"Ich halte das Rennen für offen"
Deutschland hat einen berechtigten Anspruch auf einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat, findet Martin Schulz, Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament. Allerdings sei das Rennen offen und zudem ein ständiger Sitz der EU sinnvoller.
Nana Brink: Deutschland ist weltweit bekannt für seine Zuverlässigkeit, für seinen Einsatz und Entwicklung und für seinen multilateralen Ansatz. So sprach Bundesaußenminister Westerwelle jüngst, bevor er sich auf Werbetour in die USA begab. Dort besucht er seit gestern das Hauptquartier der Vereinten Nationen und wirbt dafür, dass Deutschland auf der heutigen UN-Vollversammlung als nichtständiges Mitglied für zwei Jahre in den UN-Sicherheitsrat berufen wird. Erwartet wird eine Kampfkandidatur, weil für die westliche Hemisphäre auch noch Kanada und Portugal, also auch noch ein weiteres europäisches Land um einen Sitz im Sicherheitsrat streiten. Viele europäische Länder hatten sich ja bei der letzten Wahl Deutschlands 2002 skeptisch gezeigt.
Und darüber spreche ich jetzt mit Martin Schulz, Vorsitzender der Sozialistischen Fraktion im Europaparlament. Einen schönen guten Morgen, Herr Schulz!
Martin Schulz: Guten Morgen!
Brink: Wird Deutschland einen Sitz als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat bekommen heute?
Schulz: Das ist schwer vorauszusagen. Ich würde es mir wünschen, dass es klappt, wiewohl es ein paar Pannen in der Vorbereitung gegeben hat – Fristen sind nicht eingehalten worden im deutschen Außenministerium, da musste nachgebessert werden, auch dass zwei EU-Staaten gegeneinander kandidieren, halte ich eher für eine Belastung. Aber insgesamt müsste eigentlich die Bundesrepublik von ihrem internationalen, von ihrem ökonomischen und politischen Gewicht auch als größte Mitgliedsnation der Europäischen Union gute Chancen haben.
Brink: Hat das denn auch die Unterstützung aller europäischen Länder? Das war ja nicht immer so.
Schulz: Ja, da fängt es schon an: Die Portugiesen kandidieren auch, die EU tritt da wieder einmal nicht einheitlich auf, das finde ich sehr bedauerlich; und die Portugiesen sind als kleinere Mitgliedsnation der Europäischen Union in den Augen vieler anderer kleinerer Staaten, die einen sehr großen Anteil an den Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen haben, durchaus ein attraktiver Partner aus deren Sicht. Es ist für mich schwer einzuschätzen, welche Gespräche der Bundesaußenminister geführt hat, wieweit er erfolgreich war, ich halte das Rennen für offen, Deutschland hat gute Chancen, aber man sollte sich nicht täuschen, die beiden anderen Kandidaten – Kanada und Portugal – auch.
Brink: Wäre aufgrund der Gewichtung, also der Wichtigkeit also auch wirtschaftlich und als eines der größten Länder in Europa Deutschland nicht die bessere Wahl, auch aus europäischer Sicht?
Schulz: Deutschland ist, was die EU angeht, im Inneren der EU ökonomisch, politisch sicher das führende Land, mit Frankreich gemeinsam haben wir alleine über 50 Prozent des Bruttosozialprodukts der Eurozone. Das heißt, Deutschland ist schon ökonomisch ein Schwergewicht. Und Deutschland ist auch ein Land, das darf man durchaus auch sagen, dass seinen internationalen Verpflichtungen sowohl im humanitären Bereich, im Bereich der Entwicklungshilfe, auch im militärischen Bereich in besonderer Weise nachgekommen ist in den letzten Jahren. Insofern hat Deutschland sicher einen berechtigten Anspruch auf diesen nichtständigen Sitz, um seine internationale Rolle zu unterstreichen. Und übrigens auch das Konzept, ich hoffe, dass es das Konzept der amtierenden Bundesregierung bleibt, das Konzept von Rot-Grün, das da war, den zivilen Ansatz bei der Konfliktlösung vor den militärischen zu setzen, den stärker einbringen zu können im Sicherheitsrat, das ist sicher eine – wenn das die Grundlage bleibt – vernünftige Vorgehensweise.
Europa, um darauf zurückzukommen, wäre besser beraten, wenn es der EU einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat verschaffen würde, denn die Europäische Union als Ganzes ist so stark wie die anderen vetoberechtigten Mächte, insbesondere China, USA, Russland.
Brink: Das hat ja auch der ehemalige Bundesaußenminister Genscher gefordert, nämlich einen Sitz für die Europäische Union im Sicherheitsrat. Aber Sie haben eben gerade auch die Zerstrittenheit betont. – Das ist doch eigentlich völlig unrealistisch?
