Ich sehe was, was du nicht siehst

Die Frage nach dem Bewusstsein ist in letzter Zeit wieder öfter gestellt worden. Sind es für die einen nur Synapsenerregungen, sehen andere Bewusstsein als gegebenen Bestandteil des Universums an. Susan Blackmore skizziert klar verständlich in ihren "Gesprächen über das Bewußtsein" den derzeitigen Forschungs- und Diskussionsstand.
Das Jahr der Geisteswissenschaften geht zu Ende. In den letzten Monaten sind die zuständigen Akademien und Forschungsbereiche nicht müde geworden, ihre Unverzichtbarkeit (die der Geisteswissenschaften und ihre eigene!) gebetsmühlenartig zu beteuern. Wie immer bei solchen wissenschaftspolitischen Großaktionen bleibt ein Nachgeschmack. Als ob es mit Rang und Lebenskraft des Gepriesenen vielleicht doch nicht so weit her sei, wie die Festredner behaupten.

Dass die Philosophie heute mehr sein kann als nutzloser Scharfsinn für Eingeweihte, verdeutlichen Bücher wie Susan Blackmores "Gespräche über Bewusstsein". Ein populärwissenschaftliches Buch in bester angelsächsischer Tradition: klar, problemorientiert und schnörkellos.

Blackmore, selbst eine Psychologin von Rang, hat in den vergangen Jahren für die BBC eine Reihe von Interviews mit führenden Vertretern aus Philosophie, Hirn- und Verhaltensforschung geführt.

Die Fragen, die Blackmore ihren Kollegen stellt, kreisen immer um dasselbe Zentrum: Was ist Bewusstsein? Es ist das faszinierende dieses Buches, das sich aus der vermeintlichen Schlichtheit der Fragen ein schillerndes Kaleidoskop von Forschungspositionen entwickelt, die der gebräuchlichen Unterscheidung von Natur- und Geisteswissenschaften nicht mehr gehorchen.

Seit Réné Descartes die Formel "ich denke, also bin ich" ausgab, ist das westliche Denken vom Problem des Selbstbewusstseins geradezu verhext. Denn was unterscheidet den Satz "Ich denke" von anderen Wahrnehmungsoptionen wie zum Beispiel "Die Katze ist auf der Matte"? Offenbar kommt beim Bewusstsein etwas hinzu, zu dem Individuen einen privilegierten Zugang haben.

Wenn ich eine Farbwahrnehmung habe, dann ist es in gewissem Sinne meine ganz eigene, persönliche Wahrnehmung, die sich durch "Ralf sieht rot" nicht hinreichend beschreiben lässt. Kommt den Wahrnehmungen der ersten Person (im Fachjargon: qualia) gegenüber Beschreibungen aus der Perspektive der dritten Person eine Sonderstellung zu? Ist Bewusstsein etwas, das deshalb über die sachlichen Gegebenheiten der Welt hinausragt und dem Menschen eine Sonderstellung einräumt?

Entschieden nein, sagt der amerikanische Philosoph Daniel Dennett und sieht in der Qualia-Debatte nicht mehr als eine den wissenschaftlichen Verstand verwirrende Folge des "cartesianischen Theaters" von dessen metaphysischem Budenzauber wir uns so schnell wie möglich befreien sollten. Wenn wir genug über die Vorgänge im Hirn wissen, dann wird unsere Vorstellung vom Bewusstsein ebenso entzaubert werden wie unsere Vorstellung vom Weltraum durch die moderne Physik.

So optimistisch ist ausgerechnet mancher Physiker nicht. Denn wenn wir wirklich sämtliche synaptischen Prozesse physikalisch korrekt darstellen könnten, bliebe immer noch die Frage, wie aus dem objektiven Funktionszusammenhang des Nervensystems die subjektive Wahrnehmung der Innenwelt entsteht.

Die steilsten Theorien darüber kommen aus einer Synthese von Philosophie des Geistes und Quantenphysik. Demgemäß (etwa bei David Chalmers und Roger Penrose) entsteht Bewusstsein nicht aus lebloser Materie, sondern ist wie Elektronen und Quarks ein gegebener Bestandteil des Universums. Dass man bisher in Teilchenbeschleunigern noch nicht auf Bewusstseinsquanten gestoßen ist, kann die spekulative Kühnheit der Theorie kaum schmälern.

Susan Blackmore gelingt es nicht nur, einen faszinierenden Aspekt der Grundlagenforschung zu kartographieren. Die Interviewform und der ungezwungene Duktus der Gespräche machen die Lektüre auch für Nicht-Insider zu einem anspruchsvollen Vergnügen: Wissenschaftsjournalismus auf bestem Niveau.

Rezensiert von Ralf Müller-Schmid

Susan Blackmore: Gespräche über Bewusstsein
Übersetzt von Frank Born
Suhrkamp 2007
380 S., 26,80 EUR