanden Sie, so wie ich las, erst mal gar nicht so spannend, also zumindest nicht außerhalb dieser Situation, die Sie geschildert haben, dass der eben irgendwann versucht hat, zu Thomas Mann Kontakt aufzunehmen. Hat sich Bruno Schulz und seine Literatur, hat sich das für sie noch anders dann entwickelt, als Sie sich auch mit ihm und der Geschichte mit Thomas Mann beschäftigt haben?
Biller: Ehrlich gesagt – das meine ich jetzt gar nicht narzisstisch – interessiere ich mich eigentlich nur für mich selbst. Und ich glaube nicht, dass die Figur in meiner Novelle, die „Im Kopf von Bruno Schulz“ heißt, dass diese Figur des Bruno Schulz irgendetwas mit dem echten Bruno Schulz zu tun hat. Natürlich, es hilft dem Buch, dass viele Menschen sich auch dadurch jetzt für den echten Bruno Schulz interessieren, ich weiß nichts über ihn. Ich habe seine Briefe gelesen, ich habe seine Erzählungen gelesen, manche finde ich ganz, ganz toll, manche finde ich ein bisschen zu wortreich, zu poetisch. Mich hat, wie gesagt, das Schicksal dieses Menschen interessiert, der – und da würde ich mich wiederholen – eigentlich in einem Moment – und das ist vielleicht das Entscheidende –, in einem Moment, in dem eigentlich klar ist jedem in Mittel- und Osteuropa, dass bald ein Krieg anfängt, den die Deutschen beginnen werden, trotzdem ausgerechnet an einen deutschen Schriftsteller, obwohl der ja nun längst im Exil auch schon ist, schreibt und sich von ihm Hilfe erhofft. Das fand ich so absurd und so interessant und so … in Wahrheit typisch für das Leben, wie ich es kenne. Denn wir leben alle in Widersprüchen. Und ich kenne eigentlich nur mich selbst und diese Widersprüche habe ich bestimmt auch, mit denen habe ich selbst auch fünfmal am Tag zu tun.
Watty: Und wie ist es dann mit Thomas Mann? Wenn Sie sagen, Sie interessieren sich am Ende natürlich für sich selbst, was tut der Thomas Mann in dieser Geschichte, welche Rolle spielt der denn?
Biller: Da haben Sie schon recht, mehr als Bruno Schulz, viel mehr interessiert mich die Figur eines deutschen Schriftstellers, der, als er anfing zu schreiben, ziemlich offen antidemokratisch, antisemitisch, bellizistisch, wie man heute sagen würde, war, er hat ja den Ersten Weltkrieg mit einem riesigen Werk verteidigt, während er zu Hause in der Poschingerstraße in seiner Villa saß, in den „Betrachtungen eines Unpolitischen“. Dieser Mann wurde dann später, nachdem er Mitte der 20er-Jahre seine öffentliche Konversion zur Demokratie vollzogen hatte, eigentlich zu der Lichtgestalt des neuen Deutschland. Und der interessiert mich. Weil, in seinen Tagebüchern, die er dann weiter nur noch für sich schrieb, die aber dann wiederum 50 Jahre später oder 40 Jahre später erschienen, herausgekommen sind, steht eigentlich zu einem großen Teil immer noch der gleiche Unsinn, antidemokratische, antijüdische, antifranzösische, antipolitische Unsinn, den er schon als 25-Jähriger, als 20-Jähriger in Lübeck und später in München gedacht hat. Wie kann gerade ein solcher Mann zu einer solchen Symbolfigur eines neuen, besseren Deutschland werden? Indem er wahrscheinlich genauso ist wie das neue Deutschland: nach außen hui, nach innen pfui. Und das hat mich interessiert. Und dann war es ein glücklicher Zufall einfach, dass ich diese Idee hatte, der jüdische Schriftsteller schreibt dem deutschen Schriftsteller, es gibt einen Doppelgänger von dir! – Und schon konnte ich einfach all das, was ich über Thomas Mann denke, diesem Doppelgänger auf den Leib schreiben. Und das sind keine netten Sachen. Ich meine, der peitscht ja die ganzen Bewohner der Stadt einmal hin und her, durch die Stadt, er lässt sich von denen bedienen, er behandelt sie eigentlich, wie dann später die deutschen Besatzungssoldaten sie behandeln werden.
Watty: Also schreibt Maxim Biller auch einen Brief an Thomas Mann!
Biller: Absolut, ja, genau!
Watty: Maxim Biller im Gespräch im „Radiofeuilleton“ zum neuen Buch, der Novelle „Im Kopf von Bruno Schulz“. Jetzt sind Sie natürlich … Die Frage würde lauten, wie sehr sind Sie in diese Geschichte verstrudelt, das haben wir jetzt auch schon ein Stück weit gehört. Sie haben auch mal gesagt, das ist eine Novelle wirklich über Sie selbst. Das wird immer klarer, wenn Sie beschreiben, dass Sie quasi den Brief an Thomas Mann schreiben. Was meinen Sie noch damit? Dieser große Aspekt, den man natürlich erst mal Bruno Schulz, dem echten Bruno Schulz zuschreiben will, das große Moment der ständigen Angst, diese Melancholie, die Schwere seines Lebens … Kommt die auch von Ihnen? Wahrscheinlich schon?