Schulz: Ja, aus heutiger Sicht ist es unrealistisch sicher auch deshalb, weil eben zwei Mitgliedsländer der Europäischen Union – Frankreich und Großbritannien – im Rahmen eines Strukturkonzeptes der Vereinten Nationen, das aus den 40er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts stammt, immer noch ihren vetoberechtigten Sitz im Sicherheitsrat haben. Es wäre sinnvoll, mit diesen beiden Ländern auch darüber zu diskutieren, dass ihr eigenes Gewicht als große Mitgliedsnationen der EU potenziert würde, wenn die EU diesen Sitz wahrnehmen würde, statt auf den eigenen vetoberechtigten Sitz zu beharren und damit die EU als ökonomischen Global Player, als umweltpolitischen Global Player, als finanzpolitischen Global Player zu stärken. Stattdessen wird die EU in diesen Feldern geschwächt. Das ist nicht vernünftig und ich bin auch ziemlich sicher, dass, wenn man diese Debatte in der EU weiter und intensiv führt, wir irgendwann schon zu einem anderen Konzept gelangen können. Leider wird die Debatte nicht ausreichend geführt.
Brink: Nun ist ja die Kandidatur für den nichtständigen Sitz – und man strebt ja auch zu einem ständigen Sitz hin – ein Zeichen für eine Führungsrolle unbestritten Deutschlands in Europa. Was kann Deutschland im Sicherheitsrat für Europa bewirken?
Schulz: Ich will das noch mal wiederholen, Ihre Frage zielt auf den Kernpunkt: Der Sitz als Selbstzweck ist nicht sinnvoll, man muss mit ihm ein außenpolitisches, ein internationales Konzept verbinden. Und da fehlt mir ein bisschen die Begründung. Ich bekenne, dass ich nicht weiß, womit der Außenminister der Bundesrepublik Deutschland zurzeit diesen Sitz begründet; in den Zeiten, als er beantragt wurde – 2006 –, haben wir ja noch mal diesen Anlauf unternommen, war Frank-Walter Steinmeier der Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, und wir haben im Zusammenhang mit dem internationalen Engagement der Bundesrepublik Deutschland immer betont, dass für die Bundesrepublik bei der Konfliktlösung – und die Vereinten Nationen sind ja gerade bei der Lösung der Konflikte weltweit der zentrale Ansprechpartner für uns in Deutschland –, bei der Konfliktlösung müssen die zivilen Lösungen Vorrang vor den militärischen Lösungen haben, weil es ansonsten eben zu einer Militarisierung auch der internationalen Politik kommt.
Und die Vereinten Nationen als die starke internationale Organisation zu stärken, also den Multilateralismus, statt wie es über einen längeren Zeitraum der Fall war den Unilateralismus der Vereinigten Staaten von Amerika, im Sicherheitsrat dafür zu sorgen, dass sich eine Doktrin wie die Bush-Doktrin, die ja verheerend war, sich nicht wiederholen darf. Dass die Bundesrepublik dort sitzt, um die Vereinten Nationen selbst starkzumachen, das sind meiner Meinung nach die Punkte, die dafür sprechen. Dazu hört man allerdings in der Begründung, wie ich meine, zu wenig.
Brink: Martin Schulz, Vorsitzender der Sozialistischen Fraktion im Europaparlament, und wir sprachen über die potenzielle Wahl Deutschlands zum nichtständigen Mitglied des Sicherheitsrates der UN, und das soll heute passieren.
Und darüber spreche ich jetzt mit Martin Schulz, Vorsitzender der Sozialistischen Fraktion im Europaparlament. Einen schönen guten Morgen, Herr Schulz!
Martin Schulz: Guten Morgen!
Brink: Wird Deutschland einen Sitz als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat bekommen heute?
Schulz: Das ist schwer vorauszusagen. Ich würde es mir wünschen, dass es klappt, wiewohl es ein paar Pannen in der Vorbereitung gegeben hat – Fristen sind nicht eingehalten worden im deutschen Außenministerium, da musste nachgebessert werden, auch dass zwei EU-Staaten gegeneinander kandidieren, halte ich eher für eine Belastung. Aber insgesamt müsste eigentlich die Bundesrepublik von ihrem internationalen, von ihrem ökonomischen und politischen Gewicht auch als größte Mitgliedsnation der Europäischen Union gute Chancen haben.
Brink: Hat das denn auch die Unterstützung aller europäischen Länder? Das war ja nicht immer so.
Schulz: Ja, da fängt es schon an: Die Portugiesen kandidieren auch, die EU tritt da wieder einmal nicht einheitlich auf, das finde ich sehr bedauerlich; und die Portugiesen sind als kleinere Mitgliedsnation der Europäischen Union in den Augen vieler anderer kleinerer Staaten, die einen sehr großen Anteil an den Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen haben, durchaus ein attraktiver Partner aus deren Sicht. Es ist für mich schwer einzuschätzen, welche Gespräche der Bundesaußenminister geführt hat, wieweit er erfolgreich war, ich halte das Rennen für offen, Deutschland hat gute Chancen, aber man sollte sich nicht täuschen, die beiden anderen Kandidaten – Kanada und Portugal – auch.
Brink: Wäre aufgrund der Gewichtung, also der Wichtigkeit also auch wirtschaftlich und als eines der größten Länder in Europa Deutschland nicht die bessere Wahl, auch aus europäischer Sicht?
