"Ich hoffe, sie segeln es jetzt aus"

Jochen Schümann im Gespräch mit Jürgen König |
Einen "Technologiewettbewerb" nennt der Segler Jochen Schümann den 33. America's Cup, der eher einem Autorennen als einer Segelregatta gleiche. Zwei Milliardäre wollen mit ihren Schiffen der Superlative das Rennen im spanischen Valencia für sich entscheiden.
Jürgen König: In Valencia begrüße ich jetzt Jochen Schümann, der als Zwölfjähriger seine Segelkarriere begann mit einem selbst gebauten Optimisten auf dem Berliner Müggelsee. Jochen Schümann gewann unter anderem dreimal olympisches Gold, einmal olympisches Silber, er war viermal Weltmeister, zehnmal Europameister, gewann mit dem Schweizer Team Alinghi den America's Cup 2003 und 2007. Herr Schümann, ich grüße Sie sehr!

Jochen Schümann: Ja, guten Tag!

König: Die Auftaktregatta dieses 33. Segelduells um den America's Cup wurde gestern nach vier Stunden nervenzerrenden Wartens abgesagt, weil es zu wenig Wind gab. Das kann man sich als Laie nicht wirklich vorstellen. Der Katamaran Alinghi 5 hat einen Mast von etwa 60 Metern, das ist ungefähr so hoch wie ein 18-stöckiges Haus. Der Trimaran USA 17 hat einen Mast von etwa 55 Metern. Bei solchen Segelflächen kann es doch gar nicht zu wenig Wind geben.

Schümann: Die Schiffe sind schon absolute Superlative in jeder Hinsicht, aber das gilt leider eben auch für den Kurs. Weil die Schiffe so schnell sind, brauchen sie einen sehr langen Kurs, und über eine große Fläche gleichmäßige Windbedingungen zu kriegen, ist schon extrem schwierig. Also da ist eine große Herausforderung, und nicht nur für die Segler, sondern auch für den Wettfahrtleiter, eine gute Regatta zu organisieren, und das war leider gestern nicht gegeben. Wir hatten Wind an der Topmarke, aber nicht in dem Startgebiet, und damit war kein Rennen gestern möglich.

König: Beide Boote haben eine Wasserlänge von etwa 27 Metern – also Wasserlänge der Teil des Bootes, der wirklich im Wasser liegt. Beide sind auch etwa genauso breit, nämlich 25 bis 27 Meter. Wegen dieser großen Seitenrümpfe – der Katamaran mit zwei, der Trimaran mit drei Rümpfen –, was für ein Segeln ist das mit solchen Booten? Ist das überhaupt noch Segeln?

Schümann: Ja sicher ist das Segeln. Das sind Boote geworden, die fast nicht mehr zu beherrschen sind, aber die auch dafür sorgen, dass alles andere Dimensionen angenommen hat wie der Kurs, dass man eben nicht mal über Horizont schauen kann, bei 20 Seemeilen ist nämlich schon die Krümmung des Horizonts mit im Spiel, sodass man eigentlich gar nicht von der Topmarke bis zu dem Startgebiet schauen konnte.

König: Können Sie uns mal erklären – man liest immer hier von den mehreren Hundert Millionen Euro, die Bertarelli und Ellison in die Entwicklung ihrer Boote gesteckt haben –, wofür werden solche Summen ausgegeben?

Schümann: Ja gut, wenn man Neuland in der Technologie betritt, dann muss man natürlich viele der modernsten Technologien anpassen auf diesen maritimen Wettbewerb. Man entwickelt also aus der Flugzeugindustrie, in der Elektronik und anderen Gebieten Sachen bis zur absoluten Spitzentechnologie, um sie dann hier in diesen Technologiewettstreit zu führen, weil wie gesagt, vom Segeln ist relativ wenig übrig geblieben. Das sind immer noch Segelboote, es gibt nicht mehr viel Muskelkraft, es gibt Hydraulikgeneratoren, es gibt eine Menge Elektronik, eine Menge Messeinrichtungen, um diese Boote überhaupt zu beherrschen.

