Ich ist eine andere
In ihren Fotografien erscheint Cindy Sherman als Chamäleon: als Mann oder Frau, verruchte Diva, biedere Hausfrau, Mordopfer, Irre oder Clown. Immer wieder anders setzt sie ihren Körper, ihr Gesicht in Szene, kreiert Rollen und Situationen. Das Pariser Jeu de Paume widmet ihr jetzt eine große Retrospektive.
"Doll Clothes" also "Puppenkleider" heißt ein Schwarz-Weiß-Super-8-Film, den Cindy Sherman 1975 gedreht hat: Eine Anziehpuppe – dargestellt von Cindy Sherman - wird da lebendig, blättert sich durch jede Menge Puppenklamotten – Hosen – Röcke – Anzug – Shorts - entscheidet sich für ein Kleid, zieht es an, betrachtet sich im Spiegel und wird schließlich von großen Händen wieder nackt zurückgesteckt ins Puppenfach. Im Abspann dann kehrt sie wieder – der Körper Cindy Shermans nicht einmal, sondern vielfach – ein, zwei, drei … immer mehr Anziehpuppen - eine multiple Figur. Mit diesem kurzen, vorher noch nie gezeigten Film präsentiert die Pariser Ausstellung eine sehenswerte Rarität: das Anziehpuppen-Spiel von 1975. Es wirkt im Rückblick wie ein Vorfilm, wie ein Trailer für das permanente Rollen- und Verkleidungsspiel, das Cindy Sherman seither inszeniert. Auf ihren Fotografien erscheint sie als Schulmädchen mit Kniestrümpfen und Karorock, als blondes Luder mit Spitzendessous, als Lady mit Perlenkette – und entlarvt so Klischee-Vorstellungen von Weiblichkeit, inszeniert für den männlichen Blick.
Kurator Regis Durand. "Sie hinterfragt die Stereotypen weiblicher Identität, wie sie in der Werbung, im Kino, im Fernsehen dargestellt sind. Sie geht dagegen an, zerstört das verführerische Bild der Frau. Aber ihre Arbeit ist mehr als eine feministische Geste, sie geht einen Schritt weiter, auf eine Art, die auch Männer betrifft."
Denn in den Fotografien von Cindy Sherman geht es nicht nur um weibliche Rollenmuster, es geht um die Frage der Identität schlechthin. Die Serie "Hollywood/Hampton Types" aus den Jahren 2000 bis 2002 zum Beispiel zeigt, so Cindy Sherman, "in Vergessenheit geratene Schauspieler, die für Porträtaufnahmen posieren, um sich damit für einen Job zu bewerben." Da blickt ein in die Jahre gekommenes Mädchen mit Zopffrisur im lila Kleid wässrig ins Leere, eine andere gibt sich selbstbewusst – doch ihr Diven-Outfit mit Perlenohrringen ist nur fast perfekt – auf der gebräunt glänzenden Haut sind weiße Badeanzugstreifen zu sehen; daneben lächelt eine aufgedonnerte Blondine gequält in verkrampfter Pose, die Arme vor der Brust verschränkt. Eine Bilderserie, die Kurator Regis Durand besonders stark beeindruckt:
"Sie sagt viel aus über den Identitäten-Kommerz. Darüber, dass jeder versucht, ein Bild von sich zu verkaufen. Aus verschiedenen Gründen, aus beruflichen, seelischen oder psychischen Gründen versucht jeder, die anderen zu verführen. Diese Fotoserie finde ich wirklich erschreckend, weil sie diese Verführungsmechanismen und die Angst der Menschen bloßstellt: Werde ich den anderen gefallen? Werde ich ausgewählt, werde ich akzeptiert werden?"
"Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich je völlig ich selbst bin", hat Cindy Sherman einmal gesagt, "außer wenn ich ganz allein bin." Und so sind ihre Arbeiten – auch wenn sie sich selbst als Bildträger benutzt – alles andere als narzisstische Selbstporträts.
"Vom Selbstportrait ist sie sehr weit entfernt. Es geht eher um eine psychische, soziale und politische Erkundung, bei der sie sich selbst als Vehikel verwendet – allerdings nicht immer: Es gibt auch Bilder, auf denen sie nicht erscheint."
