"Ich habe immer versucht, mir selbst treu zu bleiben"

Moderation: Liane von Billerbeck |
Der Schauspieler Hilmar Thate wurde in den 60er Jahren in der DDR als Mitglied des Berliner Ensembles und Brecht-Interpret bekannt, brillierte aber auch am Deutschen Theater und im Kino. Wegen Protest gegen die Biermann-Ausbürgerung mussten er und seine Frau die DDR 1980 verlassen. Trotz Kommerzdruck im Westen sei er sich treu geblieben, sagte Thate im Deutschlandradio Kultur.
Lesen Sie im Folgenden Auszüge aus dem Gespräch mit Hilmar Thate:

Von Billerbeck: Wenn ein 75-Jähriger seine Erinnerungen "Neulich, als ich noch ein Kind war" nennt, dann klingt das zunächst überraschend, dann jedoch nach einem sehr interessanten Leben, das eben wie im Flug vergangen ist.

Hilmar Thate war Schauspieler am Berliner Ensemble, spielte Brecht, Shakespeares Richard III., zahllose Fernseh- und Kinofilme - und war immer auch ein politischer Mensch. Als er und seine Frau Angelika Domröse 1976 einen Brief gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann unterschrieben, mussten sie die DDR verlassen. Über all das schreibt er in seiner Autobiografie. Hilmar Thate ist jetzt hier im Studio. Willkommen im Radiofeuilleton.

Thate: Ich bedanke mich, bin gerne hier.

Von Billerbeck: Sie können Schauspieler, die Bücher schreiben, nicht leiden. Warum haben Sie es dennoch getan?

Thate: Weil ich mich zu einem Mix entschieden habe. Also einerseits bin ich ja beruflich in der Schauspielerei tätig, aber Schauspielerei ist ja nicht eine Professionalität - ich mag das Wort nicht, das ist ne Lebenshaltung - und andererseits gibt es dieses Autorengefühl, was man ja nicht in sich hat, weil man ja gewohnt ist, Texte von anderen Dichtern zu sagen. Also musste ich mich auf mich selber konzentrieren und mir einreden, dass ich das auch können müsste und deshalb habe ich mir gedacht, größenwahnsinnig, wie der Mensch nun mal ist, der Shakespeare hat das gemacht, der Moliere hat das gemacht, also warum nicht du auch. Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um, hat mal irgendeiner gesagt.

(…)

Von Billerbeck: Ihr Heimatdorf Dölau liegt an der Bahnlinie zwischen Halle/Saale und Hettstedt. Wie kommt denn der Sohn eines Lokomotivschlossers zum Theater?

Thate: Der Anlass war, dass ich ein wunderbares Elternhaus hatte, eine fantastische Mutter von einer großen Naivität (…) und mein Vater war ein wirklich fantastischer Schlosser, ein Alleskönner, ein sehr geschickter Mann mit zarten Händen, und er war auch ein musischer Mensch, er hörte Verdi und Wagner und war im gemischten Chor und war sogar Hilfsdirigent. Ich kam dadurch in Berührung mit Musiken und ich bin nach wie vor ein Musikmensch (…). Dann bin ich, als ich flügge wurde, so mit zwölf, dreizehn, da sehnte ich mich einerseits nach Schwoof, fing auch an, den Mädchen nachzuschauen, Freundinnen zu suchen, und las auch, ging ins Theater und beschäftigte mich mit Literatur und ging aber im Wesentlichen in die Operette. Dann aber kam die Seriosität auch. Jedenfalls bin ich dann in "Don Carlos" geraten und das hatte so eine Nachhaltigkeit und das Beschäftigen mit Literatur, mit den Klassikern mit der Aufklärung, mit den Elisabethanern und so weiter, also die Berührung mit Literatur, da hab ich mir gesagt: Schauspielerei wäre so ein Beruf, da könntest du vielleicht so eine Lebensmessage ausdrücken.


Von Billerbeck: Der Bruch in Ihrem Leben (wie einiger bekannter DDR-Künstler - Schauspieler, Schriftsteller, Musiker) war die Ausbürgerung Wolf Biermanns im November 1976. Sie und Angelika Domröse gehörten zu denen, die einen Brief gegen die Ausbürgerung unterzeichnet haben. (…) Von der Unterschrift bis zu Ihrem und Angelika Domröses Weggang aus der DDR vergingen vier Jahre: Wie haben sie da arbeiten können?

Thate: Es gab zwei Regisseure (…), die mit großartiger Haltung durchgesetzt haben, dass ich den "Don Giovanni" drehen konnte. Das waren mutige Leute, die das durchgesetzt haben. Aber in der Regel… Mir wurde vom Deutschen Theater, vom Intendanten Wolfram gesagt: Für dich gibt's keine Rollen mehr. Das war also Ende der 70er Jahre… (…)

Von Billerbeck: Wann und warum konkret fiel die Entscheidung, die DDR zu verlassen?

Thate: (…) Stefan Heym hat geholfen. Wir sind in unserer Zerrissenheit und Unsicherheit zu ihm gegangen und haben ihn um Rat gefragt und er sagte: Vor drei Jahren hätte ich noch das Gegenteil gesagt, aber heute sage ich Euch: Ihr müsst spielen, (…) ihr müsst gesehen werden…

Von Billerbeck: Das hieß eigentlich: Sie müssen gehen.

Thate: Ja.

Von Billerbeck: Sie sind als Paar in den Westen gegangen. Wie hat das ihr Verhältnis untereinander verändert. Hat Sie das mehr zusammengeschweißt?

Thate: Auf jeden Fall. Die Grundlage ist sowieso, dass man sich liebt. (…) Wir kennen uns ja schon seit 1960, dann sind wir sozusagen 15 Jahre wie die Katze um den heißen Brei und dann war's irgendwann mal soweit. Und wir haben viel gemeinsam durchgestanden.

Von Billerbeck: Wie haben Sie den Neuanfang im Westen erlebt? Konnten Sie anknüpfen an die großen Erfolge in der DDR?

Thate: Anknüpfen direkt nicht, ich habe aber immer versucht, mir selbst treu zu bleiben. Das Berliner Ensemble, der Brecht war mein Übervater, das war sozusagen meine geistige Schule. Aber der Thomas Brasch hat einmal gesagt: Ddie ist eine gute Schule, aber jede gute Schule muss man einmal verlassen. Ich habe diese Schule nicht aufgegeben und ich habe nie aufgegeben, auch "Nein" zu sagen.

Sie können das vollständige Gespräch mit Hilmar Thate für begrenzte Zeit in unserem Audio-on-Demand-Angebot hören.