"Ich hasse die bürgerliche Engstirnigkeit"
Israelischen Nationalisten ist Michal Zamir ein Ärgernis. Sie ist die Tochter eines ehemaligen Armeegenerals und Mossad-Agenten und hat wie fast alle israelischen Frauen im Alter von 18 bis 20 Jahren ihren Armeedienst abgeleistet. Zwei Jahrzehnte später hat Michal Zamir die Erfahrungen jener Jahre in dem Roman "Mädchenschiff" verdichtet, und das Resümee ist niederschmetternd.
Musik: Efrat Alony "Unnamed and dazed"
Michal Zamir ist zum ersten Mal unterwegs in deutschen Städten. Nach Berlin möchte sie bald zurückkehren, dann aber gemeinsam mit Mann und Tochter. Vielleicht wird sie sogar Lodz besuchen - die Geburtstadt ihrer Eltern. Allein der Gedanke, nach Polen zu reisen, war bislang tabu. Zu viele Juden kamen dort ums Leben. Kaum sitzen wir im Café, klingelt das Handy.
Michal Zamirs Tochter Roni. Sie ist zehn Jahre alt. Michal schüttelt die langen Locken und seufzt: "Zwölf Tage ohne Roni, das ist eine harte Probe". Wenigstens zweimal am Tag muss sie ihre Stimme hören.
"Meine Eltern rufen mich täglich an und fragen, ob ich gesund bin, mir keine Erkältung eingefangen habe und so weiter. Dieses Festhalten, das ist etwas sehr jüdisches. Ich bin die Jüngste, und deshalb ruft mich selbst mein älterer Bruder an und will wissen, ob ich auch mit dem Geld auskomme. Sie vertrauen mir, sind aber ständig in Sorge."
Ihr Elternhaus beschreibt die zierliche 43-Jährige als streng zionistisch. Kein Wunder: Ein Vater, der als General den Geheimdienst leitete, zählte schließlich zu den tragenden Säulen des Staates. Sie kann sich nicht erinnern, auch nur ein einziges Mal mit der Familie eine Synagoge besucht zu haben. Religiöse Bedürfnisse wurden schlicht negiert. Die Tochter aber beschäftigt sich professionell mit der jiddischen Sprache und Legenden der frommen Chassiden.
Michal Zamir hat Jiddisch an der Universität von Tel Aviv unterrichtet, bevor sie 2003 einen ersten Skandal provozierte. Ihre erste Ehe war frisch geschieden - und sie schrieb einen Porno. Ich schaue ungläubig. Sie nutzt mein Zögern, um sich schnell eine neue Zigarette anzustecken. Ein Schundroman als Debüt? Musste das sein?
"”Es ging vor allem darum, einmal alle Verantwortung abzuschütteln. Ich hasse die bürgerliche Engstirnigkeit. Ich kann sie wirklich nicht ertragen. Meinen guten Ruf aufs Spiel zu setzen, das war eine unglaubliche Erleichterung, ja, so etwas wie Erlösung. Ich rede gern mit Leuten, ich sage, was ich denke, ich streite. Manchmal klingen meine Gedanken und die Art, wie ich sie formuliere, vielleicht ein bisschen zu schroff.""
Musik: Efrat Alony "Unnamed and dazed"
Familie und Freunde reagierten geschockt, als der Porno in den Buchhandel kam. Zwei Jahre später legte Michal Zamir nach. In ihrem Roman "Das Mädchenschiff" beschreibt sie die Armee als eine aufgeblasene, schwerfällige Organisation, in der Leute ihre Zeit vertrödeln. 24 Monate lang leben gerade volljährig gewordene Mädchen in der Kaserne wie auf einer Galeere. Sie kochen Kaffee, langweilen sich in Schreibstuben oder im Materiallager der Stützpunkte. Abends haben sie in Büros heimlich Sex mit verheirateten Offizieren und alternden Brigadegenerälen. Drei Abtreibungen zahlt die Armee. Michal Zamirs Vater hatte als General a. D. schlaflose Nächte nach der Lektüre, denn die "Zahal" wird moralisch diskreditiert. Schließlich aber billigte er der Tochter einen Erfahrungsvorsprung zu und fand sie mutig.
