"Ich kann diese Opferrolle nicht übernehmen"

Petros Markaris im Gespräch mit Matthias Hanselmann · 05.07.2011
"Es ist eine Art griechische Tradition, sich in einer Opferrolle zu sehen", sagt der griechische Schriftsteller Petros Markaris, dessen Krimi "Faule Kredite" über die Griechenland-Krise heute erscheint. Dass sie große Fehler gemacht haben, würden viele Griechen nicht öffentlich, sondern nur im privaten Gespräch zugeben.
Matthias Hanselmann: Eigentlich sollte sein neuer Krimi erst im Herbst erscheinen, jetzt zieht der Verlag die Veröffentlichung vor. "Faule Kredite" heißt der neue Roman des griechischen Autors Petros Markaris, der heute erscheint. "Faule Kredite" ist eine Geschichte, die mitten in der griechischen Finanzkrise spielt: Ein Bankenkrimi, ein Buch über Morde an Bankenchefs in Griechenland und an dem Chef eines Inkassounternehmens, das Schulden eintreibt. Autor Petros Markaris ist jetzt für uns am Telefon in Athen. Guten Tag, Herr Markaris!

Petros Markaris: Guten Tag!

Hanselmann: Ihr Protagonist ist wieder der Polizeikommissar Kostas Charitos, und der steht gleich am Anfang der Geschichte vor einem Problem – nämlich seine Tochter heiratet, und er will sie mit einem ansehnlichen Auto zum Standesamt fahren. Sein alter Fiat, den er liebt, taugt dazu nicht mehr. Schließlich kauft er einen SEAT Ibiza. Keinen VW, keinen deutschen, keinen Peugeot, keinen französischen, wie ihm Kollegen geraten haben. Wieso kauft er eigentlich einen SEAT Ibiza?

Markaris: Ja, also, der künftige Bräutigam erklärt ihm das und sagt: Weißt du, die Spanier, die sind nicht besser dran als wir. Also sollte man Solidarität zeigen, bei denen kaufen, die auch in einer Krise stecken. Und so überredet er ihn, einen SEAT Ibiza zu kaufen.

Hanselmann: Also sozusagen die gegenseitige Hilfe unter den armen Ländern.

Markaris: Ja, ja, eben.

Hanselmann: Als Sie begonnen haben, den Roman zu schreiben, zeichnete sich die Krise ja gerade erst ab, das war, glaube ich, im April 2010, und dann überschlugen sich die Ereignisse. Eigentlich ungewöhnlich, dass ein Autor sich beim Schreiben von den aktuellen Ereignissen leiten lässt. War das auch für Sie eine neue Erfahrung?

Markaris: Ja, Sie haben völlig recht, es ist nicht nur ein seltener Prozess, wenn man über ein Thema schreibt, das im Werden ist, das in der Entwicklung steht. Und da steckt für den Autor doch ein ziemlich großes Risiko drin, denn Autoren, wie Sie wissen, sind ja keine Journalisten. Sie schreiben nicht Tag für Tag, sondern sie warten es ab, bis sich das Ganze einfach beruhigt hat, das Thema sich beruhigt hat, und klar da vor seinen Augen steht – vor den Augen des Autors, meine ich. Ja, ich habe das dieses Mal – das Thema – als Ausnahme behandelt und habe gesagt: Ich werde mal versuchen, einen Roman zu schreiben, der die Krise schon während ihrer Entwicklung mit in die Geschichte aufnimmt.

Hanselmann: Welche Wirkung hat das bei Ihnen erzielt? Was ist da bei Ihnen vorgegangen?

Markaris: Ich wollte ja nur für mich selbst einmal versuchen, festzustellen, ob es eigentlich für mich möglich wäre, diese Krise so aus der Nähe zu beobachten, dass ich während der Krise Schlussfolgerungen ziehe oder Betrachtungen mache, die es wert wären, in eine Geschichte übernommen zu werden.

Hanselmann: Das Ergebnis liegt vor, das Buch ist raus, und es ist Ihnen bestens gelungen! Haben Sie eigentlich während des Schreibens auch immer mal wieder in der Finanzwelt recherchiert?

Markaris: Ja, ich habe immer wieder in der Finanzwelt recherchiert und ich habe auch mit vielen, sagen wir, Ökonomen gesprochen. Einige davon sind gute Freunde. Und ich ließ mir das Ganze einmal so gründlich erklären, und ich wollte auch ihre Meinung haben, wie das weitergehen wird oder weitergehen soll. Und ich habe das alles irgendwie beim Schreiben ausgewertet, und so habe ich weitergeschrieben.

Hanselmann: Sie stellen Ihrem Buch ein bekanntes Brecht-Zitat aus der Dreigroschenoper voran: "Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?"

Markaris: Ja, (…) (Anm. d. Red.: Auslassung, da schwer verständlich).

Hanselmann: Herr Markaris, wollen Sie die Banken damit zu den Hauptschuldigen an der Krise erklären?

Markaris: Schauen Sie, seit 2008 – und Sie wissen es so gut, wie ich es weiß! – gibt es eine Zusammenarbeit – teilweise, teilweise eine Auseinandersetzung – mit den Banken, und die ganze Krise hat ja 2008 von den Banken von Lehman Brothers angefangen. Nun, einerseits ist es so, dass Griechenland nicht solche, sagen wir, Investitionen hatte, Bankinvestitionen, die eigentlich das Land zugrunde gerichtet haben. Trotzdem ist es aber auch wahr, dass die Banken in der Entstehung dieser Krise eine wichtige Rolle gespielt haben. Und zwar viel mehr, weil sie die Leute durch billige Kredite, durch geliehenes Geld so weit verführt haben, dass die Leute einfach die Kontrolle verloren haben. Die Banken haben bei den Griechen den Eindruck erweckt, dass die Kredite, die sie bekommen, einfach geschenkt wären, dass sie nie soweit kommen würden, dieses Geld zurückzuzahlen! Und das war natürlich eine Illusion und eine ganz katastrophale Illusion. In diesem Sinne tragen die Banken auch einen Teil der Schuld. Sie sind nicht die einzigen Schuldigen, aber Sie müssen auch ja davon ausgehen, dass das ganze Thema als Trilogie gedacht ist. Also das "Faule Kredite" ist der erste Roman einer Trilogie, es werden noch zwei weitere folgen.