König: Und die Segel werden mit Elektromotoren justiert, habe ich gelesen, die so laut sind, dass die Segler per Headset kommunizieren müssen.

Schümann: Nein, das ist sicher falsch, so laut werden die nicht sein, sondern die Headsets braucht man, wenn man auf dem Wasser mit 60 bis 80 Stundenkilometer sich fortbewegt, dann kann man sich vorstellen, dass die Geräusche, das ist so, als wenn in so einem Düsenjet sitzt, übertrieben, wenn man so direkt auf dem Wasser ist, also dass man dadurch eigentlich durch die Windgeschwindigkeiten nichts mehr hört und die Entfernung 30 Meter quer übers Boot natürlich auch sehr groß ist, dass man dort eben Headsets braucht, um miteinander überhaupt reden zu können. Das hat nichts mit den Generatoren zu tun.

König: Eine Technik, fast nicht mehr zu beherrschen, haben Sie eben gesagt. Welche Gefahren birgt diese Technik?

Schümann: Man muss sich nur vorstellen, dass, wenn so ein Katamaran ein bisschen Schräglage kriegt, der 30 Meter breit ist, dann ist man ganz schnell 10 oder 15 Meter über dem Wasser, also weit über so einem Zehnmetersprungturm. Dann kann man sich vorstellen, wenn man da denn mit 80 Stundenkilometern auf dem Wasser sich bewegt – also wer ein sehr, sehr schnelles Motorboot hat, der schafft es vielleicht auf 40 Stundenkilometer. Also die fahren ungefähr bei Höchstgeschwindigkeit 80, sind zehn Meter oder mehr über dem Wasser. So, wenn da irgendwas schiefläuft, kann man sich vorstellen, was das für ein Absturz wird, der also nicht nur Material, sondern vor allen Dingen auch die Segler und die Menschen gefährdet.

König: Wenn ich das so sagen darf: Das Ganze hat für mich irgendwie etwas Wahnsinniges, da ist viel Hybris mit im Spiel – oder bin ich da als Laie falsch?

Schümann: Ja, dieser Wahnsinn hat offensichtlich Methode. Man streitet trefflich seit zwei Jahren, und dann kommt halt so ein Irrsinn dabei raus.

König: Was sagen Sie zu den Vorwürfen der Amerikaner, die Schweizer hätten nicht mit fairen Karten gespielt? Dieser ganze juristische Vorlauf, der ja auch schon etwas Wahnsinniges hatte, wie haben Sie das miterlebt?

Schümann: Ach, wir hatten zwei Jahre, das zu verfolgen, und das ist schon, sagen wir, sehr frustrierend und im Nachhinein, ich glaube, ist ganz schwer auch den Hörern zu vermitteln, weil das ist ein Rechtsstreit, wo es mal hin und mal her ging, auch vor den Gerichten, also ist nicht so eindeutig, weil ein Grundproblem ist, die Amerikaner versuchen eigentlich die Gründungsurkunde dieses America's Cup, die eben aus 1851 datiert, sozusagen in heutiges Recht anzuwenden, auf eine heutige Rechtssituation. Logischerweise vergleicht man da ja auch verschiedene Jahrhunderte miteinander. Also vieles, was heute an Technologie und an Begriffen existiert oder auch in der Sportwelt existiert, gab es früher einfach noch nicht, und folglich gab es auch noch keine Begrifflichkeiten dafür. Und wenn man das jetzt miteinander versucht, vor Gericht zusammenzubringen, dann ist natürlich ein weiter Spielraum für Spekulationen und Interpretationen gegeben, weil es eigentlich nie zu einem gerechten Urteil kommt. Mal sehen, ich hoffe, sie segeln es jetzt aus, und dann hoffe ich, dass auch der Verlierer den Respekt zollt und sich geschlagen gibt.