"Schreiben ist für mich wie ein Zwiegespräch mit mir nahen Menschen. Ich musste meinem Vater zeigen, dass ich als Frau weiß, wo’s lang geht im Leben. Dass es mir keine Angst einjagt, dass ich klar komme, und ich habe erkannt, dass ich mich von den niedrigen Sphären angezogen fühle. Das gehört wohl zu meinem Charakter."
Michal Zamir erzählt, dass die Tagebuchaufzeichnungen der "Anonyma" sie sehr aufgewühlt hätten. Darin wird der Alltag in Berlin in den Wochen vor und nach der Kapitulation 1945 geschildert. Das Buch war 2003 ein großer Bucherfolg, gerade weil die anonyme Schreiberin auf jedes Selbstmitleid verzichtet. Sie prostituiert sich für Essen. Sie wird von Rotarmisten vergewaltigt.
Musik: Aviv Geffen, Hed Artzi records
Michal Zamir identifiziert sich auch mit der Heldin ihres neuen Romans "Das Mädchenschiff". Die 20-jährige Rekrutin stolpert richtungslos durchs Leben und sucht Halt in kleinen Gesten der Mitmenschlichkeit.
"Schönheit wurde aus Hässlichkeit und Schande geboren, und Schönheit muss man immer erretten: Man muss sie aus den niedrigsten Sphären unserer Existenz befreien. Im Hebräischen gibt es dafür den Ausdruck " Erlösung durch Schmutz". Ich glaube, dass diese Vorstellung etwas sehr Wahres beinhaltet."
Hinter einer Fassade der Unschuld zu leben, wäre der Albtraum für Michal Zamir. Sie muss lachen, wenn sie daran denkt, was die Familie von ihr erwartet.
"Mein Vater bittet mich andauernd: Schreib doch mal einen Roman über vier Generationen einer jüdischen Familie. Und ich antworte ihm dann: Du weißt doch, bei mir kommt nichts Anständiges dabei raus, es sei denn, ich schwindele. Aber das will ich nicht. Also, ich schreibe nur, wenn es verboten ist."
Musik Aviv Geffen, Hed Artzi records
Michal Zamir ist zum ersten Mal unterwegs in deutschen Städten. Nach Berlin möchte sie bald zurückkehren, dann aber gemeinsam mit Mann und Tochter. Vielleicht wird sie sogar Lodz besuchen - die Geburtstadt ihrer Eltern. Allein der Gedanke, nach Polen zu reisen, war bislang tabu. Zu viele Juden kamen dort ums Leben. Kaum sitzen wir im Café, klingelt das Handy.
Michal Zamirs Tochter Roni. Sie ist zehn Jahre alt. Michal schüttelt die langen Locken und seufzt: "Zwölf Tage ohne Roni, das ist eine harte Probe". Wenigstens zweimal am Tag muss sie ihre Stimme hören.
"Meine Eltern rufen mich täglich an und fragen, ob ich gesund bin, mir keine Erkältung eingefangen habe und so weiter. Dieses Festhalten, das ist etwas sehr jüdisches. Ich bin die Jüngste, und deshalb ruft mich selbst mein älterer Bruder an und will wissen, ob ich auch mit dem Geld auskomme. Sie vertrauen mir, sind aber ständig in Sorge."
Ihr Elternhaus beschreibt die zierliche 43-Jährige als streng zionistisch. Kein Wunder: Ein Vater, der als General den Geheimdienst leitete, zählte schließlich zu den tragenden Säulen des Staates. Sie kann sich nicht erinnern, auch nur ein einziges Mal mit der Familie eine Synagoge besucht zu haben. Religiöse Bedürfnisse wurden schlicht negiert. Die Tochter aber beschäftigt sich professionell mit der jiddischen Sprache und Legenden der frommen Chassiden.