Biller: Ja, ja, selbstverständlich. Klar, ich könnte ja all diese … Dass man das Leben durch ein gigantisches Vergrößerungsglas sieht und jeden Schmerz sich – den eingebildeten oder den echten – empfindet, tausendfach schlimmer empfindet, das ist natürlich was, was ich kenne, ein bisschen dadurch, wie ich bin, ein bisschen dadurch, dass ich einfach als Schriftsteller in einem permanenten Zustand der Hochkonzentration mich befinde. Und das kenne, das kann ich weitergeben. Aber ich bin so überrascht über etwas anderes. Nicht darüber, wie ich mich selbst wiederfinde in dieser Figur, sondern ich bin überrascht darüber, das soll jetzt nicht kokett klingen … Dieses Buch, diese Novelle wurde ja, glaube ich, von niemandem in ganz Deutschland verrissen. Das habe ich ja überhaupt noch nie erlebt. Und da stehen Sachen drin, die schreibt man in Deutschland normalerweise noch nicht mal über Philip Roth. Warum wird gerade dieses Buch von den deutschen Rezensenten, die ich sowieso alle nicht besonders ernst nehme, warum wird das von denen eigentlich so gelobt? Ich würde Sie gerne fragen wollen: Waren Sie erstaunt, das zu lesen?
Biller empfindet "Der Untergang" als reaktionären Schwachsinn
Watty: Ich war nicht so erstaunt, aber ich kann mir vorstellen, dass tatsächlich dieses große Moment dieser Angst und dieser Schwere, dass das genau auf etwas im Außen trifft, was einen ansprechen kann. Zumindest ging es mir so. Und dass das der Trigger, würde man sagen, oder das Moment, dass das einen auch in diese Novelle reinzieht.
Biller: Ich habe einen anderen Gedanken dann gehabt, vielleicht irre ich mich, und freue mich, wenn Sie mir sagen, dass ich spinne: Seit ein paar Jahren gibt es zwar immer noch weiterhin die mechanische Beschäftigung der Deutschen mit den falschen Momenten ihrer Geschichte – das sind Reden zum 9. November, das sind rituelle Besuche von Schulklassen im Jüdischen Museum oder im Holocaust-Mahnmal in Berlin –, aber ansonsten passiert etwas anderes. Ich würde ganz grob sagen, begonnen hat es mit diesem lächerlichen Film „Der Untergang“ mit Bruno Ganz als Parodie einer Parodie einer Hitler-Parodie von Hitler. Seitdem entdecken die Deutschen, ich würde erst mal sagen, die intellektuellen und nicht so sehr die normalen Deutschen, das Menschliche und das Gute in einer Zeit, die so lange freiwillig oder unfreiwillig verteufelt wurde. Das ging dann weiter zu Lobeshymnen auf die Putschisten des 20. Juli, die ja eigentlich wirklich in letzter Sekunde, als der Krieg schon verloren war, auf einmal den Antifaschisten in sich entdeckt hatten und bis dahin geholfen hatten, Hitler 50 Millionen Menschen, glaube ich, in ganz Europa umzubringen, und ging dann noch weiter zuletzt zu dieser Serie „Unsere Mütter, unsere Väter“, in der man auf einmal sieht, dass eigentlich alle deutschen Soldaten eigentlich nur Menschen waren. In anderen Worten: Diese sehr reaktionäre, sehr chauvinistische Betrachtung der deutschen Geschichte ist, glaube ich, vielen vielleicht nicht bewusst geworden, aber vielen ist es mulmig, da zu erleben. Und ich glaube, sie waren ganz froh, endlich mal wieder ein Buch in der Hand zu halten, in dem ein Mensch, der später von dieser schrecklichen Nazi-Mühle zermahlen wird, als Mensch gezeichnet wird. Nicht als eine Nummer, nicht als ein Name auf einem Holocaust-Mahnmal, sondern als Mensch mit Schmerzen, mit Leiden. Ich glaube, das hat die Menschen sehr, sehr angerührt, die einfach keine Lust mehr haben, sich diesen ganzen reaktionären Schwachsinn von „Der Untergang“ über den 20. Juli zu „Unsere Mütter, unsere Väter“ anzuhören.
Watty: Ich würde natürlich niemals sagen, Sie spinnen, Herr Biller, wie Sie mir vorgeschlagen haben, aber dann sagen Sie mir doch noch kurz: War das auch eine – ich frage nicht nach der Intention, weil, ich habe ja jetzt gerade noch mal erfahren, zu Recht, dass es das im Vorhinein nicht geben kann – aber doch auch eine Idee, genau diesen Menschen dann zu kreieren in der Novelle, damit man sich damit besser fühlt?
Biller: Nein. Aber im Nachhinein bin ich ja so wie jeder, der nicht schreibt, jemand, der seine Zeit erlebt, und diese Zeit macht mit diesem Menschen irgendetwas. Und im Nachhinein würde ich sagen, ja, mir war echt unwohl. Seit Jahren wurde mir immer unwohler. Und wahrscheinlich hat irgendetwas in meinem Unbewussten gesagt, du musst dem was entgegensetzen. Vielleicht so eine Figur wie Bruno Schulz, die einerseits ein Opfer, der Kandidat für einen Tod im Holocaust ist, aber gleichzeitig auch eine sehr gegenwärtige Figur ist, ohne all die Trivialisierungen von Nico Hofmann.
Watty: Danke schön an Maxim Biller! „Im Kopf von Bruno Schulz“ heißt die Novelle, über die wir gesprochen haben. Und sie ist erschienen bei Kiepenheuer & Witsch und ich bedanke mich bei Ihnen für das gute Gespräch! Alles Gute!
Biller: Vielen Dank!
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