König: Aber geht es nicht im Wesentlichen oder ging es nicht im Wesentlichen auch darum, sich irgendwie fertigzumachen? Ich meine, sich finanziell in die Knie zu zwingen, das können beide nicht, weil beide wissen, wie reich der jeweils andere ist. Larry Ellison und Ernesto Bertarelli, wie würden Sie die beiden charakterisieren?

Schümann: Na, ich glaube, es geht gar nicht unbedingt um diese beiden Personen, es geht zum Schluss schon um Macht und um das Gewinnen. Ja ist ich glaube ganz schwer zu erklären. Ist ein großer Ego-Fight, aber nicht unbedingt nur zwischen diesen beiden Billiardären, da spielen auch andere kleine Konstellationen eine Rolle. Ja, es geht um Macht zum Schluss – wer kann den Cup bestimmen. Und aus meiner Sicht ist es relativ einfach, Alinghi hat den Cup zweimal gewonnen, damit sich das Recht ersegelt, so ist diese alte America's-Cup-Regel. Sie haben schon Timmi Kröger (Anm. d. Redaktion: Name wie gehört): The winner takes it all – das ist eigentlich die sehr simplifizierte Gesamtkonstellation. Alinghi hätte eigentlich alle Rechte, und ein anderer, der zweimal teilgenommen hat, zweimal nicht annähernd gewonnen hat, versucht, sich jetzt einfach in eine bessere Position zu klagen, um eine Chance zu haben, den Cup auch mal zu gewinnen. Das ist sehr vereinfacht, aber so kann man es auch hinstellen.

König: Für dieses 33. America's-Cup-Rennen hat man sich für den Modus "Best of three" entschieden, drei Rennen werden angesetzt, wer zuerst zwei davon gewinnt, hat auch den America's Cup gewonnen. Wer entscheidet eigentlich oder was entscheidet eigentlich dieses Rennen: die Technik oder wirklich noch die Möglichkeiten, die ein Segler hat?

Schümann: Dieses Rennen ist sicher ein Technologiewettbewerb. Die Schiffe sind wie gesagt ja so hochgezüchtet und an die Grenzen der Technologie gebracht worden, das ist eigentlich noch nicht bewährt, nicht geprüft. Beide hatten keine Trainingspartner, also hier treffen wirklich zwei ähnliche Schiffe, muss man sagen, eben aufeinander, das allererste Mal. Also die Fehlerquote wird sehr, sehr hoch sein, und man weiß, dass die Schiffe beim Geradeaus-Speed extrem schnell sind. Also jedes Manöver wird dem Schiff extrem viel Verlust bringen. Die Schiffe werden hauptsächlich irgendwie versuchen, über die Startlinie zu kommen und dann ihren Höchst-Speed auszufahren. Also es wird eher mehr ein Autorennen denn eine Segelregatta, muss man sagen. Also wie das Ganze aussieht, ich glaube, das ist ja das, was so spannend ist, warum alle hier warten auf diesen großen Showdown. Ja, was können die Schiffe, sind die Schiffe überhaupt zu beherrschen und wie geht das Ganze aus?

König: Was glauben Sie, wie geht das Ganze aus?

Schümann: Ich glaube, es geht zwei-null aus.

König: Für Alinghi?

Schümann: Nein, das weiß ich eben nicht. Ich glaube, das ist ja die große Unsicherheit. Keiner hat den anderen je auf dem Wasser getroffen, keiner wagt einzuschätzen, wie die Potenziale ihrer beiden Geschosse sind. Und der erste Showdown wie gesagt wird zeigen, wer mehr PS sozusagen hat und die auch aufs Wasser bringen kann. Und dann glaube ich, beide werden, ja, das Potenzial wird nicht sehr eng zusammenliegen, da werden große Unterschiede sein. Ich bin gespannt für wen.

König: Morgen beginnt das 33. Rennen um den America's Cup. Ein Gespräch mit dem deutschen Segler Jochen Schümann. Herr Schümann, ich danke Ihnen und wünsche viel Vergnügen in Valencia!

Schümann: Danke!
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