"Ich möchte nicht als Migrant bezeichnet werden"

Moderation: Klaus Pokatzky |
Begriffe wie "Ausländer" und "Migrationshintergrund" wirken ausgrenzend, sagen Sezen Tatlici-Inci und Joshua Lupemba vom Verein "Typisch Deutsch e.V.". Sie sprechen stattdessen von Neudeutschen und Altdeutschen.
Klaus Pokatzky: Das ist richtig typisch deutsch: Einen Verein gründen, der den Namen trägt: "Typisch Deutsch e.V."! Deutscher geht es gar nicht mehr! Definieren statt integrieren, lautet das Motto. Unsere Eltern – so schreiben die Vereinsmitglieder –, unsere Eltern sind aus Ghana, Italien, Türkei, Iran, Korea, Syrien, Libanon, Afghanistan, USA, Ost- und Westdeutschland, doch wir sind typisch Deutsch! – Willkommen im Studium, Sezen Tatlici-Inci und Joshua Lupemba!

Joshua Lupemba: Danke schön!

Sezen Tatlici-Inci: Danke, dass wir da sein dürfen!

Pokatzky: Was ist das Neue, das Sie darstellen, das Neudeutsche? Sie bezeichnen sich ja auch gerne als neudeutsch.

Tatlici-Inci: Richtig. Also, mich stört an den ganzen Debatten, die wir jahrelang geführt haben, dass immer Worte benutzt werden, die sehr ausgrenzend sind. Worte wie Ausländer, Migrant. Ich möchte nicht als Migrant bezeichnet werden oder als Ausländer. Ich bin in Berlin geboren und aufgewachsen, ich bin ’ne richtige Berliner Göre und dies ist mein Land. Ich bin nie hierher immigriert, also möchte ich auch …

Pokatzky: … also Migrationshintergrund mögen Sie auch nicht hören? Warum nicht?

Tatlici-Inci: Das ist eine ganz interessante Debatte, die wir auch innerhalb des Vereins führen. Für mich persönlich ist es jetzt einfach so, das ist kein Vereinsstatut, aber für mich persönlich ist es auch negativ behaftet, absolut.

Pokatzky: Warum?

Tatlici-Inci: Ich denke, diese ganzen Debatten haben dazu geführt, das negativ behaften zu lassen, dieses Wort.

Pokatzky: Welche ganzen Debatten meinen Sie im Speziellen jetzt Sarrazin auch?

Tatlici-Inci: Ja, auch die Sarrazin-Debatte, aber auch, was halt vorher und nachher geschehen ist. Also, es geht um die Sichtweise auf Leute, die in diesem Land leben. Und immer diese Ausgrenzung zu machen – das sind Leute mit Migrationshintergrund, also, die gehören eigentlich gar nicht hierher –, eigentlich, eigentlich, immer dieses eigentlich … Und deswegen denke ich, dass Neudeutsch ein guter Kompromiss ist für jetzt. Es ist natürlich so, dass der Begriff nicht der Idealzustand ist, den ich gerne hätte, ich würde es gerne so haben wie in den USA, wo die Menschen einfach sagen, ich bin Amerikaner, und erst im zweiten, dritten Satz erwähnen, dass sie Afroamerikaner sind oder was auch immer. Um dort hinzukommen, glaube ich, dass Neudeutsch und Altdeutsch eine Brücke darstellt.

Pokatzky: Nun hat Thilo Sarrazin natürlich auch einen Migrationshintergrund, nämlich den hugenottischen, genau so, wie der Moderator Pokatzky diesen polnischen Migrationshintergrund hat. In diesem Lande gibt es wahrscheinlich wenige, die keinen Migrationshintergrund haben, also kein Migrationshintergründling sind sozusagen. – Aber zum Motto Ihres Vereines: Definieren statt integrieren. Was haben Sie gegen Integration?

Lupemba: Also, das Wort an sich stellt ja dar, dass eine Gruppe sozusagen außen steht und sich hineinbringen muss und wir finden halt, dass das zu sehr auf die Schwächen hinweist, anstatt die Stärken deutlicher zu machen. Wir glauben, dass, wenn die Stärken deutlicher gemacht werden wie bei der Inklusion, dann motiviert es viel mehr, an den Schwächen zu arbeiten. Und wir brauchen eine motivierende Strategie, um die Menschen in Deutschland zu vereinen. Und deswegen sind wir einfach der Meinung, dass Integration nicht die beste Strategie ist.

Pokatzky: Dann definieren Sie doch jetzt mal Deutsch auf allerstärkste, allerpositivste Weise, wo Sie sagen können: Das ist so toll, deshalb bin ich gerne deutsch!