Hanselmann: Also, man merkt, die haben Lust daran bekommen, sozusagen aktuell kommentierend zu schreiben. Sagen Sie mal ganz ehrlich – Hand aufs Herz! –, in Ihrem Roman müssen drei Bankdirektoren sterben, auch der Chef eines Unternehmens, das Schulden eintreibt, wird ermordet. Sitzt man da als Schriftsteller auch am Schreibtisch und reibt sich ein bisschen die Hände und nimmt Rache?

Markaris: Na ja, also, ehrlich gesagt – Rache würde ich nicht sagen, aber traurig werde ich auch nicht!

Hanselmann: Okay, alles klar. Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit dem griechischen Krimiautor Petros Markaris über sein Buch "Faule Kredite", einen Roman, der die Krise beschreibt und kommentiert, zwei weitere sollen noch folgen. Hoffentlich wird es nicht eine unendliche Geschichte, Herr Markaris!

Markaris: Nein, nur, weil Sie das erwähnen: Ich habe mittlerweile die Hoffnung, dass eine Trilogie ausreichen wird und nicht aus der Trilogie eine Tetralogie erscheint!

Hanselmann: Das wünschen wir vor allem auch Ihrem griechischen Volk!

Markaris: Danke schön!

Hanselmann: Ihr Kommissar, der sagt – oder er bemitleidet sich im Roman: "Angesichts der bevorstehenden drastischen Lohnkürzungen werden wir aus Spargründen gezwungen sein, sogar noch unsere Scheiße zu trocknen, um sie weiterzuverwerten! Anderthalb Monatsgehälter weniger, das ist für niemanden ein Klacks!" Ist das eine Art griechische Tradition, sich in dieser Opferrolle zu sehen?

Markaris: Ja, es ist eine Art griechische Tradition, sich in einer Opferrolle zu sehen, das tun die Griechen gern. Andererseits muss ich, was meinen Kommissar angeht, sagen, dass sowohl er selbst, aber auch seine Frau aus einer Generation stammen, die eigentlich die Armut, sagen wir, am eigenen Leib kennengelernt hat. Sie sind in ganz ärmlichen Umständen aufgewachsen, können deswegen auch mit der Armut besser umgehen. Und ich kann nur das sagen: Wenn Sie heute in Athen wären und auf der Straße ins Gespräch kommen würden mit Leuten, die so um die 60 sind oder älter, die würden Ihnen sagen: Ja, weißt du, das ist doch gar nicht neu für uns, wir haben ja auch als arme Leute in armen Familien, da sind wir aufgewachsen. Also, wir müssen noch einmal das durchmachen. Wir wissen schon, was wir zu tun haben! Das Problem sind die jüngeren Generationen, die sind ja in einer Gesellschaft aufgewachsen, die auf Pump gelebt hat! Sie kennen die Armut nicht, und sie reagieren fast hysterisch drauf!

Hanselmann: Wie waren eigentlich die Reaktionen in Griechenland auf Ihren Roman? A propos!

Markaris: Die waren sehr positiv. Ich glaube, der Roman – ich kenne die genauen Zahlen nicht, aber soweit mir mein Verleger gesagt hat, hat er sich am besten verkauft. Sogar besser als der vorige Roman, "Die Kinderfrau", der schon ein großer Erfolg war. Und ich kann auch die Reaktion darauf, sagen wir, bewerten. Ich habe also auch mit Leuten gesprochen, die sagen: Ja, Sie haben recht, so ist es gegangen, wir haben auch Fehler gemacht. Und was sie nicht offiziell sagen, das ist auch ein Teil, sagen wir, des griechischen Charakters – es kann sein, dass sie vieles nicht offiziell sagen, öffentlich sagen, aber wenn man sich mit ihnen auf privater Ebene unterhält, dann sagen sie schon: Ja, wir haben auch große Fehler gemacht. Was sie öffentlich nicht so recht zugeben, wollte ich sagen!

Hanselmann: Wie geht es Ihnen eigentlich selbst? Sie sind der bekannteste Krimiautor Griechenlands – müssen Sie dennoch kürzer treten oder – wie wir sagen – den Gürtel enger schnallen?

Markaris: Schon deswegen, weil es gibt eine allgemeine Stimmung – man muss den Gürtel enger schnallen. Dabei ist es irgendwie eine Herausforderung, wenn man das auch selbst nicht getan hätte. Mir geht es nicht so schlecht und ich kann nicht klagen, denn es gibt Leute in Griechenland heutzutage, denen es viel, viel schlechter geht. Mir passt es auch nicht, ich kann diese Opferrolle nicht übernehmen, das geht bei mir nicht. Das ist mir ganz fremd. Ich sage: Ja, ich habe einiges kürzen müssen! Aber ich lebe trotzdem ganz anständig, vor allem verglichen oder gemessen an anderen Griechen!

Hanselmann: Vielen herzlichen Dank! Petros Markaris, Autor des Romans "Faule Kredite", erschienen Diogenes. Danke schön nach Athen!

Markaris: Danke Ihnen auch!
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