Die Sex-Pictures von 1992 etwa delegieren das sexuelle Begehren an Schaufensterpuppen. In obszönen Posen, einem wilden Durcheinander von Plastikkörperteilen zeigen sie eine beunruhigende Welt, changierend zwischen Allzumenschlichem und unmenschlichen Masken.
"Ich ist eine andere", scheinen uns Cindy Shermans Bilder zuzuflüstern.
Der Krawatten-Typ mit Sonnenbrille und Aktenkoffer auf dem kleinformatigen Schwarz-Weiß-Foto der frühen Serie "Bus Riders" ebenso wie das gepiercte und tätowierte Fashion-Victim mit der brennenden Zigarette aus der Modeserie oder die grotesken Clowns auf den großformatigen Bildern der jüngsten Zeit.
Cindy Shermans Bildersturm kennt auch bei den großen Meistern der Kunstgeschichte kein Erbarmen. Wie in einer Gemäldegalerie des 19. Jahrhunderts wirkungsvoll übereinander gehängt präsentiert die Retrospektive im Jeu de Paume die Serie "History Paintings": groteske Figuren – manche mit Masken und Prothesen – im Stil berühmter Gemälde von Raphael, Boticelli oder Caravaggio.
"So zeigt sie auch, dass alle Bilder gemacht werden. Dass auch die Alten Meister ihre Bilder fabriziert haben – mit Modellen, die sie benutzt haben, vielleicht mit der Nutte von der Straßenecke oder dem Milchmädchen – dahinter steht die Idee, dass auch ein Bild, das als universelle Kunstikone sublimiert wird – ein fabriziertes, erfundenes Bild ist."
Cindy Shermans Bilder sind konsequent namenlos. "Untitled" heißen sie alle – nur Nummern identifizieren sie und die Zuordnung zu einer der Serien – den Bus Riders oder Film Stills, der Fashion oder der Märchenserie, den Sex-Pictures oder Clowns. So ist jedes einzelne Bild der Anfang einer möglichen Geschichte. Einer Geschichte, die Cindy Sherman zu erzählen beginnt, die sie aber nie zu Ende führt. Die Fortsetzung findet im Kopf der Betrachter statt. "Ich versuche", sagt sie, "andere dazu zu bringen, etwas von sich selbst wieder zu erkennen, anstatt von mir." Und das gelingt Cindy Sherman – wie die Retrospektive eindrucksvoll zeigt – immer wieder neu und anders, virtuos.
Service: Die Cindy-Sherman-Retrospektive ist vom 16.5. bis zum 3.9.2005 im Jeu de Paume in Paris zu sehen.
Danach:
Kunsthaus Bregenz 25.11.06 -14.01.07
Lousiana Museum, Dänemark 9.2. - 13.5.07
Martin-Gropius-Bau Berlin, 13.6. - 10.9.07
Kurator Regis Durand. "Sie hinterfragt die Stereotypen weiblicher Identität, wie sie in der Werbung, im Kino, im Fernsehen dargestellt sind. Sie geht dagegen an, zerstört das verführerische Bild der Frau. Aber ihre Arbeit ist mehr als eine feministische Geste, sie geht einen Schritt weiter, auf eine Art, die auch Männer betrifft."
Denn in den Fotografien von Cindy Sherman geht es nicht nur um weibliche Rollenmuster, es geht um die Frage der Identität schlechthin. Die Serie "Hollywood/Hampton Types" aus den Jahren 2000 bis 2002 zum Beispiel zeigt, so Cindy Sherman, "in Vergessenheit geratene Schauspieler, die für Porträtaufnahmen posieren, um sich damit für einen Job zu bewerben." Da blickt ein in die Jahre gekommenes Mädchen mit Zopffrisur im lila Kleid wässrig ins Leere, eine andere gibt sich selbstbewusst – doch ihr Diven-Outfit mit Perlenohrringen ist nur fast perfekt – auf der gebräunt glänzenden Haut sind weiße Badeanzugstreifen zu sehen; daneben lächelt eine aufgedonnerte Blondine gequält in verkrampfter Pose, die Arme vor der Brust verschränkt. Eine Bilderserie, die Kurator Regis Durand besonders stark beeindruckt:
"Sie sagt viel aus über den Identitäten-Kommerz. Darüber, dass jeder versucht, ein Bild von sich zu verkaufen. Aus verschiedenen Gründen, aus beruflichen, seelischen oder psychischen Gründen versucht jeder, die anderen zu verführen. Diese Fotoserie finde ich wirklich erschreckend, weil sie diese Verführungsmechanismen und die Angst der Menschen bloßstellt: Werde ich den anderen gefallen? Werde ich ausgewählt, werde ich akzeptiert werden?"
"Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich je völlig ich selbst bin", hat Cindy Sherman einmal gesagt, "außer wenn ich ganz allein bin." Und so sind ihre Arbeiten – auch wenn sie sich selbst als Bildträger benutzt – alles andere als narzisstische Selbstporträts.
"Vom Selbstportrait ist sie sehr weit entfernt. Es geht eher um eine psychische, soziale und politische Erkundung, bei der sie sich selbst als Vehikel verwendet – allerdings nicht immer: Es gibt auch Bilder, auf denen sie nicht erscheint."
Die Sex-Pictures von 1992 etwa delegieren das sexuelle Begehren an Schaufensterpuppen. In obszönen Posen, einem wilden Durcheinander von Plastikkörperteilen zeigen sie eine beunruhigende Welt, changierend zwischen Allzumenschlichem und unmenschlichen Masken.
"Ich ist eine andere", scheinen uns Cindy Shermans Bilder zuzuflüstern.
Der Krawatten-Typ mit Sonnenbrille und Aktenkoffer auf dem kleinformatigen Schwarz-Weiß-Foto der frühen Serie "Bus Riders" ebenso wie das gepiercte und tätowierte Fashion-Victim mit der brennenden Zigarette aus der Modeserie oder die grotesken Clowns auf den großformatigen Bildern der jüngsten Zeit.
Cindy Shermans Bildersturm kennt auch bei den großen Meistern der Kunstgeschichte kein Erbarmen. Wie in einer Gemäldegalerie des 19. Jahrhunderts wirkungsvoll übereinander gehängt präsentiert die Retrospektive im Jeu de Paume die Serie "History Paintings": groteske Figuren – manche mit Masken und Prothesen – im Stil berühmter Gemälde von Raphael, Boticelli oder Caravaggio.
"So zeigt sie auch, dass alle Bilder gemacht werden. Dass auch die Alten Meister ihre Bilder fabriziert haben – mit Modellen, die sie benutzt haben, vielleicht mit der Nutte von der Straßenecke oder dem Milchmädchen – dahinter steht die Idee, dass auch ein Bild, das als universelle Kunstikone sublimiert wird – ein fabriziertes, erfundenes Bild ist."
Cindy Shermans Bilder sind konsequent namenlos. "Untitled" heißen sie alle – nur Nummern identifizieren sie und die Zuordnung zu einer der Serien – den Bus Riders oder Film Stills, der Fashion oder der Märchenserie, den Sex-Pictures oder Clowns. So ist jedes einzelne Bild der Anfang einer möglichen Geschichte. Einer Geschichte, die Cindy Sherman zu erzählen beginnt, die sie aber nie zu Ende führt. Die Fortsetzung findet im Kopf der Betrachter statt. "Ich versuche", sagt sie, "andere dazu zu bringen, etwas von sich selbst wieder zu erkennen, anstatt von mir." Und das gelingt Cindy Sherman – wie die Retrospektive eindrucksvoll zeigt – immer wieder neu und anders, virtuos.
Service: Die Cindy-Sherman-Retrospektive ist vom 16.5. bis zum 3.9.2005 im Jeu de Paume in Paris zu sehen.
Danach:
Kunsthaus Bregenz 25.11.06 -14.01.07
Lousiana Museum, Dänemark 9.2. - 13.5.07
Martin-Gropius-Bau Berlin, 13.6. - 10.9.07