Tatlici-Inci: Als ich in Amerika gelebt habe, in den USA, wurde mir ganz oft gesagt: "You are so German", du bist ja so was von deutsch, das ist ja unglaublich! – Dann habe ich immer gefragt, warum denn? – Ja, du bist immer pünktlich zu Meetings und du bist immer irgendwie so ordentlich und vorbereitet und überhaupt und du sagst auch immer, was dir auf dem Herzen liegt! – Das fand ich ganz interessant, dass das als Deutsch betrachtet wird im Ausland, dass es halt diese Tugenden gibt, die wir alle kennen. Und ich glaube, dass wir Kinder, die hier aufgewachsen sind, sehr viel von diesen Tugenden auch mitbekommen haben. Ob wir das wollen oder nicht, es ist einfach so, dass wir wissen, dass diese Dinge wichtig sind. Ich würde niemals sagen, dass ich die Weisheit mit Löffeln gefressen habe, ich möchte eher einen Dominostein in Deutschland anstoßen, sodass wir uns alle gemeinsam mal hinsetzen und überlegen, was ist denn eigentlich Deutschsein? Und wieso darf eine Sezen Tatlici-Inci nicht deutsch sein, warum ist sie eine Ausländerin?

Pokatzky: Aber wenn Sie die Vereinigten Staaten jetzt so als Vorbild nehmen: Dazu gehört ja, dass, wenn ich eingewandert bin … - Wäre Einwanderer vielleicht ein Name, der dann ein bisschen unverfänglicher wäre, eine Bezeichnung? – Wenn ich also eingewandert bin, ich bekenne mich zum Land, ich lege den Eid auf die Verfassung ab, ich gehöre dann, wenn ich Kind der Eingewanderten bin, werde ich jeden Morgen mein Schulgebet machen, die US-Flagge wird gehisst, ich singe die Nationalhymne … Finden Sie, dass solche Rituale dann auch hilfreich sein können?

Tatlici-Inci: Ja, also ich denke, dass in den USA einige Sachen etwas überzogen sind, es gibt immer auch einen Mittelweg und …

Pokatzky: … aber könnte es helfen, wenn an einer Schule in Neukölln, an diesen berühmten Problemschulen, wenn die Schüler, die da ja dort in der Regel doch aus der ganzen Welt zusammengeströmt sind – ich sage jetzt nicht den Eindruck, dass sie einen Migrationshintergrund haben ...

Tatlici-Inci: … sie sind Neudeutsche …

Pokatzky: Neudeutsche … wenn die jeden Morgen die deutsche Nationalhymne singen und dann würde die schwarz-rot-goldene Flagge aufgezogen, würde das helfen können?

Lupemba: Ich glaube, die Herausforderung liegt gar nicht so sehr darin, in dieser Frage, was ist Deutsch, sondern wie ist Deutsch. Ich glaube, es geht um das gesellschaftliche Zusammenleben, was unser Anstreben ist. Wir sagen immer, wir haben in Deutschland Freiheit, wir haben in Deutschland Recht, aber die Einheit, an der müssen wir noch arbeiten.

Pokatzky: Sie hätten gerne eine Verbuntung unserer Gesellschaft. Hätten Sie auch gerne etwas mehr Humor in dieser ganzen Debatte? – Ich meine, der Vereinsname klingt ja nun wirklich danach, das ist ja nicht nur Provokation, das ist ja auch Spiel mit Ironie!

Tatlici-Inci: Ja, wenn man sich den Film auf unserer Website anschaut, auf jeden Fall! Wenn sieben Menschen, die wirklich supermultikulti aussehen, sagen, dass sie typisch Deutsch sind, und der Name wird eingeblendet, ist das natürlich auch der Fall. Aber es ist nicht so, dass ich gerne eine Verbuntung der Gesellschaft hätte, es ist Fakt, dass wir eine bunte Gesellschaft haben. Und da geht es überhaupt nicht nur um Neudeutsch und Altdeutsch. Das Altdeutsche allgemein ist zu heterogen. Und es war nie diese homogene Masse, die immer so dargestellt wird. Ein Bayer und ein Ostfriese – weiß man nicht, ob man die wirklich so gemeinsam in einen Topf schmeißen kann! Und wenn wir merken, dass wir alle verschieden sind, selbst eben die Altdeutschen untereinander, dann wird es uns einfacher fallen, Menschen dazuzuzählen.

Pokatzky: Sie sind im letzten Schuljahr zweimal an Schöneberger Schulen gegangen, in die neunten Klassen. Was machen Sie da genau?

Lupemba: Unser Ziel ist, das Thema "gesellschaftliches Zusammenleben" hervorzuheben und die Notwendigkeit der Identität und den Bezug auf die Gesellschaft – sei es jetzt Deutsch oder es könnte auch eine andere Nation sein – wirklich klarzumachen. Und es geht mit dem Ziel, Verantwortungsbewusstsein in den jungen Leuten hervorzurufen. Wir vertreten die Meinung, dass es wichtig ist, dass die jungen Menschen das selber finden, in dieser Stunde eine Entdeckungsreise durchgehen, wo sie am Ende des Tages hoffentlich mit einer guten, oder mit einer Erweiterung ihres Denkens übers Deutschsein hinausgehen.

Pokatzky: Was sind das für Schulen, sind das diese berühmten Problemschulen, wie wir sie ja aus den Schlagzeilen in Neukölln vor allem kennen, also wo Sie wirklich mit einem hohen Anteil von Menschen, deren Vorfahren aus der ganzen Welt nach Deutschland zusammengeströmt sind, zu tun haben?