Michal Zamir hat Jiddisch an der Universität von Tel Aviv unterrichtet, bevor sie 2003 einen ersten Skandal provozierte. Ihre erste Ehe war frisch geschieden - und sie schrieb einen Porno. Ich schaue ungläubig. Sie nutzt mein Zögern, um sich schnell eine neue Zigarette anzustecken. Ein Schundroman als Debüt? Musste das sein?
"”Es ging vor allem darum, einmal alle Verantwortung abzuschütteln. Ich hasse die bürgerliche Engstirnigkeit. Ich kann sie wirklich nicht ertragen. Meinen guten Ruf aufs Spiel zu setzen, das war eine unglaubliche Erleichterung, ja, so etwas wie Erlösung. Ich rede gern mit Leuten, ich sage, was ich denke, ich streite. Manchmal klingen meine Gedanken und die Art, wie ich sie formuliere, vielleicht ein bisschen zu schroff.""
Musik: Efrat Alony "Unnamed and dazed"
Familie und Freunde reagierten geschockt, als der Porno in den Buchhandel kam. Zwei Jahre später legte Michal Zamir nach. In ihrem Roman "Das Mädchenschiff" beschreibt sie die Armee als eine aufgeblasene, schwerfällige Organisation, in der Leute ihre Zeit vertrödeln. 24 Monate lang leben gerade volljährig gewordene Mädchen in der Kaserne wie auf einer Galeere. Sie kochen Kaffee, langweilen sich in Schreibstuben oder im Materiallager der Stützpunkte. Abends haben sie in Büros heimlich Sex mit verheirateten Offizieren und alternden Brigadegenerälen. Drei Abtreibungen zahlt die Armee. Michal Zamirs Vater hatte als General a. D. schlaflose Nächte nach der Lektüre, denn die "Zahal" wird moralisch diskreditiert. Schließlich aber billigte er der Tochter einen Erfahrungsvorsprung zu und fand sie mutig.
"Schreiben ist für mich wie ein Zwiegespräch mit mir nahen Menschen. Ich musste meinem Vater zeigen, dass ich als Frau weiß, wo’s lang geht im Leben. Dass es mir keine Angst einjagt, dass ich klar komme, und ich habe erkannt, dass ich mich von den niedrigen Sphären angezogen fühle. Das gehört wohl zu meinem Charakter."
Michal Zamir erzählt, dass die Tagebuchaufzeichnungen der "Anonyma" sie sehr aufgewühlt hätten. Darin wird der Alltag in Berlin in den Wochen vor und nach der Kapitulation 1945 geschildert. Das Buch war 2003 ein großer Bucherfolg, gerade weil die anonyme Schreiberin auf jedes Selbstmitleid verzichtet. Sie prostituiert sich für Essen. Sie wird von Rotarmisten vergewaltigt.
Musik: Aviv Geffen, Hed Artzi records
Michal Zamir identifiziert sich auch mit der Heldin ihres neuen Romans "Das Mädchenschiff". Die 20-jährige Rekrutin stolpert richtungslos durchs Leben und sucht Halt in kleinen Gesten der Mitmenschlichkeit.
"Schönheit wurde aus Hässlichkeit und Schande geboren, und Schönheit muss man immer erretten: Man muss sie aus den niedrigsten Sphären unserer Existenz befreien. Im Hebräischen gibt es dafür den Ausdruck " Erlösung durch Schmutz". Ich glaube, dass diese Vorstellung etwas sehr Wahres beinhaltet."
Hinter einer Fassade der Unschuld zu leben, wäre der Albtraum für Michal Zamir. Sie muss lachen, wenn sie daran denkt, was die Familie von ihr erwartet.
"Mein Vater bittet mich andauernd: Schreib doch mal einen Roman über vier Generationen einer jüdischen Familie. Und ich antworte ihm dann: Du weißt doch, bei mir kommt nichts Anständiges dabei raus, es sei denn, ich schwindele. Aber das will ich nicht. Also, ich schreibe nur, wenn es verboten ist."
Musik Aviv Geffen, Hed Artzi records