"ICH PFEIFE!"

Der herbe Charme des Amateurfußballs

Schiedsrichter zieht die Rote Karte, Symbolbild
Wenn das mal gut geht: Die Rote Karte kann im Amateurfußball schon mal zu handgreiflichen Protesten führen. © Imago / Action Pictures
Von Thomas Jaedicke · 05.06.2015
Geschrei, Schweißgeruch und fliegende Fäuste: Christoph Schröder ist seit 30 Jahren Fußballschiedsrichter in der Amateur-Liga – und liebt es. Warum, berichtet er mit bildhaften Anekdoten in seinem Buch.
Warum wird man Schiedsrichter? Wer tut sich so etwas freiwillig an? Was sind das für Typen, die sich jedes Wochenende für 40 Euro Aufwandsentschädigung plus Kilometergeld auf engen Dorfsportplätzen von aufgebrachten Spielern oder wütenden Zuschauern, die in ihrem Furor spielend leicht das Feld stürmen könnten, anpöbeln, bespucken oder gar schlagen lassen?
Viel zu einfach wäre es, den Reiz dieser Beschäftigung nur mit einem gewissen Hang zum Masochismus oder einer diffusen Lust auf Macht erklären zu wollen. Christoph Schröder macht es sich jedenfalls nicht so leicht. Der 41-Jährige beantwortet diese Fragen in seinem Buch "Ich Pfeife!" ziemlich differenziert. Sein Fall liegt komplizierter. Dass er schon als jugendlicher Torwart nicht gut genug fürs Spiel sein sollte, nur noch die Ersatzbank drücken durfte, war für ihn der Auslöser, das Fach zu wechseln. Er wurde Schiri. Mit 14. Für Schröder liegt in diesem Schritt aber auch eine Kontinuität: In beiden Rollen ist die Perspektive aufs Spiel ähnlich.
Der Schiri: als Randfigur mittendrin
"Es ist die Haltung des etwas beiseite Stehenden, das Geschehen vom Rand her Betrachtenden. Die eines Menschen, der nicht ganz dazugehört und doch mitmacht."
Seit fast 30 Jahren bewegt sich Christoph Schröder inzwischen in der hessischen Fußballprovinz. Er liebt die raue Atmosphäre, die engen, zum Teil nur schwer erreichbaren Plätze mit ihrem individuellen, herben Charme; den Staub, das Geschrei, den Geruch nach Bratwurst, Schweiß und nassem Gras. Christoph Schröder ist ein wahrer Amateur des Fußballs.
Der Provinzfußball als Ausdruck eines funktionierenden Gemeinwesens
Gerade in den ländlichen Regionen, in den hessischen Dörfern ist der Amateurfußball, sind die Spiele am Wochenende, in Schröders Augen immer noch Ausdruck eines "funktionierenden Gemeinwesens"; ein Kitt, der das brüchiger werdende soziale Gefüge noch zusammenhält. Mit täglichen Läufen zwischen sieben und zehn Kilometern hält sich Christoph Schröder, der seine Aufgabe ernst nimmt, fit. Er ist stolz, als Schiedsrichter Teil dieser wichtigen gesellschaftlichen Inszenierung zu sein. Ein guter Schiedsrichter sei wie der Dirigent eines Orchesters, schreibt Schröder: Man braucht Autorität, Einfühlungsvermögen und Gelassenheit. Aber das kommt nicht über Nacht. In Hunderten Spielen, in unzählbar vielen heiklen Situationen habe er die Erfahrung gesammelt, die es braucht, um nun – mit über 40 – ein guter, souveräner Schiedsrichter sein zu können.
Mit vielen bildhaften Anekdoten beschreibt Christoph Schröder, wie er den hessischen Amateurfußball aus der Schiedsrichterperspektive erlebt. Es ist eine derbe, rustikale Männerwelt, wo ein Schnaps ein Schnaps und ein Wort noch ein Wort ist. Um das zu bewahren, diese Ordnung und den Glauben ans Gute, pfeift Christoph Schröder auch in der sechsten Minute der Nachspielzeit, beim Spielstand von 2:2, noch einen Strafstoß für die Gastmannschaft. Hut ab!

Christoph Schröder: ICH PFEIFE! Aus dem Leben eines Amateurschiedsrichters
Tropen-Verlag, Stuttgart 2015
221 Seiten, 16,95 Euro

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