Schulz: Deutschland ist, was die EU angeht, im Inneren der EU ökonomisch, politisch sicher das führende Land, mit Frankreich gemeinsam haben wir alleine über 50 Prozent des Bruttosozialprodukts der Eurozone. Das heißt, Deutschland ist schon ökonomisch ein Schwergewicht. Und Deutschland ist auch ein Land, das darf man durchaus auch sagen, dass seinen internationalen Verpflichtungen sowohl im humanitären Bereich, im Bereich der Entwicklungshilfe, auch im militärischen Bereich in besonderer Weise nachgekommen ist in den letzten Jahren. Insofern hat Deutschland sicher einen berechtigten Anspruch auf diesen nichtständigen Sitz, um seine internationale Rolle zu unterstreichen. Und übrigens auch das Konzept, ich hoffe, dass es das Konzept der amtierenden Bundesregierung bleibt, das Konzept von Rot-Grün, das da war, den zivilen Ansatz bei der Konfliktlösung vor den militärischen zu setzen, den stärker einbringen zu können im Sicherheitsrat, das ist sicher eine – wenn das die Grundlage bleibt – vernünftige Vorgehensweise.
Europa, um darauf zurückzukommen, wäre besser beraten, wenn es der EU einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat verschaffen würde, denn die Europäische Union als Ganzes ist so stark wie die anderen vetoberechtigten Mächte, insbesondere China, USA, Russland.
Brink: Das hat ja auch der ehemalige Bundesaußenminister Genscher gefordert, nämlich einen Sitz für die Europäische Union im Sicherheitsrat. Aber Sie haben eben gerade auch die Zerstrittenheit betont. – Das ist doch eigentlich völlig unrealistisch?
Schulz: Ja, aus heutiger Sicht ist es unrealistisch sicher auch deshalb, weil eben zwei Mitgliedsländer der Europäischen Union – Frankreich und Großbritannien – im Rahmen eines Strukturkonzeptes der Vereinten Nationen, das aus den 40er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts stammt, immer noch ihren vetoberechtigten Sitz im Sicherheitsrat haben. Es wäre sinnvoll, mit diesen beiden Ländern auch darüber zu diskutieren, dass ihr eigenes Gewicht als große Mitgliedsnationen der EU potenziert würde, wenn die EU diesen Sitz wahrnehmen würde, statt auf den eigenen vetoberechtigten Sitz zu beharren und damit die EU als ökonomischen Global Player, als umweltpolitischen Global Player, als finanzpolitischen Global Player zu stärken. Stattdessen wird die EU in diesen Feldern geschwächt. Das ist nicht vernünftig und ich bin auch ziemlich sicher, dass, wenn man diese Debatte in der EU weiter und intensiv führt, wir irgendwann schon zu einem anderen Konzept gelangen können. Leider wird die Debatte nicht ausreichend geführt.
Brink: Nun ist ja die Kandidatur für den nichtständigen Sitz – und man strebt ja auch zu einem ständigen Sitz hin – ein Zeichen für eine Führungsrolle unbestritten Deutschlands in Europa. Was kann Deutschland im Sicherheitsrat für Europa bewirken?
Schulz: Ich will das noch mal wiederholen, Ihre Frage zielt auf den Kernpunkt: Der Sitz als Selbstzweck ist nicht sinnvoll, man muss mit ihm ein außenpolitisches, ein internationales Konzept verbinden. Und da fehlt mir ein bisschen die Begründung. Ich bekenne, dass ich nicht weiß, womit der Außenminister der Bundesrepublik Deutschland zurzeit diesen Sitz begründet; in den Zeiten, als er beantragt wurde – 2006 –, haben wir ja noch mal diesen Anlauf unternommen, war Frank-Walter Steinmeier der Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, und wir haben im Zusammenhang mit dem internationalen Engagement der Bundesrepublik Deutschland immer betont, dass für die Bundesrepublik bei der Konfliktlösung – und die Vereinten Nationen sind ja gerade bei der Lösung der Konflikte weltweit der zentrale Ansprechpartner für uns in Deutschland –, bei der Konfliktlösung müssen die zivilen Lösungen Vorrang vor den militärischen Lösungen haben, weil es ansonsten eben zu einer Militarisierung auch der internationalen Politik kommt.
Und die Vereinten Nationen als die starke internationale Organisation zu stärken, also den Multilateralismus, statt wie es über einen längeren Zeitraum der Fall war den Unilateralismus der Vereinigten Staaten von Amerika, im Sicherheitsrat dafür zu sorgen, dass sich eine Doktrin wie die Bush-Doktrin, die ja verheerend war, sich nicht wiederholen darf. Dass die Bundesrepublik dort sitzt, um die Vereinten Nationen selbst starkzumachen, das sind meiner Meinung nach die Punkte, die dafür sprechen. Dazu hört man allerdings in der Begründung, wie ich meine, zu wenig.
Brink: Martin Schulz, Vorsitzender der Sozialistischen Fraktion im Europaparlament, und wir sprachen über die potenzielle Wahl Deutschlands zum nichtständigen Mitglied des Sicherheitsrates der UN, und das soll heute passieren.