Lupemba: Ja, natürlich, wir wollen dort hingehen, wo die Thematik einfach am notwendigsten ist, dort, wo die jungen Leute in ihrer Identität "strugglen" oder kämpfen …

Tatlici-Inci: … die Akzeptanz fürs Deutschsein auch noch nicht so da ist, beziehungsweise es beginnt damit, dass wir sagen, du musst deine Identität finden, um Selbstvertrauen aufzubauen. Dies wird wiederum dazu führen, dass du Loyalität zu dem Land bekommst …

Pokatzky: Die Identität ist dann eine neudeutsche Identität?

Tatlici-Inci: Genau, eine neudeutsche Identität, um zu verstehen, dass sie Teil dieses Landes sind. Weil diese Schüler haben so viel Ausgrenzung erfahren, haben so viele negative Begriffe erfahren, dass man ihnen endlich zeigen muss: Ihr gehört dazu!

Pokatzky: Wenn ich Sie als Vereinsmitglieder jetzt hier habe, Sie haben Wirtschaft studiert, Sie haben ein B.A. in Business Administration, Sie sind evangelisch-freikirchlicher Pastor, Herr Lupemba … Ja, das ist ja, neudeutscher, besser geht es ja überhaupt gar nicht! Aber wenn wir uns jetzt die Masse derjenigen, die wir als Problemfälle wahrnehmen, ansehen, die Schwierigkeiten haben – wenn wir uns jetzt wieder die neusten Statistiken ansehen –, überhaupt einen Schulabschluss zu bekommen … Ja, hören die Ihnen denn überhaupt zu?

Tatlici-Inci: Also, bei mir ist es zum Beispiel so, meine Eltern sind ganz normale Gastarbeiter, haben nicht studiert, sind keine Akademiker. Nach einem bestimmten netten Herrn wäre es ja so, dass ich das auch nicht hätte schaffen können. Ich glaube, dass wir indirekt auch damit Motivation schaffen, weil wir als Vorbilder dastehen, ohne das jetzt auch so sagen zu wollen, hallo, ich will jetzt euer Vorbild sein! Aber wenn ich mich dort hinstelle und sage, Leute, ich komme aus Schöneberg und meine Eltern sind auch nur Gastarbeiter gewesen – also, was heißt "nur", das darf man auch gar nicht so abwertend sehen, sondern einfach sagen, die sind keine Akademiker, aber die haben alles dafür getan, damit ich weiterkomme im Leben –, und wenn ich dann erzähle, ich komme aus so einem Elternhaus und trotzdem habe ich es geschafft in den USA zu leben oder in Dubai zu leben und ich habe studiert, dann ist das eine extreme Motivation für diese Kids. Im Türkischen gibt es ja auch diesen Begriff "abla", das bedeutet so "große Schwester", da heißt es so: "Sezen abla, du hast es geschafft, du hast was gemacht". Und ich möchte denen zeigen, dass sie es können, dass es eigentlich nur eine Frage der Einstellung ist.

Lupemba: Und ich persönlich, ich habe kein Abitur gemacht, ich habe einen erweiterten Hauptschulabschluss gehabt, habe eine sehr durchwachsene Schulkarriere. In der Oberschule habe ich drei verschiedene Oberschulen besucht mit, auch eine Hauptschule, wo ich in einer Integrationsklasse war. Für mich das prägendste Erlebnis war der Tag, wo wir Berufsfindung hatten in der Hauptschule und der Lehrer uns angeboten hat zwischen Maler, Maurer und Schreiner. Und ich habe zu der Zeit privat halt mich im Bereich Musikbusiness bewegt und habe dort mit einem Musikmanager einfach so Assistenzlaufarbeit gemacht. Mein Wunsch war, Musikmanager zu werden. Und habe das dann geäußert und dann wurde mir ganz klar mitgeteilt, das ist nichts für dich, ihr Kinder, ihr könnt so was nicht werden. Ich glaube …

Tatlici-Inci: … mir wurde zum Beispiel auch gesagt, dass ich niemals mein Abitur schaffen werde und ich glaube …

Pokatzky: … ist das typisch Deutsch?

Tatlici-Inci: Nein! Das müssen wir den Schülern beibringen und sagen: Egal, was die Leute um dich herum sagen und tun und wie sie versuchen, dich runterzuziehen: Du musst versuchen, irgendwo einen Stromhalm zu finden, wo du dich wieder hochziehst. Das ist ein Weg oder das ist eine Sache, die sie noch nie gehört haben. Und dass sie wichtig sind für dieses Land, das haben sie noch nie gehört. Und ich möchte hier auch noch mal betonen, dass das kein neudeutsches Problem ist. Wir haben sehr viele altdeutsche Kinder, die auch Identitätsdefizite haben, wir müssen alle unsere deutschen Kinder zusammen nehmen und ihnen den Weg zeigen in eine positive Zukunft.

Pokatzky: Danke, Sezen Tatlici-Inci und Joshua Lupemba vom Verein Typisch Deutsch e.V.!

Tatlici-Inci: Wir danken Ihnen!

Lupemba: Wir danken Ihnen!

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